Schifffahrt:Hart am Wind

Regen in Hamburg

Das Museumsschiff Rickmer Rickmers im Hamburger Hafen. Es steht für Stolz, Tradition und Macht. Nun ist die Reederei insolvent.

(Foto: Bodo Marks/picture alliance, dpa)

Die Pleite der Reederei Rickmers ist ein Höhepunkt der Krise in der Schifffahrtsbranche. Eine Krise, in der viele Geld verloren haben.

Von Meike Schreiber und Angelika Slavik

"Die grüne Lady" nennen die Hamburger das alte Segelschiff, das seit Jahrzehnten das Bild des Hafens prägt. Es ist ein großer, stolzer Dreimaster. "Rickmer Rickmers" steht an der Seite. Seit es 1896 zu seiner ersten Fahrt aufbrach, hat dieses Schiff einiges durchgemacht. 1904 hat es im Sturm einen Mast verloren und es nur mit Mühe noch bis zum Hafen geschafft. Im Laufe der Jahre wurde es gestohlen, mehrfach umbenannt und seiner Galionsfigur beraubt. Ein paar Jahre lang gammelte es in einem Hafen irgendwo in Lissabon vor sich hin. Am Ende aber landete die Rickmer Rickmers wieder hier, in Hamburg. Auf Hochglanz poliert, als wäre nie irgendetwas gewesen.

Die Geschichte dieses Schiffs verdeutlicht, was der Name Rickmers im Norden noch heute bedeutet: Stolz. Tradition. Macht. Vielleicht auch: Unverwüstlichkeit.

Bertram Rickmers weiß das alles. Er ist jetzt 64 Jahre alt, vertritt die fünfte Generation in der Schifffahrt aktiv. Er ist nicht der Typ, der sich gegen all diese Dinge gewehrt hätte, den Prunk, die Tradition, die allgemeine Ehrerbietung. Nach allem, was man von außen so sagen kann, hat Bertram Rickmers all das immer genossen. Das macht es jetzt, wo es zu Ende geht, noch ein bisschen schlimmer.

Am Donnerstagmorgen hat Rickmers bei Gericht Insolvenzantrag gestellt. Am Abend zuvor war bekannt geworden, dass die HSH Nordbank, der größte Gläubiger, die Kreditanträge nicht genehmigt und den Sanierungsplan für die Reederei als "nicht tragfähig" ablehnt. Das Unternehmen hat 1,5 Milliarden Euro Schulden. 2000 Mitarbeiter bangen um ihre Jobs. Und über allem schwebt die Frage: Wie konnte es so weit kommen?

Vielleicht kann man sagen, dass der schlimmste Tag im Leben des Bertram Rickmers ein guter Tag für Bernd Kortüm war. Denn jetzt ist Rickmers das Gesicht der Krise. Eine Rolle, die in den vergangenen Monaten Bernd Kortüm innehatte.

Kortüm ist der Chef der Reederei Schuldt. Die war, genau wie Rickmers, vor einigen Monaten schwer in Bedrängnis. Dann erließ ihm die HSH Nordbank 547 Millionen Euro Schulden. Das allein hätte für einen öffentlichen Aufschrei gereicht. Aber während der Reeder Kortüm mit Steuergeld gerettet wurde, kaufte sich der Privatmann Kortüm eine neue Segelyacht. Gefragt, ob das nicht unanständig sei, sagte er damals, das Boot sei doch "ein absolutes Schnäppchen" gewesen.

Wie einst bei den Bankern gibt es bei den Reedern ein strukturelles Problem. Und ein moralisches

Wenn man den Imageverlust, den die Reeder gerade erleben, mit jenem der Banker in der Finanzkrise vergleicht, dann wurde Kortüm mit dieser Aussage so etwas wie der Georg Funke des Jahres 2017. Wie der frühere HRE-Chef Funke, wurde er das Gesicht eines Debakels. Wie er, musste er sich Vorwürfe anhören von Gier, Arroganz, mangelnder Moral. Und wie bei den Bankern gibt es auch bei den Reedern zwei Gründe für die Krise: das strukturelle Problem - und das ethische.

