Sanierung von Unternehmen:Mit allen Mitteln

Illu Mittelstand

Illustration: Stefan Dimitrov

Die Insolvenz in Eigenverwaltung kann Firmen aus einer Finanzmisere helfen. Unter Aufsicht eines externen Sachverwalters bleibt die Geschäftsführung selbst im Amt. Doch für die Unternehmer ist das oft ein emotionaler Kraftakt.

Von Stefan Weber

Stefan Pfeiffer war mit seinem Busunternehmen im beschaulichen Bad Zwischenahn gut im Geschäft gewesen. Seine Fahrzeuge rollten für öffentliche Nahverkehrsunternehmen, Schulen und Behinderteneinrichtungen. Außerdem vermietete er an Privatpersonen und führte Touristikfahrten durch. Als 2013 der Fernbusverkehr liberalisiert wurde, witterte Pfeiffer neue Chancen für das 1966 von seinem Vater gegründete Unternehmen. Er schloss einen langfristigen Vertrag mit dem Frankfurter Fernbusanbieter City 2 City und investierte gut eine Million Euro in neue Fahrzeuge. "Doch damit begannen die Probleme", sagt der Unternehmer. City 2 City konnte im harten Wettbewerb nicht mithalten und meldete schon bald Insolvenz an. Damit fehlten Pfeiffer von jetzt auf gleich monatlich 150 000 Euro Umsatz. Hektisch versuchte er mit anderen Fernbusanbietern ins Geschäft zu kommen. "Aber irgendwann lief mir die Zeit davon, und das Geld wurde knapp." Zusätzliches Pech: Zwei Busse blieben wegen Motorschäden liegen, was weitere 40 000 Euro verschlang. "Damit", so erinnert sich der Firmenchef, "wurde es richtig eng."

Ein befreundeter Steuerberater berichtete Pfeiffer von einer noch weitgehend unbekannten Option, ein Unternehmen zu sanieren: über eine Insolvenz in Eigenverwaltung. Rechtliche Grundlage dafür ist das im März 2012 in Kraft getretene Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, kurz ESUG. Bei dieser Variante des Insolvenzverfahrens bleibt die Geschäftsführung im Amt und entwickelt unter Aufsicht eines vom Gericht bestellten Sachverwalters einen Neustart. Der wird dadurch erleichtert, dass das ESUG betroffenen Unternehmen eine Vielzahl von Wegen eröffnet, Liquidität zu schöpfen.

So werden Löhne und Gehälter bis zu drei Monaten aus den Mitteln des Insolvenzgelds finanziert. Zudem zahlen betroffene Unternehmen während des zumeist dreimonatigen Verfahrens weder die Umsatzsteuerlast (das ist die Differenz zwischen eingenommener und zu zahlender Umsatzsteuer) noch Lohnsteuer oder sonstige Steuern. Weiterhin können sie sich vergleichsweise leicht aus für sie ungünstigen Liefer- und Mietverträgen sowie von verlustreichen Kundenaufträgen befreien. Die ungesicherten Gläubiger erhalten nur einen geringen Teil ihrer Forderungen erstattet. Die Sanierung erfolgt im Einvernehmen mit den Gläubigern (meist Lieferanten, Banken, Finanzamt, Arbeitsamt, Arbeitnehmervertreter), dem Sachwalter und dem Insolvenzgericht.

"Das ist eine Extremsituation. Man darf keinen Fehler machen."

"Diese gesetzlich geregelten Anreize sollen Unternehmen bewegen, möglichst frühzeitig eine Insolvenz ins Auge zu fassen. Jedoch kann eine Sanierung auf diesem Weg nur gelingen, wenn die Unternehmen im Kern gesund und durch ein isoliertes Problem in Schwierigkeiten geraten sind", erläutert Robert Buchalik, Partner des Beratungsunternehmens Buchalik Brömmekamp, das sich auf die Restrukturierung und Sanierung von Unternehmen spezialisiert hat.

Gleichwohl: Am Anfang steht die Anmeldung der Insolvenz, was in Deutschland vielfach als Eingeständnis geschäftlichen Versagens interpretiert wird. Auch für Stefan Pfeiffer war dieser Schritt ein emotionaler Kraftakt. "Ich bin hier in der Region aufgewachsen, kenne viele Leute und bin auch in der lokalen Politik sehr aktiv."

In einer ähnlichen Situation steckte im Frühjahr 2015 auch Ulrich Oehm, Geschäftsführender Gesellschafter des Automobilzulieferers Oehmetic in Wilnsdorf bei Siegen. Eine große Presse, mit der sein Unternehmen Serienteile für große Fahrzeughersteller fertigte, war kurzfristig ausgefallen, und Oehmetic war von einem auf den anderen Tag nicht mehr lieferfähig. Auch war nicht abzusehen, wann die Maschine wieder einsatzbereit sein würde. Der schlimmste mögliche Fall für einen Automobilzulieferer, der meist Teil einer eng verzahnten Lieferkette ist. "Wenn Automotivkunden an der Lieferfähigkeit eines Einzelnen zweifeln, denken sie über Alternativen nach, um den gesamten Ablauf nicht zu gefährden", sagt Oehm. Als sich die Rechnungen häuften und auch nach Wochen nicht absehbar war, wann Oehmetic wieder produzieren würde, prüfte der Geschäftsführende Gesellschafter die Alternativen - und stieß per Zufall auf die Möglichkeit der Sanierung über eine Insolvenz in Eigenverwaltung. Aber wie Busunternehmer Pfeiffer sorgte auch er sich zunächst, mit der Anmeldung der Insolvenz "gebrandmarkt" zu sein als jemand, der gescheitert ist. "In der Automotivbranche arbeitet niemand gerne mit einem unsicheren Kandidaten zusammen, weil das möglicherweise den gesamten Produktionsprozess gefährdet", so Oehm.

