Sankt Petersburg:Schuld sind nicht nur die anderen

Die Stimmung beim Wirtschaftsforum ist gemischt - denn Russlands Probleme gehen über Sanktionen hinaus.

Von Frank Nienhuysen, St. Petersburg

Andrej Kostin muss sich gedulden, bis er in dem Saal im Pavillon Nr. 4 an der Reihe ist, aber dann bringt er Dynamik in die Runde. Kostin, Präsident der russischen Außenhandelsbank WneschTorgbank, schiebt seine Brille zurück, dann legt er los. Er sehe keinen Wunsch der Europäischen Union, das Verhältnis mit Russland zu verbessern, sagt er. "Ständig ist die Rede davon, dass es durch uns eine Bedrohung gebe, dass man die Sowjetunion wiederherstellen wolle. Deutschland ist ein führendes Land in der EU, und wir reden doch auch nicht davon, dass es Imperialismus im Sinn hat." Das sei eine gefährliche Tendenz, sagt Kostin - es gibt Applaus. Alexej Mordaschow sitzt nur einen Meter weiter, Milliardär, einer der Reichsten Russlands, Präsident des Stahlkonzerns Sewerstal. Bei ihm hatte Minuten zuvor alles sanfter geklungen, vielleicht durchdrungen von der Sehnsucht, die Kalamitäten der jüngsten Zeit hinter sich zu lassen. Mordaschow war der Einzige am Runden Tisch, der das Wort Ukraine in den Mund nahm. Er sprach von einem riesigen Stein, der das Verhältnis zwischen Russland und der EU belaste, "sehr traurig" sei das. "Klar, es gibt politische Umstände, aber so oder so, wir sind große Partner, und wir werden dies auch bleiben." Mordaschows Tonfall ist in St. Petersburg häufiger hörbar gewesen.

Ein Jahr ist es her, dass das Internationale Wirtschaftsforum an der Newa - die Prestigeveranstaltung des Jahres - einer Schockwelle gleich vom Ukraine-Konflikt erfasst wurde. US-Präsident Barack Obama erließ praktisch ein Teilnahmeverbot für amerikanische Konzernchefs, die meisten Europäer blieben fort. Der Ukraine-Konflikt tobt seitdem nicht minder schwer, die EU wird ihre Sanktionen gegen Russland am Montag verlängern. Und doch ist es, als versuche man sich einzurichten auf dem gesunkenen Niveau. "Die Sanktionen sind jetzt Teil des regulatorischen Rahmens, man geht pragmatisch damit um", sagt der Deutsche Frank Schauff, Vorsitzender der Association of European Businesses. "Und die meisten haben gemerkt, dass die Sanktionen nicht die größte Rolle spielen für die wirtschaftlichen Probleme Russlands, sondern der niedrige Ölpreis und die Schwäche des Rubels."

Nicht zu ihnen gehört demnach Heinz Hermann Thiele, und er hat den besten Platz, um zu sagen, wie sehr ihn die Sanktionen stören. Er sitzt auf der großen Bühne, hinter ihm das an die Wand projizierte Panorama St. Petersburgs mit dem Winterpalast, neben ihm den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Der hält die Krise in Russland praktisch für überwunden und vernimmt sichtlich gern, was der Chef von Knorr-Bremse sagt. Dass die Sanktionen falsch seien, "tragisch", und dass die Asiaten Russland nun vieles anbieten könnten.

Preparations Ahead Of The Saint Petersburg International Economic Forum 2015

Warten und sich einrichten im Status quo: Diese Einstellung praktizieren die Teilnehmer des Wirtschaftsforums in jeder Hinsicht.

(Foto: Andrey Rudakov/Bloomberg)

Einige Konzernchefs aus den USA sind wieder da, diesmal wurde ihnen die Teilnahme freigestellt. Im Pepsico-Zelt, neben einer langen Theke und kolossalen Kühlschränken, Batterien von Cola-Flaschen und russischen Säften, sitzen Amerikaner tief in weichen Sesseln und erzählen von Investitionen, der Bedeutung einer zuverlässigen, transparenten Justiz. Sicher, der Handelsumfang zwischen Russland und den USA hält sich seit Langem in Grenzen, aber es ist nicht so, wie in Russland bisweilen gesagt wird, dass China, Japan, Korea, der asiatische Markt, kompensieren könnten, was im russisch-europäischen Handel zuletzt eingebrochen ist.

Vor wenigen Tagen erst hatte Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew sich bei den westlichen Ländern noch spöttisch für deren Sanktionen bedankt. Sie würden mit gewaltigem Tempo die Verbindungen mit Asien vertiefen.

Bei den Teilnehmern des Forum hörte sich das oft anders an. Zu den westlichen Kapitalmärkten gebe es keine Alternative, "und wird es nicht geben, die nächsten Jahre jedenfalls sicher nicht", sagt German Gref, Leiter der größten russischen Bank, der Sberbank. Und Medwedjews Stellvertreter Igor Schuwalow betont: "Wir vollziehen keinen Wandel Richtung Osten, wir wollen mit beiden Seiten die Handelsbeziehungen entwickeln", sagt er. "Es gibt nichts Gutes in der Krise."

