Samstagsessay:Unser Schatz

Deutschland besitzt mehr als 3000 Tonnen Gold. Es liegt auch in Tresoren in New York und Paris. Einen Teil davon holt die Bundesbank jetzt zurück. Stoff für Verschwörungstheorien.

Von Thomas Steinfeld

Der Film "Die Hard with a Vengeance" ("Stirb langsam: Jetzt erst recht") endet mit einem vollständigen Sieg der Guten, jedenfalls in der Version, die im Jahr 1995 in die Kinos kam. Polizeileutnant John McClane, gespielt von Bruce Willis, schießt in den Isolator einer Überlandleitung, ein Kabel fällt herunter und fängt sich im Rotor des feindlichen Hubschraubers. Dieser verwandelt sich in einen Feuerball, und die Verbrecher sind tot. Die Goldbarren im Wert von 140 Milliarden Dollar aber, die aus der Federal Reserve Bank in New York geraubt und schon mit einem Konvoi von Kipplastern nach Kanada gebracht worden waren, kehren in die tiefen Keller der Bank zurück. Gefilmt wurde indessen auch ein anderes Ende, das dann aus moralischen Gründen verworfen wurde. Darin kommt der oberste Verbrecher zunächst davon, nimmt seinen Schatz mit und muss schließlich von John McClane in Ungarn aufgespürt werden. Bis zu diesem Finale, heißt es im Film, seien etliche Staaten bankrott gegangen.

Das ist eine gewagte Fiktion. Zwar werden in den Tresoren der Federal Reserve Bank fast ausschließlich die Goldreserven fremder Länder verwahrt. Ungefähr 60 Staaten sollen dort einen Teil ihres Vermögens lagern. Wenn jedoch einige von ihnen durch einen Goldraub ruiniert worden sein sollen, kann es sich nur um besonders arme Länder handeln. Denn im Zahlungsverkehr zwischen den wohlhabenden und stabilen Staaten der Welt spielt Gold nur noch eine so geringe Rolle, dass es schon seit Jahrzehnten heißt, das Metall gehöre eigentlich "demonetarisiert". Es solle also nicht mehr als allgemeines Geld fungieren können.

Als solches, das heißt: als Zahlungsmittel schlechthin, hatte es seit Jahrtausenden gedient. Doch das galt nur, bis das Abkommen von Bretton Woods (1944) in den frühen Siebzigern aufgegeben wurde. Seitdem sind die Währungen der größeren Volkswirtschaften "konvertibel". Und das heißt nicht nur, dass man sie gegeneinander tauschen kann, sondern auch, dass sich die Staaten mit solchen Währungen gegenseitig verpflichten, das Geld der jeweils anderen Nationen als Zahlungsmittel anzuerkennen. Im Grunde genommen ist dann jede dieser Währungen "Weltgeld". Wer braucht noch Goldreserven, wenn eine ganze Gemeinschaft von mächtigen Staaten für die Gültigkeit von Geldzetteln oder elektronisch notiertem Geld bürgt?

Drei Thesen

Der Film: Bruce Willis rettet das Gold der Notenbank

Der Mythos: Das Gold symbolisiert den Wohlstand der Staaten

Der Alltag: Der Rechnungshof fordert eine ordentliche Buchführung

Mehr als 3000 Tonnen Gold besitzt Deutschland. Fast die Hälfte davon ruhte noch vor vier Jahren im New Yorker Keller. Fast 400 Tonnen lagerten in Paris. Dann beschloss die Bundesbank, einen Teil der in New York liegenden Reserven (sie reduzieren sich damit von 45 auf 37 Prozent der Bestände) sowie das gesamte in Frankreich verwahrte Gold nach Frankfurt bringen zu lassen.

Für die Auflösung des Pariser Depots gibt es vermutlich einen guten Grund: Welche Risiken im Zahlungsverkehr zwischen Währungen wären mit Gold zu decken, wenn man das gleiche Geld benutzt? Die Überführung des Goldes aus den Vereinigten Staaten indessen beflügelt die Fantasie, zumal sie deutlich schneller vollzogen wurde, als ursprünglich geplant war: Erst im Jahr 2020 sollten beide Transporte abgeschlossen sein, jetzt aber fehlt nur noch eine geringe Menge der Pariser Bestände.

