Schiesser plant 2012 Börsengang:Sexy in Feinripp

Große Pläne nach der Pleite: Der Wäschehersteller Schiesser macht sich chic für die Börse. Die Hemdchen und Höschen des Traditionsunternehmens sollen künftig ganz anders aussehen.

Dagmar Deckstein

In der Herrenabteilung liegen noch die alten Schachteln auf dem Grabbeltisch - drei Unterhosen für 22 Euro. Aber gleich nebenan, in der Damenabteilung, da liegen im Regal die neuen Verkaufskartons: Die Hemdchen und Höschen des deutschen Traditionswäscheherstellers wirken hier schon ganz anders. Schlaf- und Hausanzüge nebst Nachthemden in allerlei sanften Lilatönen hängen auf dem Ständer daneben.

Mann in Schiesser Unterwaesche demonstriert vor dem Bundestag

2009 demonstrierte ein junger Mann vor dem Bundestag gegen das drohende Ende der Traditionsfirma Schiesser.

(Foto: ddp)

Das sei nicht mehr "tote Hose", lobt die Unterwäsche-Verkäuferin des Stuttgarter Kaufhauses Breuninger. Sie bevorzuge zwar bei Feinripp die irgendwie stärker angesagten Trikotagen von Calvin Klein, aber die neuen Teile von Schiesser würden jetzt auch gut nachgefragt. Nur über dem Verkaufsständer ist noch das alte Logo zu sehen: "Schiesser" ganz in Weiß auf blauem Grund mit weißer Doppelpunktreihe darunter. Auch im benachbarten Kaufhof kein anderes Bild: Schiesser alt und Schiesser neu liegen eng beieinander. Es hat also offenbar Umstellungsprobleme im Handel gegeben - bei einem solch radikalen Wandel wie in dem Unternehmen aus Radolfzell am Bodensee knirscht es eben schon mal.

Jahrelang hat Schiesser, 1875 gegründet, am Markt vorbei produziert. Die Unterhosen und Büstenhalter hatten einen gewissen Opa-Oma-Charme, mehr nicht. Und man verzettelte sich mit vielen Aktivitäten. Es folgte die Insolvenz Anfang 2009. Seitdem mühen sich der Konkursverwalter und das von ihm geholte Management um den Wiederanschluss an den Markt, Börsengang inklusive. Die eingeholten Übernahmeangebote waren unattraktiv. Wenn es klappt mit der Wiederauferstehung dieser Marke, wäre es ein kleines Wirtschaftswunder.

"Wir kommen derzeit gar nicht nach mit den Anfragen im Handel, um die neuen Shop-in-Shop-Konzepte aufzubauen." Das sagt Rudolf Bündgen, der Vorstandssprecher, am Stammsitz. Er legt sich geradezu begeistert ins Zeug. Im Schauraum, untergebracht im ehemaligen Pferdestall der Gründerfamilie, reißt der Mann T-Shirts und Hosen von den Kleiderständern. Da liegen sie wie Haute Couture auf dem Boden ausgebreitet: "Sehen Sie, hier passt jedes Teil farblich zueinander, die Haus- und Schlafanzugteile sind alle miteinander kombinierbar." Da fügen sich Blümchenmuster in Orange- und Blautönen zum orangefarbenen Hemd, rot-schwarz-gestreifte Herrenoberteile zur dunklen Schlupfhose.

Die Unterwäsche gibt es ebenfalls in allerlei Trendfarben und natürlich auch im Feinripp. Der ist elastisch geworden und sieht jetzt etwas aufregender aus, in der Anmutung der Anzeigen irgendwo zwischen Calvin Klein und Nivea. Für die Werbefotos ist man eigens nach Südafrika gereist. Als Image-Träger für die ganze Marke Schiesser soll die Linie "95/5" zur meistverkauften Unterwäsche Deutschlands werden - 95 Prozent Baumwolle, fünf Prozent Elasthan. Und der neue Schriftzug besteht aus blauen Lettern, darunter in grau: "Natürlich. Zeitgeist. Seit 1875."

