Russland und der Ölpreis:Ein ganzes Land hängt am Tropf

Inside OAO Lukoil's Nizhegorodnefteorgsintez Oil Refinery

Der Absturz des Ölpreises hat die ohnehin ins Stocken geratene russische Wirtschaft hart getroffen (im Bild eine Rafinerie des Lukoil-Konzerns).

(Foto: Bloomberg)
  • Der rasante Fall des Ölpreises hat die Krise der russischen Wirtschaft dramatisch verschärft. Die Mächtigen des Rohstoffmarktes taumeln.
  • Experten befürchten, die Krise könnte vom Ölmarkt auf die Finanzmärkte übergreifen.

Von Markus Balser, Berlin, und Julian Hans, Moskau

Auch in eiskaltem Terrain kann man gute Geschäfte machen - bis vor Kurzem galt Russlands Ölkonzern Rosneft dafür als gutes Beispiel. In der Arktis, der großen Hoffnung der Rohstoffnation Russland, wollte das Unternehmen mit der US-Firma Exxon Mobil große Vorkommen ausbeuten. "Universitetskaja-1" wurde das Bohrloch im Sommer getauft, mit dem die Ölexploration in der Karasee in Gang kommen sollte - die bislang nördlichste in russischen Arktisgewässern. Einst galten Öl und Gas hier als unerreichbar. Doch weil die Erdkruste an anderen Stellen des Planeten bald leer gepumpt sein wird, weil die Preise für Öl stetig stiegen, verschob Russlands Industrie die Grenze immer weiter in den Norden. "Universitetskaja-1" ist nur das erste von rund 40 Offshore-Bohrlöchern, die Rosneft mit Partnern bis 2018 in der Arktis geplant hat. Der Konzern hoffte auf ein Ölvorkommen von 13 Milliarden Tonnen.

Nur ein halbes Jahr später liegen viele Pläne auf Eis. Die Sanktionen des Westens, vor allem aber der Absturz des Ölpreises haben die ohnehin ins Stocken geratene russische Wirtschaft hart getroffen. Kostete ein Fass des schwarzen Schmierstoffs im Sommer noch mehr als 110 Dollar, sind es heute um die 50. Die Folge: Bohrungen in der Arktis rentieren sich nicht mehr. Konzerne wie Exxon Mobil hätten mehrere Geschäfte mit russischen Partnern abgeblasen, sagt Anna Belova, Analystin der Beratungsfirma Global Data in London.

Ein ganzes Land hängt am Tropf. Russland ist einer der großen Leidtragenden des Ölpreisverfalls. Die russische Zentralbank fürchtet eine schwere Rezession. Sie erwartet, dass die Wirtschaft 2015 um bis zu 4,5 Prozent schrumpft, wenn der Ölpreis bei höchstens 60 Dollar je Fass verharrt. Die Staatsfinanzen gerieten aus dem Lot, denn Russlands Energiewirtschaft trägt die Hälfte zu Russlands Staatseinnahmen bei. Für einen ausgeglichenen Haushalt wären 105 Dollar je Fass nötig. Jeder Dollar weniger pro Fass bedeute eine Lücke von zwei Milliarden Dollar, gestand einst Maxim Oreschkin, der Chef für strategische Planung im Finanzministerium.

An aerial view shows an oil derrick and other facilities of an oilfield, part of the Imilorskoye group of fields, near the town of Kogalym

Öl aus dem Eis. Ein Fördergebiet in Sibirien nahe der Stadt Kogalym.

(Foto: Olesya Astakhova/Reuters)

"Gewaltige Bankenkrise"

Vor allem der Konzern Rosneft wird zum Symbol der Krise. Der größte Ölkonzern des Landes sah sich eigentlich vor einer großen Zukunft. Erst 2013 sammelte er bei internationalen Banken Kredite über 40 Milliarden Dollar ein, um Anteile an TNK-BP, einem Joint Venture mit British Petroleum, zu erwerben. Eine fällige Tranche von sieben Milliarden Dollar zwang den Konzern nun zur Ausgabe milliardenschwerer Rubel-Anleihen, die dem Vernehmen nach von den großen staatlichen Banken gekauft wurden. Die Zentralbank akzeptierte sie wiederum als Sicherheit für Kredite. Schon Mitte Februar muss Rosneft die nächste Rate von 7,3 Milliarden Dollar zahlen.

Angesichts waghalsiger Manöver auf den Finanzmärkten fürchten Experten ein Überspringen der Krise aus dem Ölsektor. Sergej Gurijew, angesehener Berater der Regierung, bis er 2013 ins Pariser Exil ging, spricht von "fragwürdigen Instrumenten" der Zentralbank. Der Rosneft-Deal habe das Risiko für die Banken vergrößert. Jeder weitere Ankauf überteuerter Anleihen bringe sie nur noch mehr in Schieflage. Der Staat muss bereits mehrere Kreditinstitute mit Milliardenbeträgen stützen, darunter die Gazprom-Bank und die zweitgrößte Bank des Landes, die VTB. Sollte der Ölpreis weiter auf so niedrigem Niveau bleiben, drohe Russland eine "gewaltige Bankenkrise", warnte in der vergangenen Woche German Gref, ehemaliger Wirtschaftsminister und Chef von Russlands größtem Geldhaus Sberbank.

