Alterssicherung:Die gesetzliche Rente ist viel besser als ihr Ruf

Sonnenschein in Hannover

Ist die Rentenversicherung Mist? Es gibt Gründe, das zu behaupten. Aber ein Auslaufmodell ist sie nicht.

(Foto: dpa)

Banken wanken, Versicherer schwächeln, nur die Rentenversicherung ist stabil. Wer gegen Altersarmut kämpfen will, muss an anderer Stelle ansetzen.

Von Thomas Öchsner

Am Anfang war eine Art kollektive Gehirnwäsche. Keine 20 Jahre ist es her, da beschworen Ökonomen, Rentenexperten, Lobbyisten der Finanzindustrie und Politiker ein neues Mantra: Die gesetzliche Rente, hieß es damals, sei eine "tickende Zeitbombe". Geld in die Rentenkasse einzuzahlen, das sofort wieder an die Rentner ausgezahlt wird, entspreche "dem Vorsorgeprinzip primitiver Gesellschaften, die über keinen leistungsfähigen Kapitalmarkt verfügen", so der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Bürger müssten mehr privat vorsorgen. Alles andere sei "alternativlos".

Es war die Zeit, als die ARD den Börsenbericht vor der Tagesschau einführte, der Schauspieler Manfred Krug für die Telekom-Aktie im Fernsehen warb und Internetfirmen, die sich später als Luftnummern entpuppten, an der Börse Milliarden wert waren. Carsten Maschmeyer, Chef des wegen seiner Verkaufsmethoden berühmt-berüchtigten Finanzvertriebs AWD, konnte die Riester-Rente mit einer Ölquelle vergleichen: "Sie ist angebohrt, sie ist riesig groß, und sie wird sprudeln." Auf die gesetzliche Rentenversicherung gab in Deutschland kaum noch einer einen Pfifferling.

Kein Auslaufmodell

Die Saat des Zweifels war damit gesät. Die Botschaft, man dürfe nicht auf die gesetzliche Rente vertrauen, entwickelte sich zur selbsterfüllenden Prophezeiung, wurde doch in mehr oder weniger seriösen Umfragen kolportiert, das Vertrauen der Bürger in die Rentenversicherung sinke. Fortan galt die Rente als unsicher. Der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der einst Plakate klebend die frohe Botschaft "Die Rente ist sicher" verkündete, avancierte zur Witzfigur in Talkshows. Journalisten schrieben, dass die Rente allenfalls reiche, um "Klassenausflüge und Kegelabende" zu finanzieren. Und nun verstieg sich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer sogar zu der These, die Senkung des Rentenniveaus treibe "etwa die Hälfte der Bevölkerung" in die Sozialhilfe.

Ist die Rentenversicherung also Mist? Bekommen die Jüngeren, die einzahlen, irgendwann sowieso nichts mehr heraus?

Es gibt Gründe, auf die Rentenversicherung draufzuhauen: Aber sie ist kein Auslaufmodell und viel besser als ihr Ruf.

Man muss dem quirligen Herrn Blüm schon mal in einem Punkt Recht geben: Die Rente ist insofern sicher, als aus der Rentenkasse jeden Monat stets zuverlässig das Geld überwiesen wird - ohne, dass irgendeiner sagen kann, vom nächsten Mal an gibt es zum Beispiel 50 Euro weniger. Die Rentenversicherung hat mehr als 125 Jahre überlebt. Darunter zwei Weltkriege, eine Hyperinflation, die deutsche Einheit, die New-Economy-Blase und die Finanz- und Eurokrise. An den Aktienmärkten können sich Billionen Euro in Luft auflösen und Zertifikate der US-Pleitebank Lehman über Nacht wertlos werden, die Rente kommt trotzdem pünktlich.

