Rosenthal:Alter Stolz in Scherben

Ganz Selb klammert sich an die einstigen Erfolge des Porzellanherstellers Rosenthal - ein geheimnisvoller Investor soll nun doch noch die Pleite verhindern.

Uwe Ritzer

Ausgerechnet im "Feierabendhaus" wird der Neuanfang beschworen. Rosenthal werde es schaffen, sagt der oberste Manager des angeschlagenen Porzellanherstellers. Der vorläufige Insolvenzverwalter beruhigt, zunächst einmal gingen die Geschäfte weiter wie gehabt. Der Saal ist voll, fast 500 Mitarbeiter hören zu. Sie fürchten, dass vielleicht doch bald Feierabend sein könnte, und zwar für immer. Dass ihre Marke Rosenthal in Schönheit stirbt oder aber bereits in Scherben liegt.

Rosenthal: Der alte Stolz liegt in Scherben

Der Porzellanhersteller Rosenthal in Selb, Oberfranken: Nur vier Tage nach dem Mutterkonzern Waterford Wedgwood hat auch die Tochter Insolvenz beantragt.

(Foto: Foto: ddp)

Die Älteren unter ihnen erinnern sich noch an Zeiten, als ein paar Straßen weiter im Rosenthal-Theater andere Töne zu hören waren als Business-Floskeln wie "Restrukturierungsprozess" oder "strategischer Investor". Damals kam die Musik in Selb von Weltstars. Louis Armstrong, Count Basie, Duke Ellington, José Carreras - alle sind sie hier schon aufgetreten. "Auf Einladung von Rosenthal", sagt Philip Rosenthals langjährige Lebensgefährtin Beate Reichel. "Aber damals waren die Schränke ja auch noch leer."

"Die wirtschaftliche Achillesferse"

Wer etwas über Glanz und Niedergang der 130 Jahre alten Porzellanmanufaktur Rosenthal erfahren will, muss ihre Heimat besuchen. Selb ist eine Kleinstadt an der Grenze zu Tschechien im nordöstlichsten Zipfel Bayerns. Das ist ein Landstrich, von dem Oberbürgermeister Wolfgang Kreil sagt, er sei "die wirtschaftliche Achillesferse" des Freistaates. Vor 30, 40 Jahren herrschte hier noch Goldgräberstimmung. Die Menschen sprachen vom "weißen Gold", wenn sie Porzellan meinten. Selb allein hatte zwei Dutzend Porzellanmanufakturen, und die drei größten, Rosenthal, Hutschenreuther und Heinrich, produzierten die Hälfte des in Deutschland hergestellten Porzellans. Alle in und um Selb hatten damals Arbeit, und einige wurden reich. Die nannte man dann "Porzellanbarone", und der schillerndste war Philip Rosenthal.

Die 58-jährige Beate Reichel nennt ihn liebevoll "einen Paradiesvogel". Ein ehemaliger Bäckerlehrling und Fremdenlegionär, der für die britische Armee und als Journalist arbeitete, ehe er 1950 den Familienbetrieb übernahm. Er wurde erfolgreicher Unternehmer und nebenher noch SPD-Bundestagsabgeordneter und Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Philip Rosenthal war ein Draufgänger, ein Frauenheld, eine Sportskanone, ein Liebling der Society und in alledem ein PR-Genie. Er wusste Glanz zu erzeugen, für sich und seine Marke.

Ein besonderer Geist

"Von Rosenthal ging immer ein besonderer Spirit aus", sagt Beate Reichel. Sie meint das Unternehmen, in dem sie schon ihr ganzes Berufsleben arbeitet. Und sie meint den Mann, mit dem sie dessen letzte 25 Lebensjahre verbrachte. Eine Zeitreise mit Beate Reichel als Scout führt ins Selber Firmenmuseum und dort zu Werken vieler großer Designer und Künstler, heißen sie nun Andy Warhol, Luigi Colani, Björn Wiindblad, Aldo Rossi, Jörg Immenhof oder Günter Grass.

Alle haben sie irgendwann einmal mit dem schwierigen Gemisch aus Kaolin, Feldspat und Quarz gearbeitet. Sie formten es im Auftrag von Rosenthal, und damit nicht genug. Walter Gropius, der Bauhaus-Architekt, modellierte nicht nur das Teeservice "TAC 1", sondern plante auch die Fabrik "Rosenthal am Rothbühl". Samt "Feierabendhaus" und Stall für ein Ferkel, weil er gegen Philip Rosenthal eine Wette verloren hatte. Die Firmenzentrale ein paar Straßen weiter bemalte Otto Piene in Regenbogenfarben. Gleich daneben verwandelten Friedensreich Hundertwasser und Marcello Morandini spröde Bürohäuser in Baukunst. Nach getanem Werk feierten Künstler und Auftraggeber ausgiebig im Rosenthal-Schlösschen in Erkersreuth.

