Schattenbanken:Das 71-Billionen-Dollar-Problem

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Sie bleiben diskret: Schattenbanken werden aber immer mächtiger

(Foto: dpa)

Die Bösewichte der Finanzkrise sind zurück - nur größer und mächtiger. Finanzaufseher auf der ganzen Welt warnen vor dem unheimlichen Aufstieg der Schattenbanken.

Von Nikolaus Piper, New York

Die Alarmsignale mehren sich. Der Internationale Währungsfonds, IWF, warnt vor Exzessen in China. Die Ratingagentur Moody's setzt den Kreditausblick der Volksrepublik von "positiv" auf "stabil" herab. In Deutschland fordert die Chefin der Finanzaufsicht BaFin, Elke König, ein "globales Regelwerk". In den USA drängt Karla Stein, Kommissarin bei der Börsenaufsicht SEC, auf schnelle Reformen. Immer geht es um ein Thema: "Schattenbanken".

Unternehmen, die sich wie Banken gerieren, die aber keine sind, drohten 2008 das gesamte Finanzsystem zu sprengen. Jetzt fragen viele Kritiker besorgt: Kann sich das wiederholen? Nach einem Bericht des Internationalen Ausschusses für Finanzstabilität, FSB, in Basel, einer Organisation der großen Industrie- und Schwellenländer, sind allein von 2011 bis 2012 die Anlagen der Schattenbanken um 8,1 Prozent auf 71 Billionen Dollar stiegen. Vor zehn Jahren waren es gerade einmal 26 Milliarden gewesen. Der Bericht des FSB für 2013 liegt noch nicht vor, aber alle Indizien sprechen dafür, dass sich das Wachstum weiter beschleunigt hat.

Eigentlich müsste die Gefahr gebannt sein, zumindest in den Vereinigten Staaten. Das Dodd-Frank-Gesetz, mit dem der Kongress 2010 die Lehren aus der Finanzkrise zog, sieht vor, dass alle "systemisch relevanten" Institute reguliert werden müssen. Tatsächlich sind aber erhebliche Lücken geblieben. "Unglücklicherweise haben wir eine ziemlich schwerfällige Struktur geschaffen, die nicht richtig funktioniert", sagt Simon Johnson, Professor am Massachusetts Institute of Technology, MIT, und einer der schärfsten Kritiker des Finanzsystems. "Richtig wäre ein integrierter Ansatz." Nach so einem Ansatz suchen die Regulierer bisher vergeblich.

Die Talente der Wall Street arbeiten lieber für diskrete Investoren

Für sich genommen ist es unproblematisch, wenn Unternehmen, die offiziell keine Banken sind, Kredite vergeben oder Geld einsammeln. "Mich interessiert nicht, was ein kleiner Hedgefonds macht. Er kann Geld verlieren und schließen müssen, das ist ok", sagt Johnson. Gefährlich wird es dann, wenn Schattenbanken so groß oder so vernetzt sind, dass sich deren Risiken nicht mehr isolieren lassen. Dafür, wann das der Fall ist, gibt es bisher kein verlässliches Maß.

Die Bösewichte der Finanzkrise waren so genannte "Zweckgesellschaften" oder "Conduits", in die normale Banken Risiken ausgelagert hatten, um ihre Bilanzen zu schonen. Die Conduits investierten heftig in Hypothekenanleihen und andere hochspekulative Papiere. Als immer mehr Papiere faul wurden, mussten die Banken der Conduits für die Verluste geradestehen, was viele von ihnen an den Rand des Kollapses brachte oder darüber hinaus. Der deutschen Industriekreditbank (IKB) wurden ihre Zweckgesellschaften Rhineland Capital, Havenrock und Rhinebridge zum Verhängnis.

Heute sind es große Finanzinvestoren, Vermögensverwalter, Hedgefonds und Geldmarktfonds, die in das Bankgeschäft einsteigen. Deren Wachstum wird paradoxerweise durch Gesetze gefördert, die das Finanzsystem sicherer machen sollen. Neue Eigenkapitalregeln und Gesetze zwingen die Banken, auf riskante Geschäfte zu verzichten und besser vorzusorgen. Überall dort, wo sich die Banken zurückziehen, stoßen Schattenbanken nach.