Unabhängigkeit von der Börse ist ein Glücksfall

Es ist ein Glücksfall, dass die gesetzliche Alterssicherung nicht vom Auf und Ab der Aktienkurse und Zinsen abhängt und niemand an ihr Geld verdient. Weder wenn der Beitrag eingezahlt, noch wenn die Rente ausgezahlt wird, kann irgendeine Bank, Versicherung oder Drückerkolonne Provisionen für sich abzweigen. Es gibt keine Gebühren, keine Werbung, die das Geld der Versicherten wegfrisst. Die Rentenversicherung mag wie eine angestaubte Behörde aus vergangenen Zeiten wirken, aber sie arbeitet effizient. Die Verwaltungskosten belaufen sich auf 1,4 Prozent ihrer Gesamtausgaben. Bei Riester-Verträgen können sie um ein Vielfaches höher sein. Da sind schnell nur für den Abschluss mehr als 3000 Euro weg. Einfach so.

Auch die Renditen der Rentenversicherung können sich sehen lassen: Gewiss, das Geld der Beitragszahler wird nicht langfristig angelegt. Daraus wird ja Monat für Monat das Altersgeld für die Rentnergeneration bezahlt. Modellrechnungen zeigen aber, dass ein Versicherter, der 45 Jahre lang zum jeweiligen Durchschnittslohn (derzeit 3022 Euro monatlich) gearbeitet hat und durchschnittlich lang lebt, auf eine Rendite von drei Prozent kommt. Nun wird die hochgerechnete Verzinsung der Altersrenten für die jüngeren Jahrgänge zurückgehen. Dennoch sind die Renditen beachtlich, erst recht gemessen an den Mini-Erträgen, die heute in der Niedrigzinsphase sichere Kapitalanlagen abwerfen.

Alterssicherung: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Arbeitgeber steuert Geld bei

Der reine Rendite-Vergleich greift aber viel zu kurz. Die Rentenversicherung ist eine All-inclusive-Versicherung und bietet Zusatzleistungen, die als Komplettpaket bei einem privaten Versicherer so viel Geld kosten würden, dass dies für die allermeisten Kunden unbezahlbar wäre. So erhalten Rentner Zuschüsse zur Krankenversicherung. Aus dem Rententopf werden medizinische und berufliche Reha-Maßnahmen finanziert. Es gibt Waisen- und Witwen-/Witwer-Renten für Hinterbliebene und einen Schutz bei Erwerbsunfähigkeit, wenn auch die Bezüge für diese unfreiwilligen Frührentner meist nicht über ein paar Hundert Euro hinausgehen.

Während der Versicherungsmarkt beim Thema Berufsunfähigkeit versagt, gibt es bei der Rentenversicherung alles für einen Beitrag, zu dem Arbeitgeber normalerweise auch noch die Hälfte zusteuern. So olle und schlecht ist die gute alte Rente gar nicht.

Außerdem hat sie den unschätzbaren Vorteil, dass jeder Arbeitnehmer immer einzahlen muss. Bei den Lebensversicherungen wird jede Zweite gekündigt. In fast ein Fünftel der Riester-Verträge wird kein Geld mehr eingezahlt. Auch deshalb steht die private Zusatzvorsorge auf wackligem Boden. Rentenansprüche darf hingegen keiner vorzeitig verfrühstücken.

Hinzu kommt ein anderer Vorzug, der oft übersehen wird: Die Alten werden nicht von der Entwicklung des Wohlstands im Lande abgekoppelt. Wie sich die gesetzliche Rente entwickelt, hängt von den Löhnen ab. Gehen diese nach oben, gibt es - wie in diesem Jahr - auch deutliche Rentenerhöhungen. Das bietet den Ruheständlern einen gewissen Schutz vor der Inflation, auch wenn es in schlechten Jahren wie im vergangenen Jahrzehnt zu Kaufkraftverlusten kommen kann.

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Klar, alle diese Vorzüge ändern nichts daran, dass kaum jemand von der gesetzlichen Rente allein wird leben können, ohne seinen Lebensstandard im Ruhestand einschränken zu müssen. Das war schon immer so, wird aber eher schlimmer. Und auch klar: Es sieht so aus, als ob immer weniger junge Menschen mehr Alte finanzieren müssen. Deshalb gibt es den Generationenausgleich: Die Rentenbeiträge für die Jüngeren sollen einigermaßen stabil bleiben, zugleich wird das Rentenniveau, das Verhältnis der Rente zum Lohn eines langjährigen Durchschnittsverdieners, gesenkt. Aber wird die Rente deshalb langfristig zur Luftnummer?

