Russland:Die Ernte brennt

Unter einer gnadenlosen Sonne verdorren in Russland Kartoffeln und Getreide - in vielen Regionen hat die Regierung bereits den Notstand ausgerufen.

Sonja Zekri

Russland kocht. Von der weißrussischen Grenze bis zum Kaspischen Meer jagt ein Hitzerekord den nächsten. In Moskau waren es am Donnerstag über 35 Grad, am Montag werden es 37 Grad. Die russische Kapitale ist heißer als Madrid und Ankara. Sie ist die heißeste Stadt Europas.

An employee harvests flax at a collective farm in the village of Mirny

Ernet in Mirny, 220 km nordwestlich von  Moskau. Eine der schlimmsten Hitzewellen in der Geschichte des Landes sorgt derzeit in Russland für die größte Dürre seit 130 Jahren.

(Foto: rtr)

Darunter leidet das kältebegeisterte Volk. Vor allem aber leidet die Landwirtschaft. In Kursk und Kaluga verdorrt den Bauern die Frucht auf den Feldern, im Gebiet Uljanowsk an der Wolga werden sie nur ein Viertel der Vorjahresernte einbringen, im Gebiet Pensa nur die Hälfte. In Udmurtien zu Füßen des Ural ist ein Viertel der Aussaat eingegangen, die islamische Nachbarrepublik Tatarstan rechnet mit einem Drittel des üblichen Ertrags. "Wenn dieses Wetter noch zehn Tage anhält, verlieren wir die gesamte Kartoffelernte", sagte Alexander Logatschow, Landwirtschaftsminister des Kreises Perm. So groß ist die Hitze, so drastisch der Ausfall, dass bereits in 23 Gebieten Russlands der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Mehr als zehn Millionen Hektar Land sind vertrocknet, mehr als ein Fünftel der gesamten landwirtschaftlichen Fläche des Landes.

Dabei ist Russland einer der größten Getreide-Exporteure der Welt, und es will noch größer werden. Russland könnte "die Welt ernähren", wie Moskau noch im Winter verkündete. Aus dem fruchtbaren Schwarzerdegebiet um Woronesch ist noch längst nicht alles herausgeholt. Am Mittwoch aber bemerkte auch Premierminister Wladimir Putin, dass die Lage der Bauern "nicht besser, sondern schlechter wird" und reagierte in gewohnter Weise mit der Forderung nach "strengerer Kontrolle". Eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Vizepremier Wiktor Subkow solle Hilfsmaßnahmen prüfen sowie Kredite, direkte finanzielle Zuwendungen oder Getreideverkäufe aus dem russischen Interventionsfonds.

Letzterer ist heute ein Glück, nachdem er noch im Mai ein teures Vergnügen war. Nach der Rekordernte vor zwei Jahren hatte Vizepremier Subkow die Vorräte auf das Vierfache erweitert, um die Preise zu stabilisieren. Doch zehn Millionen Tonnen Getreide wollen gelagert und kontrolliert werden, und das kostet pro Monat umgerechnet 25000 Euro und verleitete Putin im Frühjahr zu dem Aufruf, Subkow solle die "kühnsten Ideen" entwickeln, um die Speicher zu leeren. Ab August könnte es so weit sein, dann soll erstes Futtergetreide an Regionen verkauft werden, die ihre Verluste dokumentiert haben. Von den Versicherungen, das zeigt sich inzwischen, haben die Bauern nicht immer viel zu erwarten.

Trotz dieser beruhigenden Worte warnen russische Medien seit Wochen vor steigenden Preisen für Brot, Milch und Fleisch im Herbst. Schon jetzt ist die Tonne Weizen in den Problemgebieten deutlich teurer. Schlimmstenfalls müsste der Weizenexporteur Russland sogar Getreide importieren. So weit soll es nach dem Willen der Regierung auf keinen Fall kommen: "Wir haben genug Ressourcen, um alle zu versorgen", so Subkow. Es werde weder an Futtergetreide noch an Mehl mangeln.

Wirtschaftsfachleute überzeugt das nicht. Sie erwarten eine steigende Inflation, einige rechnen die Folgen der Hitze sogar im Weltmaßstab hoch. Unmittelbar betroffen sind Russlands Nachbarländer. In der Ukraine leidet die Ernte. Und Kasachstan, einer der zehn größten Getreide-Exporteure der Welt, führt zwei Millionen Tonnen weniger aus als 2009.

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