Rumoren im Apparat:Die IG Metall sucht eine neue Strategie

Unternehmen fordern geringere Arbeitskosten und drohen mit Entlassungen oder Standortverlagerungen. Deutschlands mächtigste Gewerkschaft will jetzt eine Antwort darauf finden.

Von Jonas Viering

Erst war da Siemens mit der Ankündigung, die Handy-Werke Bocholt und Kamp-Lintfort nötigenfalls zu schließen. Dann kam der Personalkostenstreit bei Daimler in Sindelfingen. Dann Opel - und das sind nur die ganz großen Fälle, alle in diesem Jahr.

Die Gewerkschafter sehen hier ein Muster, Hardliner wie der Vorsitzende Jürgen Peters gar eine Art Kampagne: Immer sollen die Arbeitskosten runter, sei es durch längere Arbeitszeiten oder andere Einschnitte. Immer steht die Drohung dahinter, Personal werde entlassen oder gar der Standort verlagert. Die Arbeitnehmer stolpern, so wirkt es, von einer Abweichung vom Tarifvertrag zur nächsten.

Mehrere Alternativen

Die IG Metall ist nun heftig dabei, eine neue tarifpolitische Strategie zu suchen. Drei mögliche Antworten auf die betrieblichen Herausforderungen kristallisieren sich in internen Debatten heraus.

Erstens könnte der Flächentarif der Metall- und Elektroindustrie durch viel kleinere Branchentarife ersetzt werden.

Zweitens sind differenzierte Abschlüsse denkbar, mit einer Stufe für die Fläche und einer zweiten betrieblichen Stufe.

Drittens geht es um ein systematisiertes Vorgehen bei betrieblichen Abweichungen von der Fläche.

Kleinere Branchentarife werden etwa in Teilen der bayerischen IG Metall favorisiert. Wenn für alle Metaller von Porsche bis zum kriselnden Textilmaschinenhersteller derselbe Tarif abgeschlossen wird, sind Abweichungsverhandlungen programmiert, so die Überlegung.

Hingegen seien zum Beispiel alle der vielleicht zehn Betriebe für Haushaltsgeräte, die so genannte weiße Ware, in einer ähnlichen Wettbewerbssituation und also für einen gemeinsamen Tarif prädestiniert, meinen die Befürworter.

Nur haben viele Gewerkschafter die Erfahrung gemacht, dass die betreffenden Unternehmen dies strikt ablehnen. Sie fürchten die Transparenz in ihrer dann sehr kleinen Branche. Vor allem deshalb geben einige wichtige Tarifpolitiker der IG Metall den kleinen Branchentarifen wenig Chancen.

Differenzierten Abschlüssen hat Peters am Dienstagabend eine klare Absage erteilt. "Dafür gab es keine Mehrheit und wird es auch keine geben", sagte er in München.

Zweistufige Verträge

Fast geringschätzig fügte er an: "Diskussionen werde ich nicht verbieten, wozu auch?"

Vor wenigen Tagen hatte der zweite Vorsitzende Berthold Huber, lange Zeit als Bezirkschef Baden-Württembergs Peters schärfster Konkurrent, die zweistufigen Abschlüsse erneut thematisiert.

Damit überraschte er in der IG Metall viele; offenbar lässt Huber in diesen Wochen ein neues Konzeptpapier erarbeiten. Auf dem letzten Gewerkschaftstag hatte er den Vorschlag noch zurückziehen müssen, weil er sonst in einer Kampfentscheidung für immer und ewig vom Tisch gestimmt worden wäre. Im kommenden Oktober erst ist die große tarifpolitische Konferenz der IG Metall, in der es dann ums Ganze gehen wird.

Die IG Metall sucht eine neue Strategie

Zweistufige Abschlüsse könnten für die Fläche eine niedrige Tariferhöhung vorsehen, mit der jeder Betrieb leben kann. Danach würden entweder in den Betrieben Verhandlungen über einen Aufschlag geführt - was die Unternehmen aber als zu aufwändig ablehnen. Oder es würde nach vorher festgelegten Kennzahlen, etwa dem Profit eines Unternehmens, der betriebliche Aufschlag gleichsam automatisch ausgeschüttet.

Auch manche Huber wohlgesonnene Metaller halten das für wenig praktikabel, weil hier die Betriebe ihre Bücher offen legen müssten. Die Huber-Gegner fürchten schlicht, dass unter dem Strich weniger Geld rauskommt - was bei den schlechter dastehenden Betrieben gerade Sinn der Sache wäre.

Ganz konkret versucht die IG Metall, ihr Vorgehen bei betrieblichen Abweichungen zu systematisieren. Vergangene Woche legten ihre Geschäftsführer gemeinsam Routineregeln fest, welche Bedingungen dabei erfüllt werden müssen. Mit dem Tarifabschluss von Pforzheim, der Abweichungsmöglichkeiten vorsieht, habe die IG Metall "die Büchse der Pandora geöffnet", sagte Peters. "Ich höre schon das Geschrei, aber wir müssen auch wieder Nein sagen."

Nicht alle Abweichungsbegehren seien wirtschaftlich berechtigt. Die IG Metall versucht hier, aus der Not eine Tugend zu machen: Wo zu wenig Beschäftigte Gewerkschafter sind, wird sie Abweichungen nicht verhindern können - "da erfahren alle einmal den Wert des Tarifvertrags", so Peters.

Als Vorreiter betrieblicher Tarifpolitik sieht sich Nordrhein-Westfalen. Als es jüngst in einem Gummersbacher Betrieb Verhandlungen gab, hat der Bezirk allen Mitgliedern Briefe zum Sachstand nach Hause geschrieben. Der Organisationsgrad stieg sprunghaft.

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