Rüge des Rechnungshofes:Katastrophale Bilanz der schwarz-gelben Steuerpolitik

Lesezeit: 2 min

Die scharfe Kritik des Rechnungshofes an der Mehrwertsteuer zeigt, wie sehr Schwarz-Gelb bei der Steuerpolitik versagt hat. Ob Gewerbesteuer oder Steuerentlastung für die Bürger - überall hinterlässt die Regierung unfertige Projekte oder halbgare Reformen.

Ein Kommentar von Claus Hulverscheidt, Berlin

Glaubt man den Demoskopen, dann gelten die Deutschen außerhalb ihrer Landesgrenzen als eine ebenso pflichteifrige wie genügsame und humorfreie Spezies. Wäre die Welt eine Schulklasse, dann wäre Deutschland demnach der Streber, der nie die Hausaufgaben vergisst und beim Abi-Ball noch Traubenschorle trinkt. Wie schlecht die Welt die Deutschen doch kennt! Mit Blick auf das Steuerrecht nämlich sind die Bundesbürger wahre Nimmersatte, ausschweifende Nachtschwärmer, die alles wollen und das auch noch gleichzeitig: Einfach sollen die Regeln sein, niedrig die Sätze, gerecht dazu die Wirkungen auf die Geldbeutel. Das zumindest glaubt die Koalition.

Die vermeintliche Anspruchshaltung der Bürger hat dazu geführt, dass die Parteien seit vielen Jahren immer wieder Slogans wie "Einfach, niedrig und gerecht!" in Wahlprogramme und Koalitionsverträge hineinschreiben - nur um am Ende festzustellen, dass die Begriffe gar nicht zueinander passen. Man nehme nur "einfach" und "gerecht", zwei Ziele, die sich nicht etwa ergänzen, sondern gegenseitig ausschließen. Das deutsche Steuerrecht ist nämlich nicht (nur) deshalb so kompliziert, weil der gemeine Germane nun einmal zu Bürokratismus neigt, sondern weil es versucht, mithilfe vieler Ausnahmeregelungen die Lebenswirklichkeit des Einzelnen so weit wie möglich nachzuzeichnen. Das ist gerecht - aber nicht einfach. Gäbe es die vielen steuerlichen Anrechnungsmöglichkeiten nicht, wäre das wiederum einfach, aber nicht gerecht.

Wirrwarr bei der Mehrwertsteuer

Ein Beispiel für den inhärenten Widerspruch in der Steuerpolitik der Koalition (und zum Teil auch der anderen Parteien) ist neben der Einkommen- auch die Mehrwertsteuer. Sie ist in ihren Details so kompliziert und widersprüchlich, dass einem die Haare zu Berge stehen. Kein Wunder also, dass sie den Bundesrechnungshof jetzt zu einem ungewöhnlich geharnischten Bericht an den Bundestag animiert hat Windeln werden heute mit 19, Vogel- und Katzenfutter dagegen nur mit sieben Prozent besteuert. Beim Verkauf edler Zuchtpferde muss ebenfalls nur der ermäßigte Satz gezahlt werden, auf Esel der volle. Letzteres gilt auch für Kaviar, während Trüffel - auch kein Arme-Leute-Essen - mit sieben Prozent davonkommen. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Für jede Vergünstigung gab es bei ihrer Einführung eine halbwegs plausible Begründung. Das Ergebnis aber ist ein Wirrwarr. Wer ihn beseitigen und nicht zugleich neue Ungerechtigkeiten und Abgrenzungsprobleme schaffen will, dem wird nichts anderes übrigbleiben, als den ermäßigten Steuersatz schlichtweg abzuschaffen. Im Gegenzug könnte dann der Regelsatz von 19 auf 16 Prozent sinken. Einfacher wäre das. Aber ob es auch niedrig und gerecht wäre? Darüber ließe sich trefflich streiten.

Die schwarz-gelbe Koalition hat deshalb wohlweislich die Finger von dem Thema gelassen und die im Koalitionsvertrag angekündigte Reform einfach abgeblasen. Ja, sie marschierte sogar in die entgegengesetzte Richtung und schenkte den Hoteliers ohne jede Not den ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Die Absurdität eines Wahlversprechens wurde so durch eine noch absurdere Politik potenziert.

Die Hotelsteuer steht damit sinnbildlich für die katastrophale Bilanz der Koalition in der Steuerpolitik insgesamt. Die geplante Abschaffung der Gewerbesteuer? Abgesagt. Die Unternehmensteuerreform? Vertagt. Das deutsch-schweizerische Steuerabkommen? So schlecht verhandelt, dass es im Bundesrat scheiterte. Die versprochene zweite Steuersenkungsstufe für die Bürger? Mangels Kreativität verpatzt. Die steuerliche Gleichstellung der Homo-Ehe? Der Ideologie geopfert. Und schließlich die groß angekündigte Mehrwertsteuerreform? Siehe oben.

Jeder einzelne dieser Fehlschläge hatte seine speziellen Ursachen. Daneben aber zieht sich ein Grundmotiv durch die Steuerpolitik der Koalition, das Erfolge systematisch verhindert: mangelnder Realitätssinn. Insbesondere der FDP gelang es nach elf Jahren Opposition nicht, ihre in sich widersprüchlichen, ideologisch geprägten Wunschvorstellungen abzustreifen und die nötige Flexibilität für pragmatische, mehrheitsfähige Lösungen aufzubringen. Und die Union, die in Teilen ja ebenfalls noch in der Einfach-niedrig-und-gerecht-Welt des letzten Jahrzehnts verhaftet ist, brachte nicht die Kraft auf, die Liberalen an die Hand zu nehmen und sie in die nüchterne Regierungswelt des 21. Jahrhunderts zu geleiten.

Immerhin: Die CDU-Führung hält sich mit steuerlichen Heilsversprechen seit einiger Zeit auffallend zurück. Im Bundestagswahlprogramm der FDP dagegen, das darf man wohl annehmen, werden sich die drei so hübsch harmlos klingenden Wörter auch 2013 wiederfinden.

© SZ vom 17.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: