Rückzug aus der Chefetage:Die Kunst des stilvollen Verschwindens

Wagoner, Schramma, Mehdorn - drei Abschiede wider Willen, die nicht wirklich geglückt sind. Bleibt die Frage: Wie tritt man ehrenhaft zurück?

M. Zips

Von Kairos, dem flüchtigen Gott des richtigen Augenblicks, weiß man, dass er vorne lange Haare trägt und hinten kurze. In der Jugendsprache heißt so etwas "Volahiku". Wer also Kairos an seiner Volahiku packen will, also die Gelegenheit beim Schopfe, der muss sich beeilen, schließlich rauscht Kairos, Träger geflügelter Schuhe, unfassbar schnell vorbei. Vorausgesetzt, er lässt sich überhaupt mal bei einem Sterblichen blicken. Und wer Kairos' vordere Haarlocke schon beim Herannahen nicht gefasst bekommt, der erwischt ihn am kahlrasierten Hinterkopf gleich gar nicht mehr. So ist das mit ihm. Bei Kairos liegen Glück und Unglück, Gewinn und Verlust ganz nah beieinander.

Deutsche Bahn, Foto: dpa

Schon in wenigen Wochen wird Noch-Deutsche-Bahn-Chef Hartmut Mehdorn seine Stuhl räumen, ein Nachfolger ist mit Rüdiger Grube bereits gefunden.

(Foto: Foto: dpa)

In den vergangenen Tagen ist Kairos durch Köln gelaufen, durch Detroit und durch Berlin. Während der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma die göttliche Locke so gerade noch gepackt bekam, hatten Rick Wagoner, Ex-Chef von General Motors, und Hartmut Mehdorn, Chef der Deutschen Bahn, schon bei früheren Besuchen von Kairos viel zu lang gezögert. Und nun war es zu spät, nun konnte ihnen der Gott nicht mehr helfen, sie wurden mehr oder weniger rausgeworfen. Schramma wiederum, der von seiner Partei nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs fallengelassen worden war, erklärte, er werde bei der nächsten Oberbürgermeisterwahl nicht mehr antreten. Als Edelrücktritt im richtigen Moment kann man auch diesen Fall nicht bezeichnen.

Kein Vergleich zur Abdankung des Diokletian, des einzigen römischen Kaisers, der freiwillig aus dem Amt schied. Kein Vergleich zu Karl V., der zugunsten seines Sohnes und seines Bruders auf den spanischen Thron und die Kaiserwürde verzichtete ("Meine Kräfte reichen einfach nicht mehr hin"). Vorbildlich verhielt sich auch der römische Landwirt Cincinnatus, der einst vom Acker weg in sein Amt als Diktator berufen wurde, in 16 Tagen die widerlichsten Feinde Roms schlug, und sich danach wieder auf sein Landgut zurückzog - ohne dass er irgendein Privileg aus seinem Amt vermisst hätte. Brav gab er seine Macht wieder den Volksvertretern zurück. Aus Respekt dafür trägt heute noch die amerikanische Stadt Cincinatti seinen Namen.

Heutzutage gilt bei wichtigen Ämtern in der Politik, aber auch in der Wirtschaft eher das Wort des bei seiner Abdankung 87 Jahre alten Konrad Adenauer: "Ich gehe nicht leichten Herzens." Warum fällt der Abschied von der Macht so schwer? Sicher ist es vor allem der Verzicht auf "Transportation" und "Information", wie es Churchill umschrieb.

Wer Macht hat, verfügt über Dienstwagen, Flugzeuge, Sekretärinnen, Redenschreiber. Wer stets gewohnt war, dass andere ihm die Türe aufhalten, der droht gegen diese zu rennen, wenn dies nicht mehr geschieht. So wird der Abschied zur Entziehungskur. "Aber das kann man von mir nicht verlangen, dass ich, nachdem ich vierzig Jahre lang Politik getrieben, plötzlich mich gar nicht mehr damit abgeben soll", empörte sich Reichskanzler Otto von Bismarck nach seinem Sturz 1890. Da war der flüchtige Gott Kairos schon lange nicht mehr greifbar. "Es ist ein Glück, dass wir ihn los sind. Seine Größe lag hinter ihm", schrieb Theodor Fontane.

Die schwierigste aller Operationen

Auch wer gerade noch als Held galt, weil er einen anderen zum Rückzug drängte, kann bald selbst in der Schusslinie stehen: Bescheinigte Kurt Biedenkopf seinem Parteifreund Helmut Kohl einmal die Mentalität eines halsstarrigen "Altbauern", der es nicht schafft, sich aufs "Altenteil" zurückzuziehen, so galt er schon bald selber als unbelehrbarer "König Kurt".

Auch andere Kritiker wurden, waren sie mal an der Macht, schnell gemütlich und selbstgefällig. Seneca bezeichnete diesen Zustand einer allzu persönlichen Identifikation mit dem Erfolg mit dem wunderbaren Wort "Apocolocyntosis", "Verkürbissung". Und Niccolò Machiavelli formulierte vor fast 500 Jahren in "Il principe", dass sich über Menschen im Allgemeinen allein sagen lasse, "dass sie undankbar, wankelmütig und heuchlerisch sind, voll Angst vor Gefahr, voll Gier nach Gewinn".

Auf Abschiedsfeiern, freilich, klingt das anders. Als sich Jerry Sanders III., einer der Väter des Sillicon Valley und sozusagen einer der ganz großen Kürbisse auf seinem Gebiet, in den Ruhestand verabschiedete, betonte er vor seinen Mitarbeitern: "Ich mag es, in schönen Häusern zu wohnen. Ich mag es, nette Autos zu fahren. Ich mag es, mich gut anzuziehen, gut essen zu gehen und im Theater die besten Plätze zu bekommen. Ich bin gesegnet. Ich habe dafür hart gearbeitet und mein Geld verdient." Der Rückzug, um mit dem in strategischen Dingen als kompetent geltenden General Clausewitz zu reden, gilt als schwierigste aller Operationen - besonders für den, der sich doch eigentlich ganz gut eingerichtet hat.

Und was machen all die Mehdorns und Wagoners jetzt? Schreiben sie ihre Memoiren? Werden sie Berater? Tanzen sie mit Joschka Fischer durch die Nacht? Kehren sie zurück, wie Horst Seehofer oder wie Franz Josef Jung, der wegen einer Parteispendenaffäre zwar als Chef der hessischen Staatskanzlei geschasst wurde, nun aber deutscher Verteidigungsminister ist? Oder tun sie Buße wie der britische Heeresminister John Profumo, der nach seinem Rücktritt wegen einer Liaison mit einem Callgirl freiwillig Sôzialarbeit in den Armenvierteln Londons leistete? Wir werden sehen.

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