Schienenverkehr in Deutschland:Flüsterbremsen gegen Schlaflosigkeit

Bahnstrecke im Rheingau nach Unfall gesperrt

Viele Anwohner von Güterverkehrsstrecken, wie hier im Rheingau, müssen Lärm von teilweise mehr als 100 Dezibel durch vorbeifahrende Güterzüge ertragen.

(Foto: dpa)

Wie ein Drucklufthammer in einem Meter Entfernung - so laut können fahrende Züge werden. Moderne Bremsen sollen den Lärm nun deutlich verringern. Doch viele Anwohner von Güterverkehrsstrecken müssen wohl trotzdem noch lange darauf warten, nachts endlich wieder schlafen zu können.

Von Daniela Kuhr

Frank Gross, der Vorsitzende der Bürgerinitiative Pro Rheintal, hätte fast schon nicht mehr daran geglaubt: Am Montag wurde erstmals in Berlin ein Güterwaggon der Deutschen Bahn mit einer neuen Bremse, der sogenannten LL-Sohle, ausgestattet. Was fürchterlich langweilig klingt, ist für unzählige Menschen ein großer Fortschritt. Denn diese Bremse, die auch Flüsterbremse genannt wird, reduziert den Lärm eines vorbeifahrenden Güterwaggons um die Hälfte - und soll damit dazu beitragen, dass Tausende Anwohner von Güterverkehrsstrecken nachts endlich wieder schlafen können.

Frank Gross zum Beispiel ist einer von ihnen. Jede Nacht fahren an seinem Haus im Rheintal bis zu 250 Züge vorbei. Im Schnitt alle drei Minuten einer. In der Spitze erreichen sie mehr als 100 Dezibel. Das entspricht etwa dem Lärm, den ein Drucklufthammer in einem Meter Entfernung verursacht. Hauptgrund für die lauten Züge sind ihre Bremsen. Denn die meisten Güterwaggons haben noch alte Grauguss-Bremsen. Diese rauen bei jedem Bremsvorgang die Laufflächen auf, sodass die Züge insgesamt beim Fahren laut werden - selbst wenn sie nicht bremsen. "Güterzüge sind deshalb 30 bis 40 Mal lauter als Personenzüge", sagt Gross.

Bislang war die einzige Möglichkeit, das zu ändern, die sogenannte K-Sohle, eine Bremse, die deutlich weniger Lärm verursacht. Seit 2005 sind neue Güterwagen mit ihr ausgestattet. Allerdings war es sehr umständlich und teuer, alte Waggons nachträglich mit ihr auszurüsten, da das gesamte Gestänge unter dem Wagen hätte gewechselt werden müssen. Bei der neuen LL-Sohle, die die Behörden Ende Mai nach einer zweijährigen Testphase zugelassen haben, müssen nur die Bremsklötze ausgetauscht werden. Das spart zwei Drittel der Kosten.

Deshalb soll es nun endlich losgehen: das große Umrüsten. In einer Werkstatt der Bahn in Berlin starteten Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und Bahnchef Rüdiger Grube am Montag offiziell das Projekt. 5000 Waggons will die Bahn bis Ende 2014 auf die neue LL-Sohle umrüsten. Weitere 9000 sind bereits mit der K-Sohle ausgestattet, sodass Ende kommenden Jahres 14.000 Güterwagen der Bahn "leise" sind.

Doch Frank Gross geht das viel zu langsam. "Schließlich besitzt die Bahn ganze 60.000 Güterwagen." Weitere 60.000 werden von Privatbahnen gefahren und noch einmal 60.000 von ausländischen Betreibern. Um die Sache zu beschleunigen, fördert der Bund die Umrüstung mit 150 Millionen Euro. Zudem hat die Bahn für das Schienennetz ein lärmabhängiges Trassenpreissystem eingeführt: Laute Züge müssen mehr zahlen. Die Mehreinnahmen werden ebenfalls den Unternehmen zugute kommen, die ihre Wagen umrüsten. Ziel sei, den Schienenlärm bis 2020 im Vergleich zum Jahr 2000 zu halbieren, sagt Bahnchef Grube.

Frank Gross bleibt skeptisch. Seiner Ansicht nach müsste der Bund viel mehr Druck machen: "Statt den Unternehmen bis 2020 Zeit zu geben, ihre Waggons umzurüsten, sollte klipp und klar festgestellt werden: Wer bis 2016 nicht umgestellt hat, für den gilt tagsüber ein Tempolimit - und von 22 bis 7 Uhr ein komplettes Fahrverbot." Denn Lärm sei Stress, "und Stress macht krank".

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