Lange abwarten und darauf setzen, dass sich doch noch alles zum Guten wendet, konnten weder Pfeiffer noch Oehm. Sie mussten handeln, solange ihr finanzieller Spielraum noch nicht gänzlich erschöpft war. "Eine Insolvenz in Eigenverwaltung ist nur möglich, wenn Unternehmen noch über ausreichend Mittel verfügen oder im Insolvenzverfahren generieren, um die Verfahrenskosten und einen Neustart zu finanzieren", erläutert Berater Buchalik. Pfeiffer warf seine Bedenken über Bord und meldete am 16. Januar 2016 Insolvenz an.

Zuvor hatte er mit Hilfe von Beratern einen Rahmenplan für die Sanierung erstellt, mit wichtigen Gläubigern gesprochen und die Mitarbeiter informiert. Dann ging es an die Feinarbeit. Im Zusammenspiel mit dem Sanierungsgeschäftsführer korrigierte der Busunternehmer sein Geschäftsmodell. Er zog sich aus der Bustouristik zurück, verstärkte die Mannschaft in der Werkstatt und schuf neue organisatorische Strukturen. Die Marschroute lautete: Konzentration auf das Kerngeschäft mit Nahverkehrsunternehmen, Schulen und Behinderteneinrichtungen. "Ich bin offen mit der Situation umgegangen, habe mich nicht weggeduckt", betont Pfeiffer. Kein Kunde sprang ab, und selbst im laufenden Insolvenzverfahren gelang es, neue Aufträge zu akquirieren.

"Offensiv kommunizieren" - damit machte auch Oehm nach Anmeldung der Insolvenz im Sommer 2015 gute Erfahrungen. Nur so ließen sich Lieferanten, Kunden, Kreditversicherer und Mitarbeiter bei der Stange halten, meint er. Aber: "Das ist eine Extremsituation. Man darf keinen Fehler machen. Ohne professionelle Unterstützung geht so etwas nicht." Es ist gutgegangen. Oehmetic verlor in der Insolvenzphase keinen Kunden und arbeitete seine im Sanierungskonzept definierten Schwächen konsequent ab. Fertigungsabläufe wurden optimiert und eine moderne, vollautomatische Schweißanlage angeschafft, um vermehrt Kundenaufträge zu erfüllen. Im August 2016 hob das Amtsgericht Siegen das Eigenverwaltungsverfahren auf. Damit galt Oehmetic als erfolgreich saniert und entschuldet. "Die Eigenverwaltung hat uns ermöglicht, das Unternehmen eigenständig fortzuführen. Ohne dieses Verfahren wäre Oehmetic wenige Wochen später möglicherweise in die Regelinsolvenz gefallen oder es hätten sehr kurzfristig Beteiligungspartner gefunden werden müssen", meint Oehm.

Das Insolvenzverfahren Pfeiffer Busreisen wurde im September 2016 aufgehoben. Heute hat der Sohn des Gründers wieder uneingeschränkt das Sagen. "Es hat sich viel verändert. Aber es ist mein Unternehmen geblieben", sagt Stefan Pfeiffer. Im Februar 2017 hat er die Firma in Primo Regio umbenannt - auch das soll einen Neuanfang demonstrieren. Vereinzelte Vorwürfe, die Eigenverwaltung ermögliche es angeschlagenen Unternehmen, sich zu Lasten von Steuerzahlern und Gläubigern zu sanieren, kann Pfeiffer nicht nachvollziehen. "Das Verfahren ist rechtlich zulässig und politisch ausdrücklich gewollt. Die Alternative wäre gewesen, dass mein Unternehmen in einer Regelinsolvenz abgewickelt worden wäre und die 150 Mitarbeiter ihren Job verloren hätten. Heute beschäftige ich mehr Mitarbeiter als vorher", betont er. Berater Buchalik rechnet vor, dass die Belastungen für Steuerzahler und Gläubiger im Fall einer Regelinsolvenz deutlich höher sind. "Beschäftigte, die ihren Job verlieren, müssen aus öffentlichen Kassen unterstützt werden. Und die Insolvenzquoten für die Lieferanten sind deutlich geringer als in der Eigenverwaltung."

Von den insgesamt 21 500 Insolvenzverfahren im vergangenen Jahr wurden etwa 300 in Eigenverwaltung durchgeführt. Das klingt nach wenig. Aber nach Ansicht von Buchalik eigneten sich auch nur etwa 1000 Fälle für diese Option - weil sie die erforderliche Größe und Verfassung besaßen. "Hinzu kommt", so sagt er, "dass viele Unternehmer diese Möglichkeit der Sanierung noch nicht kennen."

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