Russland:Ölpreis stürzt ab - und wird für Russland zum Problem

Russian Retail Inside a Perekrestok Supermarket Operated by X5 Retail Group

54 Prozent der Staatsbürger können nur noch das Nötigste einkaufen.

(Foto: Bloomberg)
  • Die russische Regierung hatte mit einem Ölpreis von 50 Dollar kalkuliert. Doch der Preis liegt weit darunter.
  • Der Rubel hat deutlich an Wert verloren. Viele Bürger können sich nur noch Lebensmittel und die nötigsten Dinge des täglichen Bedarfs leisten.

Analyse von Julian Hans, Moskau

Die Szene hatte eine gewisse Komik, auch wenn der Anlass für die Beteiligten tragisch war: Einige Dutzend Kunden stürmten am Dienstag die Kreditabteilung der Raiffeisenbank in Moskau, trommelten auf Töpfe und verlangten, zum Filialleiter vorgelassen zu werden. Irgendwann nahm der Protest eine politische Wendung. Mit brechender Stimme und Tränen in den Augen rief eine Frau im Nerzmantel: "Lasst uns die Krim endlich zurückgeben, uns bleibt sonst nichts mehr zum Leben!"

Menschen, die Devisen-Hypotheken aufgenommen haben, trifft die Schwäche der russischen Währung besonders hart; mit jedem Kursverlust wachsen ihre Schulden. Seit Jahresbeginn hat der Rubel gegenüber Dollar und Euro fast sechs Prozent, in den letzten anderthalb Jahren sogar mehr als die Hälfte seines Wertes eingebüßt.

Am Freitag brachte die russische Zentralbank eine Zinserhöhung ins Spiel, um gegen den Kursverfall des Rubels zu kämpfen. "Sollten sich die Inflationsrisiken verstärken, wird die Bank von Russland eine Straffung ihrer Geldpolitik nicht ausschließen", ließ sie mitteilen.

Langsam beginnt sich die wirtschaftliche Lage auf die Stimmung auszuwirken

Noch gehen in Russland nur wenige Menschen so weit wie die Dame im Pelzmantel und machen die Politik des Kremls für die Krise verantwortlich. Wladimir Putins Zustimmungswerte liegen weiterhin über 80 Prozent. Doch langsam beginnt sich die wirtschaftliche Lage auf die Stimmung auszuwirken: Die Zuversicht sinkt. Auf die Frage, ob das Land auf dem richtigen Weg sei, antworteten dem unabhängigen Levada-Zentrum nur 45 Prozent der Befragten mit Ja.

Ein jäher Absturz: Im Dezember waren noch 56 Prozent dieser Ansicht. Der Wert ist außerdem der niedrigste seit Januar 2014. Die Euphorie über die Krim-Annexion hatte ihn zwischenzeitlich auf 64 Prozent getragen. Doch nun folgt offenbar die Ernüchterung.

Wachstumsprognose beruht auf einem Ölpreis von 50 Dollar

Um 3,8 Prozent ist die russische Wirtschaft 2015 geschrumpft. Für 2016 hatte die Regierung eigentlich ein Wachstum von 0,7 Prozent vorhergesagt, doch die Prognose beruhte auf einem Ölpreis von 50 Dollar pro Barrel. Am Freitag lag er bei rund 34 Dollar. Weil sich der Staatshaushalt zu mehr als der Hälfte aus dem Verkauf von Öl und Gas speist, ordnete Regierungschef Dmitrij Medwedjew zu Jahresbeginn Kürzungen von zehn Prozent über alle Ressorts an.

Es zeichnet sich ab, dass auch das nicht reichen wird. Am Donnerstag leitete Putin eine Sitzung des Sicherheitsrates, bei der es ausnahmsweise nur am Rande um den Einsatz in Syrien ging. Im Zentrum stand die Wirtschaftslage Russlands.