Die Deutschen lieben Horrorszenarien. Wenn sich Dinge verändern, glauben sie gern, es könnte sich nur zum Schlechten wenden. Diese "German Angst" gibt es auch bei der Rente. Wir sollten aber nicht allzu schwarz malen. Die Rentenversicherung ist nicht dem Untergang geweiht.

Deutschland stirbt nicht aus. Die Bevölkerung ist von 60 auf 81 Millionen gewachsen, trotz Weltkriegen und Pillenknicks. Die Bundesrepublik wird mehr und mehr zum Einwanderungsland mit jungen Zuwanderern, die die "Vergreisung" der Bevölkerung abmildern. Ja, es bricht jetzt eine schwierige Phase an, weil in den nächsten 15 Jahren 20 Millionen aus der Generation der Babyboomer in den Ruhestand gehen. Die Sozialsysteme geraten deshalb finanziell unter Druck. Aber von 2045 an wird sich die Situation wieder entspannen.

Viele wollen länger arbeiten

Es ist auch dumm, alt automatisch mit gebrechlich, unproduktiv oder teuer gleichzusetzen. Die Lebenserwartung steigt, die Menschen leben länger, aber sie bleiben im Alter fitter, gesünder und leistungsfähiger. Viele wollen länger arbeiten, weil sie nicht depressiv wie Jack Nicholson im Kinostreifen "About Schmidt" werden oder ihre Ehefrauen nerven wollen wie Loriot in "Pappa ante Portas".

Trotzdem hat die Rente ein akutes Problem: Die Altersarmut wird zunehmen. Das ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass das Rentenniveau von knapp 48 Prozent eines Durchschnittsgehalts bis auf etwa 44 Prozent im Jahr 2030 sinkt. Es liegt am Wandel der Arbeitswelt. Deutschland hat Millionen Geringverdiener, Minijobber, Hartz-IV-Empfänger und Solo-Selbständige mit eher mageren Einkommen, die zu geringe oder keine Rentenansprüche erwerben. Selbst einer, der 45 Jahre zum Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde arbeitet, wird als Rentner zum Sozialamt müssen. Das gilt auch für die neuen Internet-Worker, die sich ohne feste Anstellung von Projekt zu Projekt durchhangeln, ohne viel für ihre Altersvorsorge zu tun.

Die Vorstellung, man müsse nur das Rentenniveau um ein paar Punkte erhöhen, also Geld mit der Gießkanne verteilen und schon ist diesen Menschen geholfen, ist jedoch ein Irrglaube. Außer ein paar Euro mehr für jeden, die den Beitrags- oder Steuerzahler Milliarden kosten werden, springt dabei nichts heraus. Die Altersarmut bei wirklich Bedürftigen bleibt, wofür die Rentenversicherung aber nichts kann.

Was also tun? Der Schlüssel liegt woanders: Deutschland braucht eine florierende Wirtschaft, ein flexibles Rentenalter, steigende Einkommen, fleißige Zuwanderer, Ganztagsschulen und viele Milliarden für die Bildung, damit junge Menschen nicht von der Schule ohne Abschluss gehen oder keinen Beruf erlernen. Wer in jungen Jahren lange von der Hand in den Mund oder von Hartz IV lebt, wird auch im Alter auf staatliche Hilfe angewiesen sein. Nötig ist vielleicht auch eine steuerfinanzierte Mindestrente für langjährig Versicherte.

Grabreden auf die gesetzliche Altersversorgung aber können wir uns sparen.

Reicht die Rente in Zukunft zum Leben? Wie kann ich zusätzlich vorsorgen? Wie ändert sich das Leben alter Menschen? Die neue SZ-Serie "Unsere Zukunft, unsere Rente" beschäftigt sich mit den wichtigsten Aspekten des Ruhestands.

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