"Scale":Gegen die Scheu vor dem Kapitalmarkt

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Vom Aufsichtsrat erst mal gestützt: Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Der deutsche Aktienmarkt hat ein Imageproblem. Jetzt will die Deutsche Börse mit einem neuen Segment mehr Mittelständler und junge Wachstumsunternehmen anlocken.

Von Jan Willmroth

Es blieben nur wenige Tage, die Ansprache noch einmal umzuschreiben: Als Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter vergangene Woche das neue Börsensegment Scale vorstellte, war die Fusion mit der Londoner Börse LSE gerade überraschend geplatzt. Das neue Segment wurde auf einmal unfreiwillig zum Teil der Antwort auf die Frage, wie die Börse künftig aus eigener Kraft wird wachsen können. "Stehenbleiben ist keine Option", sagte Kengeter, "das hat nicht nur die Geschichte der Börse, sondern auch die Geschichte Frankfurts immer gezeigt."

Scale soll der erste Beweis sein, dass der Konzern tatsächlich nicht ans Stehenbleiben denkt. Das neue Wachstumssegment löst den bisherigen Entry Standard ab, in dem die Transparenzpflichten nicht vom Gesetzgeber, sondern von der Börse selbst geregelt sind. 14 Jahre nach dem Ende des Neuen Marktes wagt der Konzern einen neuen Versuch, an der Börse eine eigene Kategorie für Mittelständler und junge Wachstumsunternehmen zu schaffen. Von Beginn an sind in dem Segment 46 kleine und mittelgroße Firmen gelistet, die künftig leichter an Kapital kommen und schneller wachsen sollen. Es biete Investoren die Chance, sich am deutschen Mittelstand zu beteiligen, sagte Kengeter.

Die Zahl der Börsengänge ist generell überschaubar - und zuletzt weiter gesunken

Dafür müsste der deutsche Mittelstand aber zunächst mehr Lust auf die Börse bekommen. Die Zahl der Börsengänge ist in Deutschland generell überschaubar. Im vergangenen Jahr sammelten hierzulande nur acht Unternehmen frisches Kapital über die Börse ein, im Vorjahr waren es mit 15 auch nicht viel mehr. Die zusätzliche Zurückhaltung im Jahr 2016 dürfte an den weltpolitischen Spannungen und der anhaltenden Unsicherheit gelegen haben, vermutet Martin Steinbach, Leiter des Bereichs IPO und Listing Services bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. "Die Vorsicht der Investoren hat in der zweiten Jahreshälfte noch einmal deutlich zugenommen, was gerade kleinere IPO-Kandidaten zu spüren bekommen", sagt er. Kommt Scale da vielleicht gerade zu rechten Zeit?

Unter den bereits gelisteten Unternehmen sind zahlreiche Finanz- und Finanztechnologiefirmen wie Fin Lab oder MyBucks; die meisten waren zuvor bereits im Entry Standard vertreten. Investoren finden in dem neuen Segment zudem Anleihen, etwa des Bundesligisten Schalke 04 oder der Karlsberg-Brauerei. Mit neuen Kontrollmechanismen will die Deutsche Börse verhindern, dass sich die schlechten Erfahrungen mit dem Neuen Markt wiederholen. Um die Jahrtausendwende hatten zahlreiche Firmen ohne tragfähiges Geschäftsmodell Geld an der Börse eingesammelt. Nun müssen alle Firmen Mindestanforderungen erfüllen, um für Scale zugelassen zu werden: Der Umsatz muss bei mindestens zehn Millionen Euro liegen und die Marktkapitalisierung bei 30 Millionen Euro. Bevor eine Aktie zum Handel zugelassen werden kann, prüfen mit Morningstar und Edison zwei unabhängige Analysehäuser im Auftrag der Deutschen Börse die jeweiligen Unternehmen.

Nach Steinbachs Erfahrung denken Unternehmen über solche Details aber erst nach, wenn sie sich schon für die Börse entschieden haben - also für eine Eigenkapitalfinanzierung und gegen neue Schulden. "Ein Unternehmer, der Kapital benötigt, fragt sich zunächst, ob ein Börsengang überhaupt Sinn ergibt", sagt Steinbach, "das ist in erster Linie eine strategische Entscheidung." Das erlebe er immer wieder so, wenn er mit Firmen spricht, für die der Schritt an die Börse aus verschiedenen Motivationen infrage kommt.

Mittelständler finden derzeit viele attraktive Alternativen zu einem Listing an der Börse

Ein solcher Schritt ist auch immer eine Entscheidung gegen andere Wege, an frisches Eigenkapital zu kommen - und von denen gibt es derzeit zuhauf. So ist der Markt für außerbörsliche Firmenbeteiligungen ziemlich überhitzt. "Es ist mehr Geld im Markt, als es derzeit Beteiligungsmöglichkeiten gibt", sagt Sven Baumann, Managing Director im Investmentbanking der Citigroup in Frankfurt. "Ich kann mich kaum an vergleichbare Situationen mit einer vergleichbaren Anzahl von Bietern und einem so übersichtlichen Angebot von Assets erinnern." Investoren akzeptierten dabei inzwischen Preise, die man unter anderen Marktbedingungen als ambitioniert bezeichnen müsse. Dem vielen Geld für Unternehmensbeteiligungen steht mithin eine überschaubare Zahl von Firmen gegenüber, die dieses Geld überhaupt haben wollen. Und wenn derart viel Geld für Eigenkapitalfinanzierungen bereitsteht - warum sollten Unternehmer dann an die Börse gehen und den dortigen Transparenzpflichten gerecht werden?

Als Vehikel, um mögliche Investoren zu finden, braucht der Mittelstand sie derzeit jedenfalls nicht unbedingt. Kredite sind anhaltend einfach zu bekommen und günstig. Zudem ist ein Teilbörsengang oder eine Notierung bei geringen Unternehmenswert immer riskant: Der Privatbank Oddo Seydler zufolge gibt es nur etwa 100 professionelle Investoren in Deutschland, die in kleine und mittlere Werte investierten. Damit Scale rund läuft, sind die Aktiengesellschaften also auf ausländische Anleger angewiesen. Die Werte im kleinsten Börsensegment sind zudem oftmals nicht sehr liquide, sie werden also nicht oft gehandelt. Größere Kurssprünge nach oben und unten sind daher eher die Regel denn die Ausnahme.

Und nicht zuletzt hat die Börse hierzulande noch immer ein anderes Problem: "Ich glaube, der Kapitalmarkt hat kein gutes Image, das müsste sich zunächst deutlich verbessern", sagt EY-Experte Steinbach. Es wird sich zeigen, ob Scale dieses Image aufbessern kann. Im Herbst und Winter dieses Jahres rechnet die Börse mit den ersten größeren Aktienemissionen.

© SZ vom 09.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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