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Alter Stolz in Scherben

"Hier waren auch viele prominente Politiker zu Gast", sagt Beate Reichel. Brandt, Schmidt, Scheel, später auch Schily oder Blüm. Reichel schließt die eigenwillig gewellte Aluminiumtür auf und damit ein Gesamtkunstwerk. Bis zu seinem Tod 2001 hat sie mit Philip Rosenthal in dem Landschloss gelebt. Inmitten von Ölgemälden und Holzschnitten, Designerporzellan und den persönlichen Trophäen des weitgereisten Lebemannes wie den abgebrochenen Propeller eines Flugzeuges, in dem Rosenthal einmal abgestürzt ist.

Vom Kulturgut zur Wegwerfware

Beate Reichel ist eine zurückhaltende Frau, die nur wohldosiert und auf ausdrückliche Nachfrage von ihrer Zeit an Philip Rosenthals Seite spricht. "Ich rede lieber über die Gegenwart", sagt sie. Zum Beispiel, warum die Deutschen heute keinen Platz mehr haben in ihren Schränken für Teller, Tassen und Terrinen aus feinem Porzellan. Geschirr war früher ein Kulturgut, das über Generationen gehütet und vererbt wurde. Seit der Eiserne Vorhang fiel, ist es Wegwerfware. Denn seither schwemmt keramische Billigware aus dem Osten in die Küchen, Wohn- und Esszimmer. Damit einher scheint auch die Tischkultur zu verfallen. Immer weniger Geld geben die Deutschen für Tischdeko, Wohnkultur und Hausrat aus.

Mit den Folgen muss sich auch Wolfgang Kreil herumschlagen. "Porzellan formt unser Image nach außen und unsere Identität nach innen", sagt der Oberbürgermeister von Selb. "Aber es ist nicht die tragende Säule unserer Zukunft." Gewiss, der "Rote Faden", an dem entlang die Selber Besucher durch ihre Stadt lotsen, führt vorbei am Rosenthal-Theater, an Brunnen, Glockenspielen, Wappen und sogar einem Stadtplan aus Porzellan. Die meisten der in Spitzenzeiten zwei Dutzend Porzellanmanufakturen in Selb sind jedoch verschwunden oder auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Auch Rosenthal hat Tausende Arbeitsplätze abgebaut und zählt in Selb gerade noch 600 Mitarbeiter.

"Eine fatale Monostruktur"

Es rächte sich, dass die Porzellanbarone in guten Zeiten andere Unternehmer nicht erst in die Stadt gelassen hatten, damit sie ihnen die günstigen Arbeitskräfte nicht abspenstig machten. "Wir hatten eine fatale Monostruktur", sagt OB Kreil. Der rundliche 50-jährige Christsoziale mit der akkurat gekämmten Frisur und der randlosen Brille regiert eine Stadt im Umbruch. Seit Jahren verliert Selb Einwohner, vor allem die Jungen ziehen weg. 16400 Menschen leben noch hier, früher waren es annähernd 24000. "Wir werden weiter schrumpfen", prophezeit Kreil.

Er stemmt sich nach Kräften dagegen und ist dabei nicht erfolglos. Einige neue Firmen konnte er zuletzt anlocken und die Arbeitslosenquote auf sieben Prozent halbieren. Ob Rosenthal sie demnächst wieder nach oben treibt, ist offen.

Seit 1997 gehört die Firma zum irischen Konzern Waterford Wedgwood. Der ist seit Jahren chronisch klamm und hielt seine Selber Porzellantochter finanziell an der kurzen Leine. Doch auch sonst ist es nicht gut gelaufen. Ein Arbeitsplatzabbau folgte dem nächsten, und irgendwie fand diese weltberühmte Marke, die als Inbegriff für Stil, Noblesse und besondere Qualität bei Tisch gilt, bis heute keinen rechten Weg in die Zukunft. Als Waterford Wedgwood vor zehn Tagen pleite ging, riss der Sog auch Rosenthal mit. Nun soll es der große Unbekannte richten. Ein Investor, dessen Namen er noch nicht nennen dürfe, sei drauf und dran, Rosenthal samt aller Beschäftigten zu übernehmen, sagt Vorstandschef Ottmar C. Küsel bei der Betriebsversammlung im "Feierabendhaus". Man hoffe, in den nächsten Wochen alles klar zu machen.

Womöglich kommt in der Zwischenzeit der Frühling. Dann werden auch die Flamingos wieder rausgelassen. Seit Philip Rosenthals Zeiten ist es Tradition, dass einige Exemplare der Tropenvögel über das Gelände vor dem "Feierabendhaus" staksen. Quasi als Boten besserer Zeiten.

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