Von Fonds kann Panik ausgehen

Was das bedeutet, lässt sich am Fall von Michael Cavanagh zeigen. Der heute 48 Jahre alte Manager hatte 20 Jahre bei JP Morgan Chase gearbeitet und galt als Kronprinz des Chefs Jamie Dimon. Am 25. März dieses Jahres jedoch teilte die Bank bedauernd mit, dass Cavanagh sich dem Finanzinvestor Carlyle Group anschließen wird. Ein Spitzenbanker schlägt die Chance aus, das größte Institut Amerikas zu führen, um sich einem diskret operierenden Finanzinvestor anzuschließen - nichts illustriert den Aufstieg der Schattenbanken besser. Auch andere Institute an der Wall Street berichteten über eine "Flucht der Talente" zu Schattenbanken.

Zu den Gewinnern gehören Vermögensverwalter. Ein "Vakuum" sei entstanden, "in das Vermögensverwalter stoßen und sich ins Zentrum von Bemühungen bringen, die Weltwirtschaft wiederzubeleben", heißt es in einer Studie der Wirtschaftsprüfer von PwC. BlackRock etwa, weltgrößter Vermögensverwalter, verfügt über ein Portfolio von 42 Milliarden Dollar an Hochzins- und Bankkrediten.

Einer der Stars unter den Schattenbanken ist der Finanzinvestor Carlyle Group. Der Ausbau der Bankgeschäfte ist bei Carlyle strategisch angelegt, nicht nur in den USA, sondern auch in China. "Wir expandieren gezielt in Bereiche, aus denen sich die Banken zurückziehen", sagte David Marchick, Direktor bei Carlyle, dem Economist. Ein Beispiel ist das riskante Geschäft mit Schiffsfinanzierungen, das die herkömmlichen Banken praktisch aufgegeben haben. Nicht nur Carlyle mischt dabei mit. Ende vorigen Jahres verkaufte die deutsche Commerzbank ein Paket problematischer Schiffskredite für 280 Millionen Euro an den Finanzinvestor Oaktree. Auch den Rest der Schiffsfinanzierungen will die Bank abstoßen.

Daran ist zunächst nichts Verwerfliches. Wenn Finanzinvestoren einer Bank wacklige Kredite abkaufen, dann stabilisiert dies das System. Investoren übernehmen Risiken, die Bankbilanzen werden gesünder. Wenn sich die Investoren jedoch selbst massiv bei regulären Banken verschulden, können sich Risiken plötzlich potenzieren und ins System zurückkehren. Alles hängt also von der Struktur und der Größe der Schattenbanken ab.

Größter Risikiofaktor ist China

Relativ offen liegt die Gefahr bei Geldmarktfonds. Besonders in den USA nutzen Privathaushalte und Unternehmen solche Fonds wie Festgeldkonten. Geldmarktfonds müssen jedoch, wenn sie Zinsen zahlen wollen, spekulieren. Und, wie die Finanzkrise gezeigt hat, können diese Spekulationen so sehr danebengehen, dass die Anlagen absolut an Wert verlieren, was bei Festgeldkonten nicht möglich ist. Das Risiko wird nur verdeckt und ist dadurch umso größer. Im Extremfall kann von diesen Fonds eine Panik ausgehen. Die US-Börsenaufsicht SEC arbeitet daher seit Jahren an einer Regulierung für die Branche; diese wehrt sich bisher mit Erfolg.

Größter Risikofaktor in dem Spiel ist jedoch China. Bis vor kurzem gab es dort noch überhaupt keine Schattenbanken, inzwischen boomt deren Geschäft - nach Angaben von Moody's stiegen die Anlagen binnen zwei Jahren um 67 Prozent. Der Geldmarkfonds Yu'e Bao, den Alibaba, Betreiber der gleichnamigen Suchmaschine, aufgelegt hat, verwaltet stolze 81 Milliarden Dollar, wie die Financial Times berichtet. Es wäre damit der viertgrößte Geldmarktfonds der Welt. Das Wachstum ist leicht zu erklären: Yu'e Bao zahlt sechs Prozent Zinsen, bei Bankkonten hat die Regierung eine Obergrenze von 3,3 Prozent festgesetzt. Einige der Finanzierungen der Schattenbanken sind bereits notleidend geworden - wegen der Pleite des Schuldners. Ein Arbeitspapier des IWF zählt Beispiele auf: Kohlegruben in Shanxi, Solarzellen-Hersteller in Schanghai, Immobilien in Großstädten.

Kein Wunder, dass der IWF vor Exzessen in China warnt.

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