Samstagsessay:Vati und Mutti

Die Parteien machen Familien im Wahlkampf große Versprechen. Doch oft ist das nur teure Symbolpolitik oder bedient Geschlechterrollen von gestern.

Von Alexander Hagelüken

Auf dem Gang durch die Fußgängerzone hat sie jeder schon mal gesehen: Jene Verkäufer, die ihre Gemüsehobel besonders lautstark anpreisen, locken die meisten Menschen an ihren Stand. Wer diesen Hobel zu Hause in der Küche an die Gurke führt, erlebt allerdings häufig eine Enttäuschung. So ähnlich läuft es in diesem Wahlkampf bei der Familienpolitik. Die Parteien überbieten sich darin, die Menschen durch Versprechen an ihren Stand zu locken. Der Weg zum Wahlsieg, er soll über die Familie führen.

Sieht man einmal von der AfD ab, die den "Erhalt des eigenen Staatsvolks" ins Zentrum stellt, scheinen sich die Versprechen sogar zu ähneln: mehr Geld, mehr Verständnis für arbeitende Eltern, und den Kindern soll es sowieso besser gehen. Zu Hause in der Küche wird sich jedoch mancher Hobel als Enttäuschung erweisen. Manche Partei verspricht vor allem teure Symbolpolitik, die Eltern und ihren Kindern wenig bringt. Dagegen fehlt es an echter Hilfe für die heutige Lebensrealität der meisten Eltern und ihrer Kinder. Auch weil einige Parteiprogramme immer noch der Geist jener Tage durchweht, als Vati arbeiten ging, während Mutti zu Hause in der Küche blieb.

Wer diese überkommenen Vorstellungen pflegt, lässt Familien von heute im Stich. Und das in einer sehr fordernden Zeit, in der gleichzeitig

- die Ansprüche der Arbeitgeber in der digitalen Ära steigen

- in der Regel beide Eltern arbeiten wollen und/oder müssen

- die Mieten für ausreichend große Wohnungen in Städten rasant steigen

- die Kinder unbedingt eine gute Ausbildung brauchen

- und sich länger um immer älter werdende Großeltern zu kümmern ist.

Statt Unterstützung für diese Lebenslage bieten einige Parteien vor allem Symbolpolitik. Bestes Beispiel dafür sind die versprochenen Erhöhungen des Kindergeldes. "Kindergeld rauf!", plakatiert die CSU. Das tönt schön laut, und jeder versteht es. Aber was bringt es? Die Union will das Kindergeld um 300 Euro erhöhen - im Jahr. Das ist weniger, als manche Eltern für den Kitaplatz ausgeben - im Monat.

Die Grünen wollen Familien mit kleinen Einkommen einen Bonus zahlen - gut so

Mehr Kindergeld für alle, das ist Gießkannengetröpfel. Bei Normalverdienern geht es in der Haushaltskasse unter. Für Wenigverdiener müsste die Erhöhung stärker ausfallen, um einen wirklichen Effekt zu haben. Doch dafür reicht das Geld nicht, wenn die Erhöhung unterschiedslos allen Millionen Eltern zukommt. Denn schon der Plan der Union dürfte fünf Milliarden Euro im Jahr kosten.

Gutverdiener profitieren von Steuerfreibeträgen, die die Union ebenfalls erhöhen will, stärker als es die Masse vom Kindergeld tut. Deshalb hat ihr vermeintlich toller Vorschlag für Familien auch noch soziale Schlagseite: Er vergrößert tendenziell die finanziellen Unterschiede zwischen oben und unten. Wenn schon mit dem Kindergeld operieren, dann bitte so wie etwa die Grünen. Sie lehnen die Privilegierung der Gutverdiener ab. Stattdessen planen sie, Familien mit kleinen Einkommen einen Bonus zu zahlen.

Unterschiedslos ein bisschen mehr Kindergeld für alle, das erscheint dagegen als ein erschreckend fantasiearmer Vorschlag. Es lässt tief blicken, dass die Union so etwas als ihre zentrale Forderung in der Familienpolitik versteht.

