Schienenverkehr:Es lebe die Eisenbahn

Lange galt der Schienenverkehr als altmodisch, nun steht er vor einer Renaissance. Er hat sie verdient, denn er könnte die Grenzen der Mobilität überwinden.

Michael Bauchmüller

Für ihr Schicksal kann die Eisenbahn nichts. Sie machte ganze Nationen mobil, ließ deren Hinterland erst prosperieren - und verlor dann fast allen Einfluss an das Automobil. Sie galt als schnelle Verbindung zwischen Städten, viel schneller als jede Kutsche - und konnte doch gegen das Flugzeug nichts ausrichten.

Schienenverkehr: Chinesische Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Wuhan und Guangzhou: In drei Stunden mehr als tausend Kilometer.

Chinesische Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Wuhan und Guangzhou: In drei Stunden mehr als tausend Kilometer.

(Foto: Foto: Reuters)

Fest gebunden an Gleise, eingezwängt in Fahrpläne und allzu oft dem Diktat des Wetters unterworfen, scheint sie so gar nicht kompatibel zu sein mit dem Lebensstil der Gegenwart. Eine Technologie des 19. Jahrhunderts passt nicht zu Freiheit und Individualismus der Postmoderne. Könnte man meinen.

Die Realität ist eine andere. In China ist seit dem Wochenende die längste und schnellste Hochgeschwindigkeitstrecke der Welt in Betrieb. In drei Stunden legen Reisende nun die mehr als tausend Kilometer zwischen Wuhan und Guangzhou zurück; mehr als 10.000 Kilometer Hochgeschwindigkeitstrasse sollen bis 2020 in China hinzukommen.

In Russland verkehrt seit zwei Wochen ein Siemens-Zug zwischen Moskau und Sankt Petersburg - nie ging es, einmal abgesehen von einigen Anlaufschwierigkeiten, schneller auf dieser Strecke.

In den USA stehen aus dem Konjunkturpaket allein acht Milliarden Dollar für neue Schienen zur Verfügung, und das reiche Emirat Katar investiert 24 Milliarden Petrodollar in ein komplett neues Eisenbahnsystem.

Genauso gut hätte der Emir neue Straßen bauen können, doch er entschied sich anders - aus gutem Grund. Kaum irgendwo werden Industrie- und Schwellenländer in den nächsten Jahren stärker an Grenzen stoßen als auf der Straße, und nirgends werden sie es schmerzlicher spüren. Während die Anforderungen an Mobilität und Flexibilität weiter wachsen, wird der Straßenverkehr zunehmend zum Gefangenen seiner selbst.

In vielen Ballungsräumen ist die Schmerzgrenze schon erreicht; insbesondere in jenen Ländern, in denen die späte Industrialisierung Arbeiter zu Millionen in die Ballungsräume zieht. Allein die neue chinesische Strecke verbindet 19 Millionen Menschen - zehn Millionen in und um Guangzhou, weitere neun Millionen rund um Wuhan.

Das Flugzeug ist damit schlicht überfordert, die breiteste Straße nicht breit genug. Steigende Ölpreise könnten diese Formen der Fortbewegung ohnehin irgendwann zum Luxus machen, von den Konsequenzen für den Klimawandel ganz zu schweigen.

Die Mobilität des Einzelnen betrifft das ebenso wie den Gütertransport. In dem Maße, in dem sich die globalisierte Wirtschaft arbeitsteilig organisiert, nehmen die Güterströme zu. Dieser Prozess ist lange nicht zu Ende. Produktionsketten werden noch weiter zerlegt werden.

Die klassische Wertschöpfungskette, die von der Tomatenplantage zum Ketchup und vom Stahlwerk zum Automobil führt, wird zur globalen Koproduktion - mit einem immensen, oft irrsinnigen Aufwand an Logistik. Eisenbahnen und Schiffe werden die einzigen Transportmittel sein, die diese Vernetzung noch halbwegs umweltverträglich bewerkstelligen können.

Daher ist es auch folgerichtig, zusätzliche Gütermengen im Transitland Deutschland vor allem über die Schiene abzuwickeln, wie es die Bundesregierung offenbar plant. Andernfalls wird das System kollabieren.

GrenzeMit neuen Schienen und schnellen Zügen allein wird es allerdings nirgends getan sein. Ob die Eisenbahn die Dilemmata der Mobilität lösen kann, entscheidet sich woanders: an Bahnhöfen und in Seehäfen, in Verladeterminals und auf Flugplätzen.

Wie Produktionsketten flexibler werden, müssen es Transportketten in Zukunft auch sein. Die Eisenbahn hat nur dann eine Chance, wenn Güter und Reisende rasch und verlässlich auf andere Transportmittel umsteigen können, in das Leihauto am Bahnhof, auf Lastwagen oder Schiff im Güterterminal. Im 19. Jahrhundert half die Eisenbahn, Grenzen der Mobilität zu überwinden. Sie könnte es, mit kluger Politik, wieder tun.

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