Russland und die WTO:Moskauer Blockade

Beitrittsverhandlungen auf Eis: Russland wendet sich von der Handelsorganisation ab - und im Hintergrund des Konflikts steht ein Machtkampf im Kreml.

A. Hagelüken, M. Kläsgen und F. Nienhuysen

Russlands plötzliche Abkehr von der Welthandelsorganisation WTO besorgt Europa. Premier Wladimir Putin erklärte nach jahrelangen Verhandlungen, sein Land wolle der WTO nur noch gemeinsam mit anderen Staaten beitreten. EU-Politiker werten dies als Absage an eine Modernisierung des Landes und an den Westen generell.

WTO, AP

Präsident Medwedjew ist dafür, Premierminister Putin dagegen: In Russland findet sich keine einheitliche Position zu einem möglichen WTO-Beitritt.

(Foto: Foto: AP)

Russland verhandelt seit 16 Jahren über einen Beitritt zur Welthandelsorganisation, die den freien Warenaustausch zwischen mehr als 150 Staaten des Erdballs regelt. Nach Angaben von Unterhändlern sind die schwierigen Probleme längst gelöst, so dass Russland als letztes großes Land der Erde in die Organisation aufgenommen werden könnte. Dadurch würde der Handel mit dem Riesenstaat einfacher, auch deutsche Unternehmen würden profitieren.

Streit um Umpor von Milchprodukten

Mehrere europäische Akteure berichten allerdings, dass Premierminister Wladimir Putin offenbar das Interesse an einem Beitritt verloren hat. Der frühere Präsident verkündete, sein Land wolle nur nach einer Zollunion mit Kasachstan und Weissrussland im Jahr 2011 in die WTO, obwohl sich Moskau mit Weissrussland gerade über den Import von Milchprodukten streitet und generell ein gespanntes Verhältnis pflegt. Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko blieb deshalb am Wochenende einem Treffen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit in Moskau unentschuldigt fern.

EU-Insider berichten, Moskau blockiere die Verhandlungen mit der WTO schon länger. "Die Regierung bewegt sich seit zwei Jahren nicht mehr", sagt ein Fachmann in Brüssel. Jüngst sei eine Welle des Protektionismus gegen das Ausland zu beobachten. Unter anderem behindere Moskau den Export von Holz nach Skandinavien und verteuere den Import von Autos und Lastwagen ins eigene Land.

"Putin sucht seit langem einen Weg, um den Beitritt abzublasen", sagt ein hochrangiger EU-Politiker, der im Verborgenen bleiben will. "Der Premierminister wolle keine Einschränkung der Macht über Öl und Gas, mit dem das Land zwei Drittel seiner Exporte bestreitet und das ihm in den vergangenen Jahren durch Preissteigerungen hohe Einnahmen beschert hat.

Abhängigkeit von Öl und Gas aus Russland

Bei einem WTO-Beitritt könnte das Land nach dieser Darstellung EU-Staaten nicht mehr so leicht den Öl- und Gashahn zudrehen, wie es das in einigen Wintern getan hat. Auch könnte Russland wegen der Regeln der Welthandelsorganisation die Lieferung von Energie aus Zentralasien nach Europa nicht mehr so einfach blockieren. Europa ist in zunehmenden Maß von Öl und Gas aus Russland oder Zentralasien abhängig.

Offiziell äußern sich europäische Politiker vorsichtig, aber deutlich zu Putins Worten. "Wir sind von diesen Ankündigungen überrascht", erklärte EU-Handelskommissarin Catherine Ashton. "Ich bin erstaunt und versuche, die Situation zu verstehen", sagte WTO-Generalsekretär Pascal Lamy der Süddeutschen Zeitung. "Das hat es noch nie gegeben, dass eine Zollunion beitreten will." Lamy fügte hinzu: "Wir waren darauf nicht vorbereitet. Wir wissen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, ob wir die Beitrittsverhandlungen mit Russland, Weißrussland und Kasachstan aussetzen sollen und ganz von vorn beginnen müssen."

In Russland ist offenbar ein Machtkampf zwischen Premier Putin und seinem Nachfolger auf dem Präsidentenstuhl Dmitrij Medwedjew entbrannt. Die russische Regierung hatte erst vor wenigen Tagen vor Putins Ankündigung mit der Zollunion betont, sie strebe noch für dieses Jahr das erfolgreiche Ende der WTO-Gespräche an. Elwira Nabiullina, Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung, sagte beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg, Moskau wolle nicht auch noch den 17. Geburtstag der Verhandlungen feiern.

Unternehmer gegen WTO

"Aber offensichtlich hat Russland beim WTO-Beitritt nun keine Eile mehr", sagt Maria Lipman vom Carnegie-Zentrum in Moskau. "Es gibt im Land einfach keine einheitliche Meinung darüber, ob die Mitgliedschaft ein Vorteil ist oder ein Nachteil." Russland durch einen Beitritt internationalen Regeln zu unterwerfen, fällt vor allem Putin schwer, der als Premier für die Wirtschaft verantwortlich ist und staatliche Eingriffsmöglichkeiten ungern aus der Hand gibt.

Als die Finanzkrise Russlands Automobilindustrie traf, versuchte Putin mit deutlich erhöhten Zöllen auf Importwagen die heimische Industrie zu schützen. In anderen Zweigen fürchten russische Unternehmen wiederum, international erst gar nicht konkurrenzfähig zu sein ohne die Hilfe des Staates.

"Da stehen einige Interessen der Unternehmer gegen die WTO", sagt Lipman, "aber wenn Russland seine Wirtschaft wirklich modernisieren will, muss es der WTO beitreten." Präsident Dmitrij Medwedjew hatte sich zuletzt mehrmals für eine Diversifizierung der Wirtschaft ausgesprochen. Die Wirtschaftsministerin will kommende Woche EU-Handelskommissarin Ashton treffen.

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