Im Finanzsektor Russlands schwindet das Vertrauen. "Die Banken des Landes misstrauen sich. Die Kapitalflüsse zwischen den Instituten gehen zurück. Das hat Folgen für die finanzielle Stabilität", warnt auch Dennis Snower, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Trotz beträchtlicher Devisenreserven könne es mittelfristig gar zu einer neuen Finanzkrise in Russland kommen, wenn sich die ökonomischen Aussichten nicht besserten.

Rot lackierte Ungetüme

Doch Besserung ist nicht in Sicht. Sanktionen treffen die Industrie an ihrem wunden Punkt. Zuerst verhängte Washington im April Sanktionen gegen Rosneft-Chef Igor Setschin, der zu den einflussreichen Personen aus dem engen Umfeld Wladimir Putins zählt. Seit September steht auch sein Konzern auf den schwarzen Listen der USA und der Europäischen Union.

In der westsibirischen Stadt Nischnewartowsk stehen nun verpackt und versiegelt ein Dutzend traktorgroße Geräte in einer Werkhalle, umgeben von einem Absperrband. Ein Mitarbeiter einer Ölfirma hat sie fotografiert und im russischen Facebook-Klon VKontakte in das Album "Sanktionen" einsortiert. Die rot lackierten Ungetüme mit vielen Röhren und Ventilen zählen zur Spezialausrüstung für die Ölförderung. Geliefert hat sie die US-Firma Schlumberger, der wichtigste Dienstleister der Branche. In Nischnewartowsk darf Schlumberger seine Maschinen vorerst nicht einsetzen, weil die Sanktionen verbieten, russischen Energiekonzernen mit Technik oder Dienstleistungen bei der Erschließung schwer zugänglicher Lagerstätten zu helfen.

Um wichtige Projekte zu verwirklichen, soll nun der Staat einspringen. 200 Milliarden Rubel (2,6 Milliarden Euro) möchte Rosneft-Chef Setschin dafür aus dem nationalen Wohlstandsfonds bekommen. Den hatte die Regierung in guten Zeiten mit Einnahmen aus Energieexporten angelegt, um in mageren Zeiten Renten aufzustocken und die Infrastruktur auszubauen.

Ökonomen beobachten mit großer Sorge, wie sich das Land an seiner Substanz bedient. Moskau habe es "versäumt, die Wirtschaft mit den Milliardeneinnahmen umzustellen", kritisiert Ökonom Snower. "Dass die Gelder aus dem Öl- und Gassektor nun so abrupt wegbrechen, ist für das Land katastrophal."

Wirtschaftsminister erwartet Herabstufung der Bonität

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Die russische Regierung reagiert mit einem Sparprogramm auf den sinkenden Ölpreis. Über alle Ressorts hinweg soll der bisherige Haushaltsentwurf um zehn Prozent gekürzt werden, wie Finanzminister Anton Siluanow am Mittwoch ankündigte. Ausgenommen ist nur die Verteidigung. Zugleich aber droht der Wirtschaft weiteres Ungemach an den Kreditmärkten: Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew erwartet eine Herabstufung der Bonität auf Ramschniveau. Die Wahrscheinlichkeit dafür sei "ziemlich hoch". Dies könnte die Refinanzierung des Staates verteuern.

Zwar versprach der russische Präsident auf seiner Jahrespressekonferenz im Dezember, die Krise sei in zwei Jahren überwunden. Allerdings lag Putin zuletzt häufiger mit ökonomischen Prognosen daneben. Noch im Oktober erklärte er, bei einem Ölpreis unter 80 Dollar breche die Weltwirtschaft zusammen. Nun steht er unter 50 Dollar. Und auch im nächsten Jahr erwarten Analysten noch keine deutliche Steigerung. Eine noch größere Krise des Landes könnte auch über Russlands Grenzen hinaus zum Problem werden. Sie treffe auf eine Weltwirtschaft, die sich nach der Finanzkrise noch immer in fragilem Zustand befinde, warnt Snower. "Das ist eine problematische Mischung, die mir Sorgen macht", sagt der IfW-Chef.

Russlands Rohstoffkrise führt derweil in den Konzernen zu harten Einschnitten. Der russische Gaskonzern Gazprom verlagert einem Medienbericht zufolge seine Energie-Handelstochter von London nach St. Petersburg. Hintergrund seien der niedrige Ölpreis und die westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise, heißt es. Auch ein Umzug der deutschen Tochter war in der Vergangenheit diskutiert worden.

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