Die Vorstellungskraft kennt bei Fragen der Gelddeckung keine Grenzen

Man werde das Gold vielleicht noch brauchen, sagen die Verschwörungstheoretiker, um die Rückkehr Deutschlands zu einer eigenen Währung zu decken. Oder man habe es beschleunigt aus den Vereinigten Staaten abgezogen, weil auf den neuen Präsidenten kein Verlass sei. Oder, vorsichtiger spekuliert: weil man damit rechne, den Euro stützen zu müssen, falls die Niederlande, Frankreich oder Italien - und vielleicht alle drei Staaten - demnächst die gemeinsame Währung verlassen sollten. Die Vorstellungskraft kennt bei den Fragen der Gelddeckung keine Grenzen, und so sind denn auch zahlreiche Theorien im Umlauf, die dunkle Machenschaften am Werk sehen: Das Gold sei, weil Ausländern zur Aufsicht überlassen, vielleicht gar nicht mehr da, sondern gestohlen, verliehen oder gepfändet. Oder es sei möglicherweise durch Attrappen ersetzt worden, sodass man jeden einzelnen Barren im eigenen Land durchbohren oder einschmelzen lassen müsse, um seinen Gehalt zu prüfen. Eine besonders beliebte Theorie der Verschwörung gilt dabei dem deutschen Gold, das in Paris gelagert wurde: Tatsächlich sei es von der französischen Regierung längst veruntreut worden. Als Deutschland es dann anforderte, habe man Krieg in Mali führen müssen, in einem Land, das zu den größten Goldproduzenten der Welt gehört. Am Ende hätte dann kein Deutscher etwas gemerkt.

Die Sorge, die dem deutschen Goldschatz gilt, wird von einer Unruhe getragen, die vermutlich weniger mit dem Gold zu tun hat (da hätte man viel früher anfangen können) als mit der Gewissheit, dass es für die gewaltigen Mengen des sich herumtreibenden Geldes offenbar keine andere Deckung gibt als die Souveränität der Staaten, die es in Umlauf bringen. Das Gold dagegen erscheint angesichts der vermuteten Haltlosigkeit zeitgemäßer ökonomischer Verhältnisse wie ein Erlösungsversprechen: Es ist etwas Materielles, mit harter Arbeit der Erde Abgewonnenes, Symbol und Inbegriff von Tauschwert schlechthin, und es glänzt auch noch, sodass es in heidnischen Religionen für einen Abglanz der Sonne gehalten wurde. Es fehlt deswegen nicht an Empfehlungen, zum Goldstandard zurückzukehren. Zuletzt, im Herbst vergangenen Jahres, hatte sich sogar Alan Greenspan, lange Jahre (bis 2006) Vorsitzender der amerikanischen Notenbank, im Sinne einer solchen rückwärtsgewandten Utopie ausgesprochen. Der Gedanke hat indessen etwas Abenteuerliches, aus mehreren Gründen.

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Ilustration: Sead Mujic

Der erste Grund wäre ein logischer: Denn sollte es so weit kommen, dass die mächtigen Staaten der Welt tatsächlich wieder das Gold als Rückversicherung für internationale Verbindlichkeiten benötigten, wäre die Weltwirtschaft in einem dermaßen katastrophalen Zustand, dass solche Sicherheiten auch nicht mehr helfen könnten - denn dann gäbe es schlicht keine Weltwirtschaft mehr.

