Schaeffler: Geschäftsführer Geißinger:Der Kreidefresser

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Drehung um 180 Grad: Schaeffler-Geschäftsführer Jürgen Geißinger buhlt um die Gunst der IG Metall -bislang hatte er für Gewerkschaften nichts übrig.

Uwe Ritzer

Monatelang war er aus der Öffentlichkeit abgetaucht und manche spekulierten schon allen Ernstes, er sei geschasst worden und gar nicht mehr in Diensten von Schaeffler. Am Mittwoch aber war er plötzlich wieder da. Zumindest seine Stimme. In einer Telefonkonferenz stellte sich Jürgen Geißinger, 49, den Fragen von Journalisten. Die glaubten, ihren Ohren nicht zu trauen, so inflationär nahm der oberste Manager des Automobil- und Industriezulieferers das Adverb "gemeinsam" in den Mund. Auch anderes versöhnliches Vokabular ging ihm erstaunlich leicht über die Lippen, wenn er auf Betriebsräte und die IG Metall zu reden kam. Selbst das Wort "Mitbestimmung", jahrzehntelang das Tabu schlechthin bei Schaeffler, sprach Geißinger wie selbstverständlich aus.

Für die Rettung des Konzerns lassen sie sich auch mit der Gewerkschaft ein: Maria-Elisabeth Schaeffler und Geschäftsführer Jürgen Geißinger, seit zehn Jahren ein eingespieltes Team. (Foto: Foto: dpa)

Zurück blieb der Eindruck, dass hier ein Manager, der vor nicht allzu langer Zeit sprichwörtlich am liebsten schon zum Frühstück einen Gewerkschafter verspeiste, Kreide gefressen hat. Nach einer halben Stunde verabschiedete sich Geißinger aus der Telefonkonferenz mit dem Satz: "Jetzt muss ich wieder in die Bütt." Sollte heißen: In eine Betriebsversammlung im Schaeffler-Stammwerk in Herzogenaurach, um den Beschäftigten zu sagen, dass man in diesem Jahr an den deutschen Standorten 250 Millionen Euro Personalkosten einsparen müsse, was rechnerisch 4500 Stellen gefährde.

Buhrufe und Pfiffe

Die Mitarbeiter gingen dem Vernehmen nach nicht eben freundlich mit ihm um. Der Konzernmutter Maria-Elisabeth Schaeffler, 67, applaudierte das brave Herzogenauracher Werksvolk all ihrer peinlichen Auftritte der vergangenen Monate zum Trotz. Für Geißinger soll sich kaum eine Hand zum Beifall gerührt haben; stattdessen habe es Buhrufe und Pfiffe gegeben. Da nahm es wieder Gestalt an, das abgedroschene Bild von der Schönen und dem Biest. Es ist ungerecht, stört Jürgen Geißinger aber auch nicht besonders. Es gab eine Zeit, und die ist noch nicht so lange her, da schien sich der verheiratete Vater von Zwillingen an seiner Unbeliebtheit regelrecht aufzubauen. "Wer an sich zweifelt, kann nicht erfolgreich sein", sagte er noch Ende November in einem SZ-Interview. Der promovierte Maschinenbauingenieur hielt sich nie mit lästigen Selbstzweifeln auf. Und er lebte lange Zeit bestens damit.

Mit rigoroser Entschlossenheit, hohem persönlichen Einsatz, starkem Durchsetzungsvermögen und strategischem Geschick stieg Geißinger zu einem industriellen Shootingstar auf. Wenn es um Kandidaten für künftige Spitzenjobs bei großen Automobilkonzernen ging, fiel bis ins Jahr 2008 immer häufiger auch sein Name. Schließlich hatte der ebenso zupackende wie rabiate Schwabe aus einem überschaubaren Familienunternehmen einen hochprofitablen globalen Konzern gemacht hat. Mit viermal mehr Mitarbeitern und Umsatz als 1998. Damals lockte Maria-Elisabeth Schaeffler den Motorradfahrer und Handballfan vom US-Autozulieferer ITT ins Fränkische.

Das perfekte Tandem

Beide galten fortan als perfektes Tandem. Sie, die elegante Matriarchin und gerissene Strippenzieherin mit der gespielten Unschuld. Er, der ungestüme Ehrgeizling, der am liebsten mit dem Säbel in der Hand losstürmt. So überrumpelten und kaperten sie 2001 den Konkurrenten FAG Kugelfischer. So machten sie auch 2008 Jagd auf die dreimal größere Continental AG. "Wir sind dieser Übernahme in jeder Hinsicht gewachsen", tönte Geißinger noch vollmundig, als die Wirtschaftskrise beide Unternehmen bereits schwer beutelte.

Nun kämpft Schaeffler mit Milliardenschulden, nervösen Banken, renitenten Continentalern und angesichts all dem ums eigene, nackte Überleben. Und plötzlich ist Geißinger, der noch 2005 mit viel Machtprosa ("Dann haben wir eben mal vier bis sechs Wochen Generalstreik in Deutschland, da müssen wir durch") die deutsche Industrie zum Endkampf gegen die Gewerkschaften aufrief, dem Wohlwollen der IG Metall ausgeliefert wie kein anderer deutscher Firmenlenker. Sie ist Schaefflers wichtigste Verbündete in Sachen Staatshilfe.

Ausgerechnet auf jene angewiesen zu sein, die man lange Verachtung spüren ließ, Rücksichten nehmen zu müssen und nicht mehr eigenmächtig handeln zu können - all das muss hart sein für einen wie Jürgen Geißinger. Aber vielleicht wäre die Firma nie in diese Schieflage geraten, hätten sich die Schaefflers und er mit einem kritischen Korrektiv im eigenen Laden auseinandersetzen müssen. Wenn sie Überzeugungsarbeit hätten leisten müssen, anstatt - geblendet von jahrzehntelangem Erfolg - im verschworenen kleinen Zirkel einsam zu entscheiden.

Nun aber laufen bereits Wetten, wie viel Maria-Elisabeth und ihr Sohn Georg Schaeffler, 44, am Ende von ihrem Unternehmen bleiben wird. Und wer dann das operative Sagen hat. Jürgen Geißinger? Er werde sich dank seiner Steherqualitäten halten, sagen seine Freunde. Die Zahl der Zweifler wächst allerdings.

© SZ vom 15.05.2009/lauc/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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