Schaufenster in der Adventszeit:Hase löst Engel ab

Hamleys Unveil Their Christmas Window

Mit großen Plüschtieren geschmückte Schaufenster zur Weihnachtszeit lösen nicht nur bei Kindern Begeisterungsstürme aus.

(Foto: Getty Images)

Schweinchen sausen durch den Schnee, Kaninchen chauffieren Kutschen. In Fußgängerzonen entzücken Geschäfte mit geschmückten Auslagen. Die Leute pilgern dorthin und bleiben andächtig stehen. Lösen die Schaufenster die Krippen ab?

Von Rudolf Neumaier

Das Weihnachtslied "Ich steh an deiner Krippen hier" mag nicht ganz so bekannt sein wie "Jingle Bells", doch Liebhaber von Johann Sebastian Bach kennen es. In einem Choral der 6. Kantate seines Weihnachtsoratoriums hat er die erste Strophe vertont. In einer weiteren Strophe, die Bach aus Zeitgründen wegließ, kündet der Krippenbesucher von heiligem Entzücken. Er betrachte das Kind in der Krippe "mit Freuden und kann mich nicht sattsehen". Das Unvermögen, sich sattzusehen, ist als Phänomen in vorweihnachtlichen Fußgängerzonen zu beobachten: Menschenscharen stehen vor Schaufenstern, drängeln sich geradezu davor. Sie bewundern bewegte Plüschtiere: Schweinchen sausen durch den Schnee, Bären winken, Kaninchen chauffieren Kutschen. Im Hintergrund ertönt: "Jingle Bells".

"Weihnachtsfenster" heißen diese Auslagen in der Sprache des Einzelhandels. Es gibt sie in nahezu jeder größeren deutschen Stadt - von Hamburg bis München, von Berlin bis Bonn, von Köln bis Mannheim. Und überall dieses entzückte Publikum. Lösen die Plüschtierfenster die Krippe ab? Vielleicht. Jedenfalls will sich Harald Illmaier, der in der Galeria Kaufhof am Münchner Marienplatz für das visuelle Marketing zuständig ist, "nicht ausmalen, was los wäre, wenn wir dieses Fenster nicht mehr machen würden. Einen Aufschrei gäbe das!" Ganze Schulklassen pilgern herbei, sagt Illmaier. Er bekommt Fanpost, eine Großmutter schreibt: "Wir werden in der Weihnachtszeit noch öfters kommen und diese wunderbare Dekoration bewundern. Sie machen uns sehr große Freude." Dabei, sagt Illmaier, seien mit solchen Weihnachtsfenstern keine Umsätze zu machen. "Wir verkaufen den Leuten ein gutes Gefühl." Deswegen: Plüschtierparade statt Wintermodenwerbung.

Boom der Kuscheltier-Branche

Die Kuscheltier-Branche boomt wieder. Auf der Spielwarenmesse in Nürnberg meldete sie zehn Prozent Wachstum in diesem Jahr, nachdem sie lange unter sinkendem Absatz gelitten hatte. Einer der Gründe für den Aufschwung seien Stofftiere, die "Sorgenfresser" heißen. Sie werden sogar von Erwachsenen gekauft, die Aufmunterung suchen.

Gute Stimmung haben die Menschen im Advent besonders nötig. Nur brauchen sie dazu nicht mehr zum Krippen-Schauen in die Kirchen gehen, wie es in katholischen Gegenden Großeltern mit ihren Enkeln traditionell praktizierten. Der Regensburger Kulturwissenschaftler Manuel Trummer sieht in den Weihnachtsfenstern eine Säkularisierung der Emotionalität. Angefangen habe damit das Kaufhaus Macy's in Chicago in den 1930er-Jahren. "Eine semantisch offene Wintersymbolik" löse nun christliche Weihnachtssymbole ab. Das heißt: Stoffhasen ersetzen Engel, denn sie vermitteln das gleiche Wohlgefühl. Wenn sich die Tiere sogar bewegen und wie derzeit in München Märchen darstellen, braucht es keine Weihnachtsgeschichte, um Schaulust zu erregen und Adventsstimmung zu erzeugen.

Die klassischen großen Weihnachtsfenster in Deutschland bestückt der Stofftier-Hersteller Steiff. "Der Teddybär gehört einfach zu Weihnachten", sagt eine Sprecherin. Ein biblisches Thema sei noch nicht im Programm, aber das kann sich ändern: "Gehen tut im Prinzip alles." Dann könnten Schweinchen Flügel bekommen.

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