Der zweite Grund wäre pragmatisch: Der Wert der Summe Geldes, die gegenwärtig in Gestalt von Derivaten im Umlauf ist, also in nichts anderem als in Zahlungsversprechen auf Zahlungsversprechen besteht, soll 1,2 Billiarden Dollar betragen. Das gesamte in Gold niedergelegte Vermögen der Welt soll sich dagegen auf einen Wert von höchstens 8,2 Billionen Dollar belaufen. Das Verhältnis zwischen umlaufenden Wertansprüchen und einer möglichen Golddeckung ist also grotesk, und dieses Wort ist noch vorsichtig gewählt. Es wird nicht viel realistischer, wenn man die Zahlungsansprüche der Finanzwirtschaft mit irgendwo und irgendwie vorhandenen materiellen Werten in Beziehung setzt. Damit hat die Finanzwirtschaft allerdings nur negativ etwas zu tun: Denn sie existiert und funktioniert ja nur, weil sie sich von allen Ansprüchen auf materielle Deckung der in ihr gehandelten Werte emanzipiert hat.

Hinter dem populären Wunsch, das Gold Deutschlands möge in deutschen Tresoren verwahrt werden, verbirgt sich wohl ein gar nicht so geheimer Wunsch nach Umkehrung der Geschichte. Geradeheraus gesagt: nach einer Einhegung der Finanzwirtschaft. So etwas aber ist ein Widerspruch in sich und also eine Utopie.

In New York und in Paris lag das Gold der Bundesrepublik, weil es dort schon vorher lag und nur von einem Tresor in den benachbarten geschoben werden musste. Das geschah hauptsächlich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, als Ausgleich für deutsche Überschüsse in der Außenhandelsbilanz. Es wird deswegen nicht "heimgeholt", wie es in vielen Berichten über den Transfer heißt, sondern zum ersten Mal in das Land des Eigentümers verbracht. Es hätte also auch weiterhin im Ausland liegen können, ohne dass sich an den ökonomischen Verhältnissen Deutschlands etwas geändert hätte.

Warum aber lässt die Bundesbank trotzdem das Gold aus Paris und New York holen? Der Bundesrechnungshof verlangte im Jahr 2012 eine regelmäßige Inventur der im Ausland gelagerten Schätze, die es bis dahin nicht gegeben hatte: Der Transport ist vermutlich in erster Linie ein Versuch, der in diesem Begehren verborgenen Kritik zu begegnen. Denn tatsächlich stellt das Gold ja ein staatliches Wareneigentum dar, und da gehört sich eine ordentliche Buchführung, einschließlich der genauen Prüfung aller Aktiva und Passiva. Darüber hinaus mag sogar der Gedanke eine Rolle gespielt haben, für den schlimmsten aller Fälle einen Schatz zu besitzen, der sich zu Geld machen ließe - aber diese Idee kann nur eine Art Rückversicherung utopischer Ordnung sein, eine apokalyptische Vorstellung von der Art, die bei Katastrophenszenarien einen Angriff der Zombies einschließt.

Eine Karawane von mehreren Hundert Kipplastern - das war selbst dem Regisseur zu viel

Der Film "Die Hard with a Vengeance" enthält übrigens einen sachlichen Fehler. Denn das Gold im Wert von 140 Milliarden Dollar, das aus der Federal Reserve Bank geraubt worden sein soll, wird auf vierzehn Kipplaster verteilt. Im Jahr 1995 kostete das Gold etwa 385 Dollar per Unze, was auf einen Preis von 12 320 000 Dollar pro amerikanischer Tonne hinausläuft. Jeder Lastwagen hätte dann mehr als 800 Tonnen zu tragen gehabt, was selbst beim größten Kipper zum Achsenbruch hätte führen müssen: Solche Fahrzeuge sind für eine Last von höchstens 30 bis 40 Tonnen gebaut. Tatsächlich hätte man also eine Karawane von mehreren Hundert Kipplastern gebraucht, um die Beute nach Kanada zu schleppen. Die 111 Tonnen, die im vergangenen Jahr von New York nach Frankfurt gebracht wurden, waren demgegenüber eine beinahe handliche Last. Sie entsprechen, je nach Kurs, einem Wert von etwa vier Milliarden Dollar. Eine Volkswirtschaft, selbst eine sehr kleine, ist für diesen Preis noch nicht zu haben.

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