Rüdiger Grube im Gespräch:"Die Bahn ist kein Sanierungsfall"

Güterzüge im Stillstand, S-Bahnen in der Werkstatt, Streit um die Schiene: Bahn-Chef Rüdiger Grube bleibt dennoch locker.

Michael Bauchmüller und Daniela Kuhr

Wie ein Feuerwehrmann muss sich Rüdiger Grube, 58, in den vergangenen fünf Monaten manchmal gefühlt haben. Radrisse, kaputte Bremsen, Datenaffären und dubiose PR-Aktionen - im Wochentakt schien bei der Deutschen Bahn ein Brand aufzulodern, den der neue Vorstandschef löschen musste. Und jetzt stellt womöglich die schwarz-gelbe Koalition auch noch die Einheit des Konzerns infrage. "Ich habe diese Aufgabe nicht übernommen, weil ich dachte, dass alles ganz einfach sei", sagt Grube.

SZ: Herr Grube, kein halbes Jahr sind Sie Bahn-Chef, aber Ärger gibt es zuhauf. Wann schmeißen Sie hin?

Grube: Ich bin kein Mensch, der hinschmeißt. Wenn ich etwas anfange, dann ziehe ich es auch durch.

SZ: Beneiden muss man Sie jedenfalls nicht. S-Bahn-Chaos, Wirtschaftskrise, jetzt auch noch eine schwarz-gelbe Regierung, die den Einfluss der Bahn auf das Schienennetz begrenzen will.

Grube: Ich habe diese Aufgabe nicht übernommen, weil ich dachte, dass alles ganz einfach sei. Natürlich beunruhigt es mich, wenn ich höre, dass der eine oder andere Politiker den integrierten Konzern infrage stellt, also die Einheit von Schienennetz und Fahrbetrieb. Die darf aber nicht zerstört werden.

SZ: Warum eigentlich nicht?

Grube: Ganz einfach, weil Züge und Schienen zusammengehören. Die Bahn ist ein hochkomplexes System, viel komplexer, als ich es bei meinem Amtsantritt je gedacht hätte. Da müssen alle, die sich mit dem rollenden Material beschäftigen, mit denen eng zusammenarbeiten, die sich um das Netz kümmern. Wenn wir das trennen, vernichten wir Werte. Hinzu kommt auch, dass es den internen Arbeitsmarkt nicht mehr geben wird.

SZ: Na und?

Grube: Den kann man nicht hoch genug schätzen. Wir haben 240.000 Mitarbeiter. Wenn da einer seinen Job verliert, etwa im Güterverkehr, dann können wir ihn woanders einsetzen. Beim Netz zum Beispiel brauchen wir wegen der Konjunkturprogramme Mitarbeiter, da investieren wir 1,4 Milliarden Euro bis Ende 2011. Drei von vier Mitarbeiter finden auf Anhieb eine neue Stelle innerhalb des Konzerns. Und wer nicht sofort etwas findet, den qualifizieren wir für eine neue Aufgabe im Unternehmen.

SZ: Eine völlige Trennung will die Koalition ja nicht. Sie will verbieten, dass Gewinne aus dem Netz an den Mutterkonzern fließen. Ist das so schlimm?

Grube: Insgesamt sitzt die DB auf einem Schuldenberg von 15,9 Milliarden Euro. Davon sind gut zehn Milliarden Euro allein dem Netz zuzuordnen. Es ist ja nicht so, dass wir nur Gewinne mit dem Netz erwirtschaften, auch die Schulden und die Zinsen darauf müssen wir zahlen. Zudem stecken wir jedes Jahr 500 Millionen Euro an Eigenmitteln ins Netz, und das allein mit der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, die wir mit dem Bund verabredet haben. Da müsste man sich natürlich auch fragen, wer diese Rechnung übernehmen soll.

SZ: Dafür würde das Netz seine Gewinne selbst behalten dürfen.

Grube: Das stimmt, aber entscheidender ist doch, ob das Netz seine Kapitalkosten auch verdienen kann, und da habe ich meine ganz großen Zweifel. Viel wichtiger wäre es doch, die Liberalisierung der Bahnmärkte in Europa voranzutreiben. Während der deutsche Markt für alle geöffnet ist, wird die Deutsche Bahn im Ausland teils erheblich diskriminiert.

SZ: Das spricht aber eher für eine saubere Trennung des Netzes vom Betrieb, damit alle gleich behandelt werden.

Grube: Ich will doch nicht den Wettbewerb schmälern. Ich will nur, dass die anderen Länder erst einmal gleichziehen. Wenn wir den integrierten Konzern aufgeben, zerschlagen wir einen Konzern, der weltweit als Musterunternehmen in diesem Bereich gesehen wird. Und da sage ich Ihnen: Als Vorstandsvorsitzender muss ich dafür sorgen, dass der Unternehmenswert gesteigert und nicht vernichtet wird. Deshalb bin ich im Übrigen auch gegen einen raschen Börsengang.

SZ: Und wann rechnen Sie damit?

Grube: Nach heutiger Einschätzung wohl nicht vor 2013.

Und der Kunde zahlt

SZ: Ist die Bahn mit all ihren Problemen überhaupt attraktiv für Investoren?

Grube: Wir sind in Europa die einzige Bahn, die momentan noch schwarze Zahlen schreibt. Im ersten Halbjahr hatten wir ein Ergebnis von 671 Millionen Euro.

SZ: Und die Reisenden dürfen das bezahlen - mit höheren Fahrpreisen.