Forscher haben nachgewiesen, dass traditionelles Kindergeld nicht taugt, um zum Beispiel Paaren einen Anreiz zu geben, trotz der absehbaren Kosten und Einschränkungen in Beruf und Freizeit Kinder zu bekommen. Eine Milliarde Euro für Kita-Plätze hat eine fünf Mal so starke Wirkung auf die Geburtenrate wie dieselbe Summe mehr Kindergeld. Eine alternde Gesellschaft mit geringer Geburtenrate, der die Finanzierung ihres Sozialsystems zu platzen droht wie eine Seifenblase, sollte das berücksichtigen.

Aber dafür müssten alle Politiker die Lebensrealität heutiger Familien zur Kenntnis nehmen. Und die sieht so aus: Während vor einem Vierteljahrhundert nur die Hälfte der westdeutschen Frauen zwischen 15 und 65 arbeiten ging, sind es inzwischen 70 Prozent. Wer Schülerinnen und Rentnerinnen herausrechnet, dürfte auf einen noch höheren Anteil kommen. Im Regelfall gehen also Mann und Frau in die Arbeit. Und bevor sie Kinder kriegen, wollen sie sicherstellen, dass diese betreut werden. Überhaupt und möglichst gut.

Zwar sind die Kitas in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut worden. Aber es klaffen noch deutliche Lücken, auch bei der Betreuung von Schulkindern am Nachmittag. Union, SPD und Grüne fordern unisono einen Rechtsanspruch auf Betreuung auch im Grundschulalter, teilweise noch darüber hinaus. Das klingt wie eine gute Idee, auch wenn manche Eltern schon festgestellt haben, wie schwierig es sein kann, einen solchen Anspruch durchzusetzen. Woran es den meisten Parteien jedoch mangelt, ist das Augenmerk auf die Qualität der Betreuung zu legen. Denn es gibt große Unterschiede. In Baden-Württemberg ist ein Kita-Erzieher für sieben Drei- bis Sechsjährige verantwortlich. In Mecklenburg-Vorpommern muss er oder sie doppelt so viele Kinder beaufsichtigen.

Um Familien wirklich zu helfen, müssten die Politiker auch die berufliche Situation der Eltern in den Blick nehmen. Denn für sie geht es darum, Nachwuchs und Arbeit zu vereinbaren. Vielleicht mehr Zeit für die Kinder zu haben, wenn sie kleiner sind. Und trotzdem im Beruf nicht durch zu viele Teilzeitjahre und zu wenige Arbeitsstunden den Anschluss zu verlieren, sowohl bei der Karriere wie bei der Bezahlung, die auch noch über die spätere Rente entscheidet. Zudem würden sich mehr und mehr Mütter und Väter gerne die Betreuung der Kinder stärker teilen. In der Realität jedoch arbeiten 70 Prozent der Mütter mit Kindern unter 15 Teilzeit - und fünf Prozent der Väter.

Angebote für diese Eltern sollten ein Zentrum neuer Familienpolitik bilden. Die SPD hat dazu ein eigenes Modell entwickelt: Wenn sowohl Mutter als auch Vater ihre Stundenzahl vorübergehend auf 26 bis 36 Stunden reduzieren, sollen sie 300 Euro Kompensation im Monat erhalten. Grundsätzlich sollen sie das Recht haben, von Teilzeit in Vollzeit zurückzukehren, damit vor allem Mütter nicht den beruflichen Anschluss verlieren. Beide Elemente in Kombination würden es besser ermöglichen, Beruf und Kinder zu vereinbaren.

Drei Thesen

These 1: Ein bisschen mehr Kindergeld für alle nutzt niemandem

These 2: Kinder sind oft schlecht mit Beruf und Karriere vereinbar

These 3: Wer Familien ernsthaft finanziell fördern will, muss das Steuersystem umbauen

Es ist aufschlussreich, dass auf einmal auch die Union solche Versprechen macht, wenn auch in weit vagerer Form. Offenbar orten CDU/CSU hier ein Interesse der Wähler und wollen sie an ihren Stand locken. Aufschlussreich ist der Vorgang vor allem deshalb, weil die Union gerade vier Jahre gemeinsam mit den Sozialdemokraten eine Regierung bildete - und in dieser Zeit verhinderte, dass beide Vorschläge Gesetz wurden.

