Rückschlag für Vattenfall-Klage:Ein Freund wie ein Feind

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Vattenfall verklagt die Bundesregierung auf 4,7 Milliarden Euro, weil Atomkraftwerke wie das in Krümmel per Gesetz stillgelegt wurden. (Foto: Christian Charisius/Reuters)

In dem Milliardenstreit um die Folgen des Atomausstiegs springt die EU-Kommission Deutschland bei. Brüssel hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Klage bei einem Schiedsgericht in den USA.

Von Markus Balser, Berlin

Der Ort, an dem der Streit zwischen Konzernen und Staaten eskaliert, liegt nicht weit entfernt vom Weißen Haus. In einem riesigen Gebäude der Weltbank hat einer der verschwiegensten und zugleich mächtigsten Schiedshöfe der Welt seinen Sitz: das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, kurz ICSID, in Washington. Der in Deutschland bekannteste Fall trägt die Nummer ARB/12/12: Vattenfall versus Federal Republic of Germany, so steht es in den ICSID-Akten. Streitpunkt: die finanziellen Folgen des deutschen Atomausstiegs. Exakt 4 675 903 975,32 Euro fordern die Schweden von der Bundesregierung zurück, weil der Bund nach der Katastrophe von Fukushima die Pannenkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel wegen Sicherheitsbedenken aus dem Verkehr zog. Seit Jahren bekämpfen sich die Parteien nun schon mit Schriftsätzen.

Der Fall zeigt, welche Risiken TTIP für die deutschen Steuerzahler birgt

In diesen Tagen bekommt der ohnehin spektakuläre Fall nach Informationen der Süddeutschen Zeitung eine ganz neue Wendung, deren Bedeutung weit über den Streit von Schweden und Deutschen hinausreicht und tief hineinführt in die TTIP-Debatte um die Gefahren durch internationale Schiedsgerichte. Die Europäische Kommission hat sich in das Verfahren eingeschaltet. "Die EU-Kommission ist auf ihren Antrag hin in dem laufenden Schiedsgerichtsverfahren ARB 12/12 als sog. Amicus Curiae vom Schiedsgericht zugelassen und zur Einreichung eines Streithilfeschriftsatzes aufgefordert worden", teilt das Bundeswirtschaftsministerium in einer Antwort auf eine schriftliche Frage der Grünen an die Bundesregierung mit.

Es gilt als juristischer Paukenschlag, dass sich Brüssel als "Freund des Gerichts", als Streithelfer also, in das Verfahren einmischt. Noch liegt der Schriftsatz aus Brüssel nicht vor. Doch schon jetzt wird klar: Die Kommission hält es nach Angaben aus Brüssel für nicht mit EU-Recht vereinbar, dass ein Unternehmen aus einem EU-Mitgliedsland ein anderes EU-Mitglied vor einem Schiedsgericht in den USA verklagt. "Wir gehen davon aus, dass solche Streitfälle im Rahmen des Binnenmarkts gelöst werden müssen", heißt es aus der Kommission. Der Weg über ein Schiedsgericht könnte demnach gegen EU-Recht, etwa die EU-Durchführungsverträge verstoßen.

Offiziell wollen sich weder Vattenfall noch die Bundesregierung oder die Kommission zu dem laufenden Verfahren äußern. Aus der Bundesregierung verlautet, das Thema sei "äußerst brisant". Europa wolle in dem Fall und darüber hinaus sein juristisches Revier verteidigen, glauben Beobachter. Das Vorgehen macht klar: Die internationalen Schiedshöfe, die auch in der Debatte um Freihandelsabkommen wie TTIP eine wachsende Rolle spielen, sind der Kommission ein Dorn im Auge. Und sie ist bereit, den Kampf aufzunehmen.

Für Vattenfall gilt die Nachricht aus Brüssel als herber Rückschlag. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hatte sich die Kommission in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder in Schiedsgerichtsverfahren internationaler Höfe als Streithelfer eingeschaltet. Immer wieder vertrat Brüssel, zuletzt etwa in Schiedsverfahren gegen spanische Kürzungen der Ökostromförderung, die Position, dass innereuropäische Streitfragen von europäischen Institutionen gelöst werden müssen. Auch bilaterale Investitionsschutzabkommen einzelner EU-Länder miteinander, aber auch mit Ländern wie China, sieht die Kommission kritisch. Sie ist seit dem Lissabon-Vertrag 2009 für solche Abkommen zuständig.

Der Fall Rumänien dürfte Vattenfall klarmachen, was droht. Die Brüder Ioan und Viorel Micula hatten vor zwei Jahren vor dem Washingtoner ISCID 82 Millionen Euro erstritten, weil Rumänien eine bereits zugesagte Förderung für die Lebensmittelproduktion in den Neunzigerjahren gestrichen hatte. Auch hier schaltete sich die Kommission ein und kämpfte dabei hartnäckig für das Mitgliedsland und gegen den Investor. Zwar verlor Rumänien den Fall. Brüssel aber gab nicht auf und versuchte später, die Auszahlung an die Investoren zu verhindern. Der Streit ist inzwischen vor dem EuGH gelandet.

In der deutschen Politik wird das Unbehagen über die wachsende Macht der Schiedsgerichte größer. "Vattenfall führt schon jetzt vor, was TTIP für die deutschen Steuerzahler an Risiken mit sich bringt", sagt Hubertus Zdebel, Sprecher für Atomausstieg der Linken-Bundestagsfraktion. "Die EU täte jetzt gut daran, Vattenfall Grenzen aufzuzeigen, damit der schwedische Staatskonzern die Klage in Washington endlich beendet."

Die Grünen fordern Vattenfall zum Umdenken auf. "EU-intern hebelt ein Staatsunternehmen gemeinsames Recht aus, um sich von einem anderen EU-Staat die gescheiterte Konzernstrategie versilbern zu lassen", warnt Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin. "Wer Hochrisikoanlagen betreibt, nimmt von Anfang an in Kauf, dass seine Geschäftsgrundlage plötzlich futsch sein kann. Vattenfall muss endlich einsehen, dass nicht die deutschen Steuerzahler Schuld sind, wenn sich die Konzernspitze verzockt, und die Klage zurückziehen."

© SZ vom 25.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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