Grube: Aber die Erhöhung war moderat! Ich denke, die 1,8 Prozent sind eine Entscheidung mit Augenmaß gewesen.

SZ: Angesichts stabiler Energiekosten und Preise hätten es auch null Prozent sein können.

Grube: Sie meinen die Inflation? Der Warenkorb, mit dem man die misst, spiegelt die Entwicklung unserer Kosten nur unzureichend wider. Da sind keine Löhne oder Baukosten enthalten, in diesen Bereichen aber hatten wir enorme Steigerungsraten. Es war für mich eine Abwägung: Ich möchte einerseits der Anwalt der Kunden sein, muss aber andererseits das Unternehmen wirtschaftlich führen.

SZ: Sie haben Ihren Kunden zuletzt einiges zugemutet, mit Problemen bei ICE-Achsen etwa oder bei der S-Bahn Berlin.

Grube: Eines möchte ich klarstellen: Bahnfahren war immer sicher. Wir haben die Schwachstellen selbst entdeckt und öffentlich gemacht. Da gibt es keinerlei Kompromisse, Sicherheit ist keine Ermessensfrage. Stellen Sie sich nur mal vor, es würde was passieren! Dann stehe ich mit beiden Beinen im Gefängnis. Die Probleme mit den ICE3-Achsen waren im Übrigen nicht unsere Schuld. Wir haben uns ja jetzt mit den Herstellern geeinigt, dass sie auf eigene Kosten neue Achsen entwickeln und zulassen.

SZ: Keine Kompromisse? Bei der S-Bahn Berlin wurden über Jahre hinweg die Bremsen schlecht gewartet.

Grube: Ja, das stimmt leider. Eine Verschraubung, die regelmäßig hätte ausgetauscht werden müssen, wurde nicht ausgewechselt. In den Wartungsprotokollen wurde trotzdem ein Häkchen gemacht. Das alles ist für mich sehr schwer nachvollziehbar. Die Ermittlungen laufen noch, aber wir sind überzeugt, dass es auf Anweisung von Vorgesetzten geschehen sein muss. Ein Mitarbeiter macht so etwas nicht von sich aus.

SZ: Es hat auch keiner Alarm geschlagen. Wie kriegen Sie es hin, dass sich der Einzelne wieder verantwortlich fühlt?

Grube: Ich weiß nicht, wie die Unternehmenskultur vor meinem Antritt war. Für meinen Teil kann ich nur sagen: Mir ist der Dialog sehr wichtig. Ich möchte, dass die Leute reden. Ich will zumindest wissen, wo etwas nicht in Ordnung ist. So etwas aber kann man nicht anordnen. Das muss ich selbst vorleben, und ich versuche das, indem ich auf die Menschen zugehe und mit ihnen das Gespräch suche, um wieder Vertrauen aufzubauen.

SZ: Kritiker werfen der Bahn vor, sie habe die Berliner S-Bahn kaputtgespart. Was sagen Sie dazu?

Grube: Zu Beginn des Vertrags mit dem Land Berlin haben wir gut eine Milliarde Euro in neue S-Bahn-Züge investiert. 250 Millionen Euro davon sind heute noch Schulden. Wer behauptet, die S-Bahn Berlin sei kaputtgespart worden, macht es sich zu einfach. Das geht an der Sache vorbei.

Freier Fall? Vorbei!

SZ: Die S-Bahn ist nicht das einzige Problem. In der Logistik brechen die Umsätze weg.

Grube: Aber bei weitem nicht so wie bei manchen unserer Konkurrenten. Außerdem haben wir rechtzeitig gegengesteuert. Bis 2013 wollen wir pro Jahr zwei Milliarden Euro mehr Ertrag, vor allem durch sinkende Kosten. Die Bahn ist kein Sanierungsfall, ganz im Gegenteil.

SZ: Immerhin haben Sie im Güterverkehr einen Einbruch von 25 Prozent. Wie kommen Sie aus dem Loch wieder raus?

Grube: Die gute Nachricht ist, dass der freie Fall jetzt beendet ist. Wir beobachten, dass es ganz langsam wieder anzieht, aber von der üblichen Herbstspitze sind wir weit entfernt. Von 120.000 Güterwaggons stehen momentan noch 30.000 still. Wir können es uns dauerhaft nicht erlauben, solche Werte stillstehen zu haben. Das ist ungenutztes Vermögen. Da werden wir rationalisieren müssen.

SZ: Also Stellenabbau?

Grube: Es wird keine Entlassungen geben, wir haben schließlich einen Beschäftigungspakt. Wie gesagt, um strukturelle Veränderungen im Schienengüterverkehr kommen wir nicht herum. Auch, wenn es jetzt leicht aufwärts geht: Es werden Jahre vergehen, bis wir in etwa wieder das Niveau von 2007 und 2008 erreicht haben. In diesem Jahr waren bereits rund 11.500 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Man kann aber keine fünf Jahre mit Kurzarbeit überbrücken, das kann sich kein Unternehmen leisten.

SZ: Freunde machen Sie sich so nicht.

Grube: Ich habe einen Job, von dem andere sagen, es sei nach dem der Bundeskanzlerin der zweitverrückteste in Deutschland. Ich wusste aber vorher, worauf ich mich eingelassen habe. Deshalb gibt es keinen Grund, sich darüber zu beklagen. Es ist wie beim Trainer der Nationalmannschaft: Wenn ich mich jeden Tag darüber aufregen würde, dass relativ viele Menschen mitreden wollen, ginge es mir in der Tat schlecht. Zum Glück bin ich da nicht so empfindlich.

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