Am Ende des Tages zeigt sich, dass die Union eben nur auf der Stimmung surfen möchte, bei der sie den Wählerwillen vermutet. Sie propagiert als Leitbild das "flexible Zwei-Verdiener-Modell", doch ihr fehlt der Mut, sich wirklich um die Zwei-Verdiener-Familien zu kümmern. Sie hängt noch in der 50er-Jahre-Welt von Vati und Mutti fest.

Wenn die Union wie erwartet stärkste Partei in einer neuen Regierung wird, stehen deshalb die Chancen schlecht, dass es zu einer angemessenen monetären Förderung von Familien kommt. Und nicht nur zu ein bisschen mehr Kindergeld. Um eine angemessene Förderung wirklich dauerhaft zu finanzieren, müsste man nämlich das Steuersystem umbauen: Durch eine Abschaffung des Ehegattensplittings, die bis zu 15 Milliarden Euro bringen würde. Beim Splitting wird das Einkommen beider Ehepartner addiert, halbiert und der Steuersatz an dieser Hälfte ausgerichtet. Ein kinderloser Alleinverdiener mit einem Spitzeneinkommen von 120 000 Euro zahlt dadurch im Wesentlichen denselben Steuersatz wie zwei Eltern, die jeweils ein Mittelschichtsgehalt von 60 000 Euro verdienen (aber sogar noch höhere Sozialbeiträge leisten). Das Splitting fördert die Ehe, nicht die Familie. Und es gewährt den maximalen Vorteil, wenn Mutti in der Küche bleibt.

Das Ehegattensplitting zementiert die klassische Rollenaufteilung. Weg damit!

Modern wäre es, durch eine Abschaffung des Splittings nicht mehr die Ehe zu fördern - sondern nur die Familie mit Kindern, und das substantiell. Nur so lassen sich die beträchtlichen finanziellen Belastungen der Eltern verringern, die jene Kinder in die Welt setzen, ohne die das umlagefinanzierte deutsche Sozialsystem untergeht. Zu diesen Belastungen zählt im Übrigen auch die Bezahlung einer Wohnung mit einem oder mehreren Kinderzimmern, in deutschen Städten zudem eine immer größere Herausforderung.

Doch die Union steht unbeirrt hinter dem Ehegattensplitting, das die klassische Rollenaufteilung zementiert, wonach die Frau wenig oder gar nicht arbeiten geht. Auch die FDP, die sich ansonsten Verschiedenes zur Förderung von Eltern und ihren Kindern ausgedacht hat, bleibt in diesem Punkt erzkonservativ. Und selbst SPD und Grüne hat hier der Mut verlassen. Sie wollen zwar Familien gezielt steuerlich fördern. Doch wer vom alten System profitiert, soll es weiter nutzen können.

Selbst die familienpolitisch deutlich progressiveren Parteien fürchten offenbar einen Einspruch des Verfassungsgerichts, falls sie das Splitting kippen. Oder den Widerspruch jener Wähler, die per Alleinverdiener-Ehe einen Steuervorteil nutzen, für den es im Deutschland des Jahres 2017 keine Rechtfertigung mehr gibt. Nur die Linke will das Splitting komplett streichen. Doch das ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse nur eingeschränkt von Bedeutung.

So dürfte es dabei bleiben, dass Familien mit Kindern weit weniger Geld zur Verfügung steht als anderen gesellschaftlichen Gruppen. Vor diesem Hintergrund wirken auch die Versprechen von Union und SPD fragwürdig, Eltern und ihren Kindern den Bau eines Eigenheims zu erleichtern. Familien einen Zuschuss zu gewähren, damit sie Eigentum bilden, ist sicher gut gemeint. Die Frage ist, wie vielen Familien von ihrem Lohn genug bleibt, um ein solches Projekt in Angriff zu nehmen.

Kinderlose Paare in Deutschland besitzen im Schnitt, also unabhängig vom Beruf, ein Vermögen von 100 000 Euro. Bei Eltern mit zwei Kindern ist es halb so viel.

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