Sanktionen:Russland in der Käse-Krise

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So liebevoll wie in Krasnodar wird nicht überall mit dem Käse verfahren. (Foto: Valery Matytsin/imago)
  • Seit dem Importverbot für europäische Waren stellen Russen selbst Käse her.
  • Viele Erzeugnisse werden mit pflanzlichen Ölen und Wasser verlängert.

Von Antonie Rietzschel, Moskau

Der Höhepunkt des Tages ist ein weiß-gelber Klops. Er liegt auf dem braunen Tablett vor Olga Lasarewa, die mit einem großen Messer durch die glitschige Masse schneidet. Zwei Männer und drei Frauen schauen zu. Eine sagt voller Bewunderung: "Was für eine Schönheit", eine andere macht mit ihrem Smartphone ein Foto. Der Klops ist ein 2,5 Kilo schwerer Mozzarella. Lasarewa formt aus ihm lauter kleine Kugeln. Sie zieht, knetet und faltet die Masse und legt sie dann in ein Salzbad.

Bis vor anderthalb Jahren konnten die Russen den fluffigen Käse ohne Probleme in jedem Supermarkt kaufen, importiert aus Italien. Doch im August 2014 verbot Wladimir Putin die Einfuhr europäischer Produkte. Die fehlenden Äpfel aus Polen und das Fleisch aus Deutschland wurden mit Lieferungen unter anderem aus Weißrussland ausgeglichen.

Doch für spezielle Käsesorten aus Italien, Frankreich oder Belgien gibt es bisher kaum Ersatz. Parmesan, Camembert, Gorgonzola und auch Mozzarella kommen vor allem als Mitbringsel von Auslandsreisen ins Land. Das hat die Russen erfinderisch gemacht. Sie versuchen, Käse selbst zu machen. Dafür wenden sie sich an Leute wie Olga Lasarewa. Sie hat vor zwei Jahren einen Onlineshop eröffnet und verkauft Utensilien für die Käseherstellung, vom Calciumchlorid bis hin zu den Förmchen in denen der frische Käse ruhen muss. Auf Youtube zeigt sie, wie man verschiedene Käsesorten daheim herstellt. Derzeit sind vor allem Camembert und Brie gefragt.

Bakterien-Crashkurs in Moskau

Dank der Sanktionen läuft das Geschäft hervorragend. Noch im Juli 2014 verkaufte Lasarewa Waren im Wert von nur 5500 Euro. Mittlerweile liegt der Umsatz bei umgerechnet 118 000 Euro monatlich. Die Moskauerin hat ihr Büro im Süden der Stadt renoviert. In einer neu eingerichteten Küche veranstaltet sie eintägige Workshops. Die Teilnehmer bekommen einen Crashkurs über die Wirkung verschiedener Bakterien, sie lernen jeden Aggregatzustand der erhitzten Milch kennen. Mit ihren Pülverchen, Fläschchen und Spritzen wirkt Lasarewa wie eine Laborantin - wäre da nicht die Schürze mit den aufgedruckten Kühen.

In riesigen Töpfen entstehen schließlich einfache Käsesorten: Russischer Brinsa, dem Mozzarella gar nicht so unähnlich, aber von labbriger Konsistenz. Frischkäse aus Ziegenmilch mit Dill und Knoblauch. Ricotta und Mozzarella. Die Kursteilnehmer laufen von Teller zu Teller und löffeln alles direkt in den Mund. Die bereitstehenden Cracker ignorieren sie. Denn was sie hier geboten bekommen, ist in Russland nur noch selten: Käse, der den Namen auch verdient. Die staatliche Verbraucherschutzzentrale geht davon aus, dass es sich bei 80 Prozent der russischen Käsesorten um Fälschungen handelt. Auch das ist eine Folge der Sanktionen und sie betrifft nicht nur verwöhnte Großstädter, sondern das ganze Land.

2013 importierte Russland 257 000 Tonnen Käse aus Europa. Seit dem Einfuhrstopp ist die eigene Käseproduktion stark gestiegen. Gleichzeitig wurde weniger Milch produziert. Um die Nachfrage dennoch bedienen zu können, wird russischer Käse genauso wie Butter mithilfe pflanzlicher Öle hergestellt. Den Herstellern geht es darum, ein billiges Produkt zu erzeugen. Die Kosten lassen sich durch den Einsatz pflanzlicher Öle um das Dreifache drücken, berechnete der Vizepräsident der russischen Vereinigung der Milchbauern.

Gelbe Quader, die nach Plastik aussehen und auch so schmecken

In den Supermarktregalen steht ein scheinbar vielfältiges Angebot von Käsesorten: Produkte nach niederländischem und französischem Vorbild werden angepriesen, sogar Parmesan. Doch in den Verpackungen stecken oft gelbe Quader, die nach Plastik aussehen und auch so schmecken. Hinweise auf pflanzliche Öle finden sich kaum auf der Verpackung. Auch in Russland ist es strafbar, Produkte falsch auszuweisen, doch die Strafzahlungen sind für die Unternehmer so gering, dass sie in Kauf genommen werden.

Alexander Krupetskow weiß genau, woran man den falschen Käse erkennt. "Wenn man ihn erhitzt, verformt er sich nicht. Wenn man ihn zwischen den Fingern reibt, zerbröselt er." Krupetskow hat im Sommer vergangenen Jahres sein Unternehmen "Käse-Sommelier" gegründet. Sein Plan war es eigentlich, Käse aus Europa zu verkaufen. "Als die Sanktionen eingeführt wurden, dachte ich, ich könnte gleich wieder aufhören", sagt er. Doch der Moskauer hat einen Ausweg gefunden: In seinen zwei Läden und über das Internet verkauft er jetzt Produkte aus der Schweiz und aus Tunesien. Auch fünf russische Käsereien beliefern das Unternehmen. Der frühere Programmierer musste lange nach ihnen suchen. "Ich habe verschiedene Betriebe besucht und gesehen, wie der Käse dort gemacht wird. Milch wird beispielsweise mit Wasser vermischt", sagt der 29-Jährige und schüttelt sich angeekelt. "Das Problem ist, dass wir bisher keine festen Regularien für die Herstellung von Käse haben."

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Das Image des russischen Käses ist so schlecht, dass sich einige Kunden sogar weigern, die Produkte einheimischer Käsereien zu probieren. "Die Leute fragen nach typischen europäischen Produkten, weil sie darauf vertrauen", sagt Krupetskow und verdreht die Augen. In der Auslage liegt ein sehr schmackhafter Gorgonzola aus russischer Herstellung, der sich aber schlecht verkauft.

Krupetskow glaubt daran, dass sich in Zukunft einiges ändern wird. Die Einstellung der Leute, aber auch die Qualität des russischen Käses. "Wir haben ja keine andere Wahl. Die Sanktionen werden so bald sicher nicht aufgehoben", sagt er. Hoffnung macht ihm auch die Ankündigung, dass sich eine neu eröffnete Käserei nahe Moskau an Parmesan versucht. Der braucht mindestens ein Jahr, um zu reifen. Krupetskow will es auf jeden Fall probieren.

© SZ vom 31.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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