Rosneft:Russische Attacke

Vladimir Yevtushenkov

Ringt um seinen Konzern: Sistema-Chef Wladimir Jewtuschenkow.

(Foto: Alexei Druzhinin/AP)

Der Staatskonzern Rosneft fordert Milliarden vom Konkurrenten Sistema. Das könnte den in den Ruin treiben. Medien ziehen Parallelen zum Fall Yukos, der damals größte Ölkonzern wurde zerschlagen, die Filetstücke verleibte sich Rosneft ein.

Von Julian Hans, Moskau

Eine Enteignung war nicht genug. In einem der größten Wirtschaftsprozesse der russischen Geschichte verlangt der staatlich kontrollierte Ölkonzern Rosneft nun auch Entschädigung von einem Konkurrenten, dessen Tochterunternehmen sich Rosneft gerade erst unter zweifelhaften Umständen angeeignet hat. Es geht um 170 Milliarden Rubel Schadenersatz, die Rosneft von dem russischen Mischkonzern AFK Sistema fordert - umgerechnet etwa 2,5 Milliarden Euro. Die Forderung könnte das bisher gesunde Unternehmen, das von internationalen Wirtschaftsprüfern und Rating-Agenturen in der Vergangenheit für seine Transparenz gelobt wurde, in den Ruin treiben.

Nachdem ein Gericht in Ufa das Vermögen des Konzerns konfisziert hatte, musste Sistema Anfang der Woche "technischen" Bankrott anmelden, es kann möglicherweise nicht mehr alle Verbindlichkeiten voll bedienen. Die geforderte Summe entspricht nahezu dem Jahresgewinn des Klägers Rosneft.

Russische Medien ziehen Parallelen zur Zerschlagung von Yukos; der vormals größte Ölkonzern des Landes wurde ab 2004 durch Steuernachforderungen in Milliardenhöhe und einer Reihe von Gerichtsentscheiden in den Ruin getrieben. Die Filetstücke verleibte sich Rosneft ein.

Auch damals war ein Name mit den Attacken verbunden: Igor Setschin. Der heute 56-Jährige hat wie Russlands Präsident seine erste Karriere beim KGB gemacht und steht Wladimir Putin seit dessen Petersburger Tagen nah. Bei der Zerschlagung von Yukos soll er aus der Präsidialverwaltung heraus die Strippen gezogen haben. Seit 2004 ist er Vorstandsvorsitzender von Rosneft (mit einer kurzen Unterbrechung in der Regierungszeit Dmitrij Medwedew).

Bemerkenswert sind aber auch die Unterschiede. Anders als beim Yukos-Chef Michail Chodorkowskij trifft es diesmal keinen Oligarchen mit politischen Ambitionen. Sistema-Chef Wladimir Jewtuschenkow hat sich stets aus der Politik herausgehalten. Anders als die meisten russischen Milliardäre der ersten Stunde hat er sein Vermögen nicht mit Betrieben der Rohstoff- oder Schwerindustrie gemacht. Anfang der Neunzigerjahre formte der heute 68-Jährige marode städtische Betriebe in Moskau zu einem marktwirtschaftlich arbeitenden Mischkonzern um. Heute gehören zu Sistema unter anderem die Telekommunikationsgesellschaft MTS, das Kaufhaus "Welt der Kinder" sowie Banken, Pharmaunternehmen und Forstbetriebe.

Strategie des Konzerns ist es bis heute, angeschlagene Unternehmen aufzukaufen und zu sanieren. Dass er das 2009 auch mit einem Ölkonzern gemacht und sich damit in das Visier von Setschin gebracht hat, dürfte Jewtuschenkow heute bereuen. Schon damals soll Setschin dem Vernehmen nach Interesse am sechstgrößten Erdölproduzenten des Landes geäußert haben. Aber unter dem damaligen Regierungschef Dmitrij Medwedew bekam Jewtuschenkow den Zuschlag zum Kauf von Bashneft.

Er verkaufte unprofitable Unternehmensteile, kaufte Aktien zurück und bereitete Bashneft gerade auf einen Börsengang vor, als er 2014 plötzlich verhaftet und unter Hausarrest gesetzt wurde. Die Behörden warfen ihm Geldwäsche vor. Außerdem sei es bei der Privatisierung von Bashneft nicht mit rechten Dingen zugegangen. Die war allerdings abgeschlossen, lange bevor Sistema Bashneft erwarb.

Anders als seinerzeit Michail Chodorkowskij nahm Jewtuschenkow nicht den Kampf gegen die Staatsmaschine auf, sondern fügte sich. Bashneft wurde an den Staat zurückgegeben, die Ermittler ließen ihre Vorwürfe fallen und der Hausarrest gegen Jewtuschenkow wurde aufgehoben.

Im Herbst 2016 bekam Rosneft den Zuschlag für die wiederverstaatlichten Bashneft-Anteile. Wirtschaftsminister Alexander Uljukajew, der sich gegen einen Verkauf an Rosneft ausgesprochen hatte, wurde in einer nächtlichen Aktion in der Rosneft-Zentrale in Moskau verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Ihm wird vorgeworfen, von Igor Setschin zwei Millionen Dollar für seine Zustimmung zu dem Deal verlangt zu haben.

Im Mai wurde klar, dass Jewtuschenkows Hoffnung, einen Teil seines Eigentums gegen Freiheit eintauschen zu können, nicht aufging. In der jetzt eingereichten Klage argumentiert Rosneft, Bashneft habe durch den Verkauf von Unternehmensteilen und die Auszahlung von Anteilseignern während der Restrukturierung an Wert verloren. Diesen Wert fordert Rosneft nun als Schadenersatz zurück - plus einen Ausgleich für Einbußen durch die Kursverluste des Rubel.

In dem Fall prallen zwei Unternehmensstrategien aufeinander: Auf der einen Seite Jewtuschenkow, der schwächelnde Unternehmen kaufte, modernisierte und zum Teil wieder veräußerte. Auf der anderen Seite Setschin, der Rosneft groß gemacht hat, indem er immer wieder erfolgreiche Konkurrenten übernahm.

Yukos, TNK-BP und nun Bashneft sind dafür nur die bekanntesten Beispiele. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Tass hat Rosneft in den vergangenen 20 Jahren in mehr als 500 Verfahren insgesamt 124 Milliarden Rubel eingetrieben. Der aktuelle Fall allerdings übertrifft diese Summe auf einen Schlag.

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