Finanzminister warnt schon vor Entwicklungen wie im Katastrophenjahr 1998

Mitte des Monats hatten die wichtigsten Figuren der russischen Wirtschaftspolitik auf dem jährlichen Gajdar-Forum ausgesprochen, was im Alltag immer stärker zu spüren ist: Die Krise hat Russland voll erfasst. Herman Gref, Chef des größten Kreditinstitutes des Landes, der staatlichen Sberbank, ordnete Russland unter die "Downshifter" ein: "Wir müssen ehrlich zugeben, dass wir zu den Verlierern gehören." Andere Staaten profitierten davon, dass sie ihre Wirtschaft und ihre Sozialsysteme rechtzeitig angepasst hätten.

Finanzminister Anton Siluanow warnte vor Entwicklungen wie im Katastrophenjahr 1998, als Russland in die Staatspleite rutschte und die Inflation auf 85 Prozent hochschnellte. Zwar ist der Staat heute von einer Pleite weit entfernt, die Verschuldung ist gering, und mit 370 Milliarden Dollar hat Russland immer noch eines der größten Devisenpolster weltweit. Aber die Bürger trifft es hart: Insgesamt betrug die Inflation im vergangenen Jahr 13 Prozent, doch gerade bei Lebensmitteln haben sich die Preise zum Teil verdoppelt.

Laut einer Studie, die die Wirtschaftszeitung RBC veröffentlichte, reicht bei 54 Prozent der Staatsbürger das Einkommen gerade noch für Lebensmittel und die nötigsten Dinge des täglichen Bedarfs. Mehr als 20 Millionen Menschen leben unter dem Existenzminimum, das ist jeder siebte Einwohner.

Nachdem Putin im Dezember verkündet hatte, die Talsohle sei durchschritten, warnte sein ehemaliger Finanzminister Alexej Kudrin, das Schlimmste stehe noch bevor. In der Not kommen unpopuläre Maßnahmen auf den Tisch: Die Anhebung des Rentenalters, Steuern auf Immobilien, erhöhte Kommunalabgaben. Die per Gesetz festgeschriebene Anhebung der Rente mit der Inflation wurde ausgesetzt.

"Wir brauchen auch politische Reformen", sagt ein einflussreicher Ökonom

Auch die wegen der Krim-Annexion und dem Ukraine-Krieg verhängten Sanktionen wirkten sich negativ aus, sagt Jewgenij Jassin, Leiter der Moskauer Higher School of Economics. "Aber die wichtigsten Ursachen für die Krise liegen bei uns selbst. Dafür brauchen wir nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Reformen. Das kann uns niemand abnehmen."

Selbst wenn die Sanktionen morgen aufgehoben würden, würde das alte Handelsvolumen mit Deutschland und Europa nicht so bald wieder erreicht, erklärt Jassin. "Der Fall des Rubel wirkt sich stark auf den zwischenstaatlichen Handel aus." Seit dem Boom der 2000er-Jahre hatten zwei Faktoren die russische Wirtschaft getrieben: Der Verkauf von Öl und Gas und der Konsum. Der Wohlstand aus dem Energiegeschäft wurde für Smartphones und Kühlschränke ausgegeben. Die müssen beim Import in Dollar bezahlt werden. Wenn ein Fass Öl aber nur noch ein Viertel von dem einbringt, was vor zwei Jahren bezahlt wurde, fehlt schlicht die Kaufkraft.

Vor einem Jahr war die russische Währung schon einmal dramatisch eingebrochen. Ende Januar 2015 kostete ein Dollar kurzzeitig fast 70 Rubel. Nachdem er sich zwischenzeitlich wieder erholte, steht der Dollar jetzt wieder bei 75 Rubel. "Der Rubelverfall vor einem Jahr war direkt mit den Sanktionen verbunden", erklärt Jassin. Der Ölkonzern Rosneft konnte sich an den Finanzmärkten nicht refinanzieren. "Heute ist das anders: Der Währungsverfall hängt direkt mit dem starken Fall des Ölpreises zusammen". Daran würde auch eine Aufhebung der Sanktionen nichts ändern.

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