Gilt hier der Spruch: Totgesagte leben länger? Wird Opas Liebling zum Trendsetter? Firmenchef Bündgen, auch fürs Marketing zuständig, hält sich viel darauf zugute, dass die neue Kollektion und der Markenauftritt ohne Hilfe von Agenturen im eigenen Haus gestemmt wurde. "Alles, was wir an externen Ratschlägen bekommen haben, war nicht so gut wie das, was wir selbst machten." Seit 2007 residiert der Manager an der Schiesser-Spitze, seit 1991 gehört er zur Firma.

Nur 20.000 statt 80.000 Einzelteile

Der Veteran ist stolz, die neue Kollektion auch ohne Modedesigner Wolfgang Joop geschafft zu haben. Der Blonde aus Potsdam war zwischenzeitlich am Bodensee vorstellig geworden, sprang aber zu Jahresanfang wieder ab. Joop sah sich als "Stürmer im Team". "Von ihm haben wir nur gehört: ,Feinripp ist toll' und er wolle den Umsatz in drei Jahren verdoppeln", erinnert sich Bündgen.

Es liegt an dem Schiesser-Chef, künftigen Investoren die große Börsen-Story zu erzählen. Schließlich soll die Firma von der im Januar beendeten Insolvenz fast nahtlos aufs Parkett gehen. Den Gläubigerausschuss habe er schon überzeugt, sagt Bündgen: "Die haben Bauklötze gestaunt bei unserer Präsentation des neuen Schiesser." Auch Insolvenzverwalter Volker Grub, jetzt Aufsichtsratschef bei Schiesser, ist schwer angetan. "Wir versuchen den Börsengang Anfang 2012", erklärt der Pleiten-Experte. Er ist guten Mutes, die Gläubiger mit dem dann eingesammelten Geld voll auszahlen zu können. Mit knapp 70 Millionen Euro steht Schiesser bei ihnen in der Kreide, allen voran bei den US-Finanzinvestoren Lone Star und GE Capital.

Eigentlich hatte Schiesser schon im Frühjahr an die Börse gehen wollen, aber da gab es Schuldenkrisen, Afrika-Unruhen und Unsicherheit auf dem Kapitalmarkt. "Uns kann das nur recht sein", meint Bündgen: "Jeder Monat, den sich der Börsengang nach hinten verschiebt, tut uns gut." Er glaubt, der "Neue Schiesser" könne sich so nachhaltiger etablieren und die Anleger begeistern. Den Handel habe man ja wohl schon überzeugt, fügt Bündgen hinzu: "Ich habe es in 20 Jahren bei Schiesser nicht erlebt, dass wir so ziemlich alles geändert haben und nicht eine negative Stimme dazu gehört haben."

Seine Vorgänger hatten sich mit Lizenzproduktion und dem Vertrieb für Marken wie Tommy Hilfiger, Polo Ralph Lauren, Puma oder Levi's übernommen. Eine funktionsuntüchtige Logistik-Software gab Schiesser den Rest: Lieferaufträge verschwanden, Stoffe blieben in irgendwelchen Häfen hängen, Rechnungen wurden nicht bearbeitet.

Statt früher 80.000 Einzelteile hat Schiesser heute nur 20.000 zu managen. Die Produkte werden in Radolfzell entworfen und in eigenen Werken in Griechenland, Tschechien und der Slowakei gefertigt. Von China hält sich Schiesser-Vormann Bündgen - entgegen dem Rat mancher Experten - fern: "Wir müssen flexibel und lieferfähig bleiben, das können wir hier in Europa besser als in China." 1770 Mitarbeiter hat Schiesser noch, davon 500 in Radolfzell. Schwarze Zahlen schreibe die Feinripp-Firma schon seit Ende 2008 wieder, versichert der Manager.

Aktuelle Ziffern wollen weder er noch Aufsichtsrat Grub verraten. Man will ja an die Börse, da muss man schweigen können. "Das dürfen wir gar nicht", sagt Grub: "Equinet und die BHF-Bank, die den Börsengang begleiten, haben uns da einen Maulkorb verpasst." Was die Aktion einbringen soll, darf auch nicht erzählt werden. Nur so viel: Für vier Millionen Euro will Bündgen bis zu zehn eigenständige Schiesser-Läden in besten Lagen eröffnen. Bisher gibt es gerade mal zwei Shops. Einer davon zelebriert auf 250 Quadratmetern in Berlin, neben den Hackeschen Höfen, die Wiederauferstehung der totgesagten Hosen.

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