Das strukturelle Problem der Reeder sind die geringen Preise, die sich heute noch mit dem Transport von Containern erzielen lassen. Bis 2008 boomte das Geschäft, aber in der Wirtschaftskrise blieben die Frachter plötzlich leer. Die Frachtraten gingen deutlich zurück. Darauf reagierte die Branche mit einem spektakulären historischen Irrtum: Um die Kosten pro transportiertem Container zu reduzieren, ließen sie immer größere Schiffe bauen. Aber das verschärfte die Überkapazitäten - die Preise brachen noch weiter ein. Auf ein Niveau, das für viele Reeder existenzbedrohend ist. Besonders für Charterreeder wie Rickmers, die also ihre Schiffe an die Linienreedereien vermieten - denn die versuchen in schweren Zeiten ja immer zuerst, ihre eigenen Schiffe auszulasten.

Und das moralische Problem? In ihren besten Zeiten, als die Geschäfte wie von selbst liefen, wurde die Attitüde der superreichen alten Herren von kaum jemandem öffentlich infrage gestellt. Aber jetzt müssen sie neben den wirtschaftlichen Schwierigkeiten auch die öffentliche Schmähung ertragen. Sie sind jetzt die, die deutsches Steuergeld auf dem Gewissen haben.

Denn für die deutschen Banken war die Schifffahrt lange ein scheinbar bombensicheres Geschäft. Aber Jahre, nachdem die Schiffskrise 2008 ihren Anfang nahm, hat sie nun auch eine veritable Bankenkrise ausgelöst, zumindest in Deutschland. Insgesamt schlummern in den Bilanzen der fünf größten deutschen Schiffsfinanzierer "maritime" Kredite von rund 60 Milliarden Euro, davon 16 Milliarden allein bei der HSH Nordbank. Vor der Finanzkrise hatte sich die HSH nicht nur im großen Stil am US-Häusermarkt eingekauft, sondern ließ sich auch als weltgrößter Schiffsfinanzierer feiern. Zeitweise hatte die Bank rund 40 Milliarden Euro Kredit an Schiffskunden ausstehen. Als die Immobilienblase in den USA platzte, musste die HSH von den Eigentümern gestützt werden, nur um kurz darauf im Schiffsgeschäft den nächsten Schlag abzubekommen. Als die Länder die Bank ein zweites Mal retteten, ordnete die EU den Verkauf an. Findet sich bis 2018 kein Käufer, wird die HSH abgewickelt.

Was die HSH-Rettung und damit die Folgen der Schiffskrise die Steuerzahler im Norden kosten wird, lässt sich nur erahnen. Seit der Gründung 2003 summieren sich die Kosten auf 14,5 Milliarden Euro im günstigsten Fall. Im schlimmsten Fall sind es sogar 19 Milliarden Euro.

Verzweifelt versuchen die Banken, ihre Schiffskredite loszuschlagen

Im Schatten des HSH-Debakels rutschte zuletzt auch die Nord-LB immer tiefer in die Krise: Sie musste 2016 nicht nur die Bremer Landesbank voll übernehmen, die sich ebenfalls mit Schiffskrediten verhoben hatte, sondern auch eigene Kredite abschreiben. Die Folge: zwei Milliarden Euro Verlust. "Die Schiffsfinanzierung ist wahrscheinlich die größte Herausforderung, die die Bank in ihrer 250-jährigen Geschichte zu bestehen hat", sagte Nord-LB-Chef Thomas Bürkle kürzlich in Hannover. Die DVB-Bank wiederum, der drittgrößte Schiffsfinanzierer hierzulande, wurde vor Jahresfrist de facto von der DZ-Bank gerettet. Kein Wunder, dass alle Banken verzweifelt versuchen, ihre Schiffskredite loszuschlagen. Die Commerzbank teilte am Donnerstag mit, sie habe ihre Lizenz für Schiffspfandbriefe zurückgegeben - sie wird Reedern keine neuen Kredite mehr geben.

Die Rickmer Rickmers im Hamburger Hafen ist heute übrigens ein Museumsschiff. Vielleicht ist es das, wofür der Name Rickmers in Zukunft stehen wird: längst vergangene Zeiten.

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