Diese Krise geht weit über Sanktionen hinaus. Zu ihnen kommen niedrige Energiepreise, Rubelschwäche und Strukturkrise. Die Wirtschaft sinkt in diesem Jahr um geschätzte drei Prozent, Investitionen sind um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen, das Realeinkommen ebenso, der Konsum um fast zehn Prozent zurückgegangen. Gestiegen sind die Preise und die Zahl der Russen, die unterhalb der Armutsschwelle leben. Auch russische Teilnehmer lassen es nicht gelten, die Ursachen vor allem im Westen zu suchen. Derartige Vorwürfe sind überhaupt selten in den Zelten des Petersburger Expo-Geländes.

Gas soll durch Griechenland fließen

Die zwischen Russland und der Türkei geplante Pipeline Turkish Stream soll ab 2017 auf griechischem Gebiet verlängert werden. Das vereinbarte Griechenlands Premier Alexis Tsipras Wirtschaftsgipfel in Sankt Petersburg mit der russischen Regierung. Russland hatte Griechenland Hunderte Millionen Dollar an Transitgebühren versprochen, wenn es dem Bau der Gasleitung zustimmen würde. Die Arbeiten sollen 2019 abgeschlossen sein. Ende vergangenen Jahres hatte Wladimir Putin die Route South Stream abgesagt. Sie sollte jährlich 63 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas über den Boden des Schwarzen Meeres nach Bulgarien befördern und den bisherigen Weg über die Ukraine in die EU ersetzen. Die Wettbewerbsregeln der Europäischen Union erlauben nicht, dass einem Gaslieferanten gleichzeitig auch die Leitungen gehören. Stattdessen soll Turkish Stream nun nach 660 Kilometern auf der alten South-Stream-Strecke abbiegen und nach weiteren 250 Kilometern nahe dem Ort Kiyiköy an der türkischen Küste landen. Von der türkisch-griechischen Grenze soll jetzt weiter gebaut werden. Allerdings greifen auch dann wieder die europäischen Regeln. Wie damit umgegangen werden soll, blieb am Freitag offen. Am Donnerstag hatte Gazprom überraschend verkündet, eine zweite Pipeline auf der Nord Stream-Route durch die Ostsee in Betrieb nehmen zu wollen. Beide Projekte haben das Ziel, die Ukraine als Transitland zu umgehen. Julian Hans

Das Land sei im Umbruch, sagen Experten. Sie fordern Strukturreformen

Gref, einst sieben Jahre lang Wirtschaftsminister, zeigt mit Neid ausgerechnet auf das amerikanische Silicon Valley, auf die private Initiative tausender Unternehmen, die dort vom Staat gefördert würden. "Wir begreifen gar nicht, was da läuft", sagt Gref, "der Staat muss eigentlich ganz banale Dinge tun: das Investitionsklima verbessern, dann läuft alles von selber. Wir sind nicht so gut, was den Wandel angeht. Keiner will sich mit den Problemen von morgen beschäftigen. Aber was wird aus unseren Kindern in Zeiten der Kapitalflucht?" Und dann: "Die Krise ist das Ergebnis von schlechtem Management." Konkreter wird er nicht.

Alexej Kudrin, viele Jahre Finanzminister, mittlerweile an der St. Petersburger Universität und noch Freund von Wladimir Putin, kritisiert das Verlangen nach zunehmender Kontrolle. Er verlangt auch mehr Demokratie. "Russland braucht die freie Diskussion mit Blick auf die Regierung. Hier gibt es einen Rückschlag. Die Medien erklären nur und schützen die Politik der Regierung. Sie heben etwas hervor, und sie verschweigen. So entsteht eine Atmosphäre der Zufriedenheit." Russland stehe vor einem Umbruch, sagt Kudrin, ohne Abhängigkeit vom Öl. Aber dazu brauche es Strukturreformen, mehr Privatisierung. Und mehr Investitionen aus dem Ausland. Unternehmen werde es aber schwerer gemacht.

Der russische Staat, ganz auf Kontrolle fokussiert, solle sich wieder mehr heraushalten aus der Wirtschaft, das ist eine der Botschaften des Forums. "Wann hört die Regierung endlich auf, ineffizient zu arbeiten?", fragt ein russischer Vertreter der Industriewirtschaft bei einer Diskussionsrunde mit dem Titel "Notwendigkeit einer Regierungsreform". Er provoziert einen Lacher, den Grund dafür liefert das Auditorium Minuten später selber. Bei einer anonymen Abstimmung drückt eine Mehrheit von 48,2 Prozent von mehreren Möglichkeiten die Antwort vier. Diese lautet: "Ich glaube nicht an eine erfolgreiche Regierungsreform, weil nicht genügend politischer Wille vorhanden ist."

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