Russlands Energiepolitik:Die Flamme erlischt

Gazprom

Dass Europa in Zukunft weniger Gas brauchen wird als angenommen, stellt Gazprom-Chef Alexei Miller und seinen Konzern vor enorme Schwierigkeiten.

(Foto: dpa)

Russlands Energie-Multi Gazprom wendet sich vom Ziel ab, Endverbraucher in Europa mit Gas zu beliefern. Der Strategieschwenk ist vor allem ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns.

Von Markus Balser

Es war ein Auftritt ganz nach dem Geschmack des russischen Präsidenten. Beim Staatsbesuch in der Türkei, im riesigen Palast des türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdoğan in Ankara, hob Wladimir Putin Anfang vergangener Woche zur Machtdemonstration an: Die Milliarden-Pipeline South Stream wird nicht gebaut, kündigte Putin an. Doch es blieb Alexei Miller, dem Chef des Staatskonzerns Gazprom vorbehalten, an diesem Wochenende in Moskau die Folgen der Entscheidung zu erklären.

Miller machte es kurz: Das Ende eines Geschäftsmodells, sagte der Konzernchef schonungslos. Denn Gazprom wende sich künftig vom Ziel ab, in Europa Endverbraucher mit Gas zu beliefern. Die Versorger in Europa müssten ihre Leitungen zu den Verbrauchern ab sofort selbst bauen. Was nach einer nüchternen Nachricht für Rohstoffexperten klingt, bedeutet tatsächlich ein politisches wie wirtschaftliches Beben. Der größte Gaskonzern der Welt wendet sich ohne Vorwarnung und ziemlich brüsk von seinem größten Kunden Europa ab. Selbst die westeuropäischen Partner der 2380 Kilometer langen und rund 20 Milliarden Euro teuren Trasse durch das Schwarze Meer und den Balkan waren in den Strategieschwenk nicht eingeweiht, darunter etwa die deutsche BASF-Tochter Wintershall. Was aus den Milliarden-Investitionen wird, ist offen.

Hinter dem Kurs des Kreml steckt mehr als nur Machtkalkül

Damit vollzieht Moskaus Multi mit der Flamme im Logo eine 180-Grad-Wende. Denn gerade in West- und Südeuropa hatte sich Gazprom eigentlich viel vorgenommen. Seit Jahren betreibt der Konzern im Westen mit großem Aufwand Imagepflege, darunter etwa das millionenschwere Fußball-Sponsoring von Schalke 04. Das große Ziel der Russen hieß stets, das eigene Gas gerade nicht mehr nur an den Grenzen Westeuropas abzuliefern, sondern auch selbst Gaskraftwerke zu betreiben und wenn möglich Energie auch noch direkt an Endkunden zu liefern. Selbst einen Einstieg bei einem großen deutschen Energiekonzern spielte Gazprom deshalb vor einiger Zeit durch.

Energie von Gazprom in deutschen Steckdosen - opfert Gazprom diesen seit Jahren verfolgten Plan im Handstreich, nur weil Russlands Präsident es im Machtkampf mit dem Westen so will? Hinter dem neuen Kurs von Gazprom steckt mehr als nur das Machtkalkül des Kreml. Dass sich Gazprom aus dem Pipeline-Geschäft in Europa zurückziehen will, hat keineswegs nur mit Politik zu tun.

Der Strategieschwenk ist Ausdruck des eigenen Scheiterns

Zum einen braucht Europa in den kommenden Jahren weniger Gas als noch vor einigen Jahren prognostiziert. Der Ausbau grüner Energien schreitet in rasantem Tempo voran. Vor allem Südeuropa erholt sich nur schleppend von der Wirtschaftskrise. Die Folge: Der Gasverbrauch wird Studien zufolge, wenn überhaupt, nur noch leicht steigen. Neue Pipelines aber rechnen sich nur, wenn mehr Gas Abnehmer findet.

Zum anderen fehlt es Russland und Gazprom schlicht an Geld. Der Konflikt in der Ukraine kommt Moskau teuer. Schwindende Öl- und Gaspreise zwingen die Rohstoffkonzerne des Landes seit Monaten zum Sparen. Sanktionen und der fallende Rubelkurs machen die Finanzierung großer Projekte wie South Stream immer schwieriger. Der Schwenk von Gazprom ist damit vor allem Ausdruck des eigenen Scheiterns.

Das Ende einer Ära in Europas Energiepolitik

Angesichts des Streits zwischen Russland und der EU ist die Expansion des Moskauer Unternehmens auf westlichen Märkten so gut wie unmöglich geworden. Das Vertrauen in sichere Gaslieferungen aus Russland schwindet mit jeder Eskalation der Krise. Stattdessen bandeln Europas Regierungen und Unternehmen mit Alternativen zu Gazprom an: Mit Lieferanten aus den USA oder Katar. Die Folgen reichen weit. Sie bedeuten wohl das Ende einer Ära in Europas Energiepolitik. Denn das Zeitalter der Riesenpipelines scheint vorerst vorbei zu sein. Die Bauprojekte über viele Grenzen und Hindernisse hinweg, durch Meere und Gebirge sind so schwierig und teuer geworden, dass sie sich kaum noch rechnen. Schon die South-Stream-Konkurrenzpipeline Nabucco, die Europa mit asiatischem Gas vorbei an Russland versorgen sollte, war zu kostspielig und komplex geworden. Großkonzerne stiegen aus, die EU wollte sich nicht beteiligen.

Die blaue Gazprom-Flamme sollte eigentlich mal für eine engere Bindung zwischen Moskau, Berlin und Brüssel stehen. Nun wird sie zum Symbol der Distanz. Hart trifft die neue Entfremdung vor allem Gazprom selbst. Nach mehr als einem Jahrzehnt Energieboom steht Russlands wichtigster Konzern immer noch da als Riese, der außer Rohstoffen nicht viel zu bieten hat. Die Preise fallen, die Gewinne schwinden. Gazprom selbst könnte bald in die Röhre schauen.

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