Russland:Dieser Mann bringt den Russen den Käse zurück

Russland: Sirota will bald auch professionell viele Kühe halten, weil die Milch für seinen Käse mengenmäßig und qualitativ nicht ausreicht.

Sirota will bald auch professionell viele Kühe halten, weil die Milch für seinen Käse mengenmäßig und qualitativ nicht ausreicht.

(Foto: oh)

Oleg Sirota war mal IT-Unternehmer. Dann verbot Putin den Import von EU-Lebensmitteln - und der 28-Jährige schmiss sein Leben um.

Von Matthias Fiedler

Jetzt, um zehn Uhr morgens, nach fünf Stunden Herumsausen zwischen wuchtigen Käsewannen und Milchpumpen, nach Rühren und Schwitzen bei 30 Grad Raumtemperatur, macht Oleg Sirota das erste Mal an diesem Tag eine Pause. Er setzt sich auf einen Klappstuhl vor der beschlagenen Fensterfront seiner Molkerei, klopft sich auf den Bauch und sagt: "Russland ist im Käse-Fieber. Wir haben keine Zeit zu verlieren."

Sirota, 28 Jahre alt, ist ein rundlicher Typ mit Vollbart und Pausbacken, der sich beim Erzählen gemütlich zurücklehnt und die Daumen unter die Hosenträger klemmt. Er in Eile? Schwer vorzustellen. Tatsächlich aber ist seine Geschichte die einer schnellen Entscheidung. Und die eines zügigen Lebenswandels. Bis zum vergangen Sommer drehte sich Oleg Sirotas Welt nicht um Käse, sondern um Computer. Er führte ein mittelständiges IT-Unternehmen, verdiente gut, besaß eine Wohnung in Moskau, einen Mercedes und einen Toyota. Doch wenn er im Supermarkt seinen geliebten Emmentaler kaufen wollte, fand er kaum welchen. Das ärgerte ihn. "Trotzdem hat unser Präsident alles richtig gemacht", sagt er.

Seit Sommer 2014 hat der russische Präsident Wladimir Putin die Einfuhr von EU-Lebensmitteln verboten, die Frist für den Importstopp kürzlich bis Ende 2017 verlängert. Es ist Moskaus Antwort auf die Sanktionen, die der Westen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise erlassen hat - was auch für das Käsegeschäft einen riesigen Einschnitt bedeutet: Statt 440 000 Tonnen wie im Jahr 2013 importierte Russland 2015 weniger als die Hälfte. Käse ist jetzt ein knappes Gut und Mozzarella begehrt wie einst nur Kaviar.

Als der Käse verschwand, dachte er: jetzt oder nie

Sirota sagt, er hat schon als Kind von einer Molkerei und einem Leben auf dem Land geträumt, später Agrarwissenschaften studiert, dann als Webdesigner gearbeitet, weil sich als Bauer kein Geld verdienen ließ. Als der Käse aus den Auslagen verschwand, dachte er sich: Jetzt oder nie. Sirota verkaufte das IT-Unternehmen, die Wohnung, die Autos, lieh sich von der Bank 120 000 Euro, pachtete günstig Land und legte los.

Vergangenen August, nach nur einem Monat Bauzeit, eröffnete er seine Käserei - einen holzverkleideten Flachbau, etwa 60 Kilometer nordwestlich von Moskau entfernt, am Rand des Dorfes Dubrowskoje. Sirota taufte seine Fabrik "Russkij Parmesan", "weil Parmesan der König des Käses ist", sagt er, "und wir den besten Käse Russlands machen wollen." Dem russischen fehle es oft an Geschmack und hochwertigen Zutaten.

Sirotas Freunde schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Eine Molkerei? Funktioniert nie, sagten sie. Sirota sagte: Ihr werdet sehen. Er suchte sich Hilfe, fand in einem Internetforum Sergej Nedorezoff, einen 45-jährigen Russen, der zehn Jahre als Milchtechnologe in einer Molkerei in Wiesbaden gearbeitet hatte. Nedorezoff gefiel Sirotas Idee einer Käserei so sehr, dass er die Familie in Deutschland zurückließ und nach Dubrowskoje zog, wo es außer Birken und Wiesen nicht viel gibt. "Dafür geben dir die Menschen hier das Gefühl, gebraucht zu werden", sagt Nedorezoff. Er klingt zufrieden.

Die Molkerei ist ein Vollzeitjob, sagt Sirota. Tag und Nacht ist er vor Ort, seine Frau und die drei Kinder wohnen im Umland. Mit Nedorezoff teilt er sich einen spartanisch eingerichteten Wohncontainer aus Holz, daneben weht an einem Mast die russische Flagge. Sirota ist Patriot und stolz darauf.

Die Schlangen vor seinem Laden sind lang, fast alle Sorten vergriffen

Jeden Morgen um fünf Uhr feuern Sirota und Nedorezoff in der Molkerei als erstes den Dampfkessel an, um die Milch zu erhitzen. Zwei Mitarbeiter helfen ihnen bis nachmittags beim Käse pressen, wenden und schneiden. Abends nehmen sie die Milchlieferung für den nächsten Tag entgegen. "Der Aufwand lohnt" sagt Sirota, "die Leute sind verrückt nach unserem Käse."

Immer samstags verkaufen Sirotas Frau und seine Mutter in einem winzigen Laden gegenüber der Molkerei Gorgonzola, Mozzarella und Weinkäse, insgesamt neun Sorten. Vor der Tür wartet dann eine lange Schlange, über den Tag kommen bis zu 200 Kunden, viele extra aus Moskau, das letzte Stück über eine holprige Landstraße. Die meisten kaufen auf Vorrat, 5,5 Kilo schwere Laibe für umgerechnet 85 Euro. Außer Schnittkäse sind gerade alle Sorten vergriffen, nur vorbestellen ist möglich. Frühester Liefertermin im Spätsommer, eher Winter.

"Wir hängen mit der Produktion hinterher", sagt Sirota, "das Problem ist, gute Milch zu bekommen." Für ein Kilogramm Käse braucht er etwa zehn Liter, am Tag bis zu zwei Tonnen. Aber russische Milch habe oft zu wenig Eiweiß oder die Kühe fressen Silo-Futter. "Dann ist sie zu sauer und taugt nicht für Natur-Käse." Im Januar ist Sirota wegen schlechter Milch fast eine Tonne Käse geplatzt. Eine Tonne für die Tonne. Partner Nedorezoff war verzweifelt. Sirota nicht. "Machen wir eben neuen", sagte er.

Sirota will jetzt eigene Milch produzieren. Er hat einen Kredit aufgenommen, etwa 500 000 Euro für Kühe, Melkmaschinen und Traktoren. Er plant einen Viehhof mit 100 Tieren, die ersten sind schon angekommen und knabbern hinter Holzgattern am Gras. Er sucht noch einen Milchbauern, der ihm bei der Zucht hilft. "Am besten einen aus Deutschland oder der Schweiz", sagt er. "Die haben Ahnung."

Sirota sagt, dass der Westen die Sanktionen gegen Russland aufrechterhält, "ist ein Riesenglück. Sonst hätten wir die Molkerei dicht machen können." Putin müsse lange an seinem Importverbot festhalten, "damit unser Land wieder lernt, sich selbst zu versorgen." Dankbar sei Sirota dem russischen Präsidenten schon jetzt und hat ihm ein Laib deutschen Bergkäse reserviert. Warum ausgerechnet den? Sirota lacht rasselnd, lässt die Hosenträger von den Daumen schnippen und sagt: "Für den Präsidenten nur das Beste."

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