Schaeffler-Mitarbeiter:Fest umarmen

Schaeffler will Werk in Unterfranken schließen

Als Schaeffler im vergangenen Jahr ein Werk in Bayern schließen musste, war die Aufregung groß.

(Foto: Bastian Benrath/dpa)

Der Industriekonzern Schaeffler und die Arbeitnehmer schließen einen weitreichenden Pakt: Sie wollen die Veränderung des Unternehmens gemeinsam stemmen. Ein Vorbild?

Von Caspar Busse und Uwe Ritzer, Nürnberg/München

Als nichts mehr half, legte sich Maria-Elisabeth Schaeffler einen knallroten Schal um. Später sagte sie, das sei reiner Zufall gewesen, doch das mochte niemand glauben. Das Jahr 2009 war gerade einige Wochen alt, die Finanzkrise wütete, und die Schaefflers standen persönlich und mit ihrer Firma nach der Übernahme der dreimal größeren Continental AG wirtschaftlich am Abgrund. Da holte die Unternehmerin einen wichtigen Verbündeten ins Boot: die IG Metall.

In deren Frankfurter Zentrale verkündete Maria-Elisabeth Schaeffler damals Seite an Seite mit dem damaligen Gewerkschaftsboss Berthold Huber die Einführung der Mitbestimmung in ihrem Automobil- und Industriezulieferkonzern. Der rote Schal, den sie dabei trug, geriet zum Symbol für den Friedensschluss zwischen Arbeitnehmervertretern und Unternehmen, die sich bis dahin gegenseitig nie etwas geschenkt hatten. Nun, neun Jahre später, soll die Zusammenarbeit sogar Vorbild werden für die gesamte Branche.

Auf betriebsbedingte Kündigungen soll möglichst verzichtet werden

"Wir wollen die gewaltigen Veränderungen, die vor dem Unternehmen liegen, gemeinsam angehen und bewältigen", kommentiert Bayerns IG-Metall-Chef Jürgen Wechsler eine Zukunftsvereinbarung, die Familie und Firma Schaeffler in den vergangenen sechs Monaten mit der Gewerkschaft und dem Betriebsrat ausgehandelt haben. Demnach soll auf betriebsbedingte Kündigungen in Zukunft grundsätzlich verzichtet werden, es sei denn, ein paritätisch aus Vertretern von Arbeitgeber und Arbeitnehmern besetzter Steuerungsausschuss sieht dazu keine Alternative mehr. "Kategorisch ausgeschlossen ist das damit also nicht", heißt es bei Beteiligten. Beide Seiten vereinbarten zudem, in Weiterbildung und in die deutschen Standorte des Konzerns zu investieren. Während andere Unternehmen Wege suchen, um die Vorgaben der Flächentarifverträge zu umgehen, bekennt sich die Schaeffler AG ausdrücklich dazu. Wo die Tarifbindung noch nicht gelte, würden vergleichbare Arbeitsbedingungen geschaffen, heißt es.

Hintergrund ist ein breit angelegtes Umbauprogramm, mit dem sich der fränkische Konzern mit seinen weltweit mehr als 90 000 Beschäftigten, davon mehr als 30 000 in Deutschland, auf die Zukunftsthemen Digitalisierung und Elektromobilität hin ausrichten will. Schaeffler stehen dabei gewaltige Veränderungen bevor, denn das Unternehmen verdient sein Geld bislang hauptsächlich mit mechanischen Teilen für Verbrennungsmotoren, künftig aber geht es um Elektromobilität und autonomes Fahren.

Dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich nun in ihrer "Zukunftsvereinbarung" ausdrücklich dazu bekennen, diese Transformation gemeinsam anzugehen, hält Bayerns IG-Metall-Chef Wechsler für "ein Signal auch an andere Zulieferunternehmen, diesem Beispiel zu folgen". Was heißt, die technologische Veränderung "auf der Basis der sozialstaatlichen Prinzipien und der Mitbestimmung zu gestalten." Wechsler spricht in diesem Zusammenhang auch von einem wichtigen gesellschaftspolitischen Signal. Viele Menschen hätten Angst vor der Digitalisierung und damit vor der Zukunft, was sich bisweilen auch in ihrem Wahlverhalten dokumentiere. Diese Angst könne man ihnen nur nehmen, "wenn wir sie motivieren, an den Veränderungen selbst aktiv mitzugestalten". Auch darauf ziele die Vereinbarung mit Schaeffler.

So wird das Unternehmen, das weltweit knapp eine Milliarde Euro im Jahr investiert, zusätzlich einen Innovationsfonds mit 50 Millionen Euro auflegen. Ziel sei es, Mitarbeiter zu motivieren, mit eigenen Vorschlägen die Entwicklungen in Sachen E-Mobilität, Industrie 4.0 und Digitalisierung zu unterstützen. So könnten die deutschen Standorte gestärkt werden. Experten gehen aber davon aus, dass künftig auch bei Schaeffler Arbeitsplätze ins Ausland verlegt werden müssen. Die "Zukunftsvereinbarung" sei ein "Meilenstein, um den notwendigen Veränderungsprozess im Interesse aller Beteiligten transparent, fair und effizient zu gestalten", sagt Konzernchef Klaus Rosenfeld. So müsse nicht jeder Streitfall einzeln und langwierig neu verhandelt werden.

Der neue Pakt wird auch Thema bei der Hauptversammlung des Unternehmens an diesem Freitag in Nürnberg sein. Ein anderer Punkt musste dagegen von der Tagesordnung gestrichen werden. Die geplante Umwandlung von Stamm- in Vorzugsaktien wurde ad acta gelegt. Der Plan werde nicht weiter verfolgt, sagt Rosenfeld. Der Industrie- und Autozulieferkonzern war im Oktober 2015 an die Börse gegangen. Notiert sind seitdem 166 Millionen Vorzugsaktien, die über kein Stimmrecht verfügen, dafür aber eine höhere Dividende erhalten. Sie entsprechen 25 Prozent des Kapitals. Die übrigen Aktien sind Stammaktien und gehören über eine Holding Maria-Elisabeth Schaeffler und ihrem Sohn Georg, der auch Aufsichtsratschef ist. Damit hat die Familie nach wie vor das uneingeschränkte Sagen. Geplant war nun, einen Teil der Stamm- in Vorzugsaktien umzuwandeln. Damit würde Schaeffler mehr Flexibilität erhalten, die Familie aber weiterhin das vollständige Sagen behalten. Die Vorzugsaktionäre hätten dem zustimmen müssen.

Rosenfeld und Georg Schaeffler waren deshalb zuletzt persönlich auf Werbetour bei großen Investoren gegangen. Doch es zeichnete sich jetzt ab, dass die notwendige Zustimmung von 75 Prozent der anwesenden Aktionäre am Freitag nicht erreicht werden kann. Deshalb hat sich Schaeffler dazu entschlossen, das gesamte Projekt zu streichen.

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