Roland Berger im Interview:"Die Krise ist bis 2010 überstanden"

Panik fehl am Platz: Berater Roland Berger über die Folgen der globalen Finanzkrise, die Zukunft der CSU in Bayern und wachsende Ungerechtigkeit in Deutschland.

Marc Beise und Carsten Matthäus

Highlight Towers in München-Schwabing, 32. Etage. Roland Berger, 70, Deutschlands bekanntester Unternehmensberater, hat es an diesem Morgen nicht eilig. In der Aufregung um die globale Finanzkrise warnt er vor Dramatisierung. Und er lässt keinen Zweifel daran, dass er weiterhin Kontakt hält zu Konzernchefs und Spitzenpolitikern.

sueddeutsche.de: Herr Berger, die Landtagswahl in Bayern endete spektakulär. Sie selbst waren lange Jahre Berater des früheren Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Wie hat er Ihnen gegenüber auf den Wahlausgang reagiert?

Roland Berger: Er war natürlich entsetzt, wenn auch durchaus davon überzeugt, er hätte es besser gemacht. Im Wahlergebnis sieht er naturgemäß eine Bestätigung dafür, dass es falsch war, ihn zum Rücktritt zu bewegen. Ich bin allerdings der Meinung, dass in einem Jahr wie diesem selbst Edmund Stoiber kaum ein 50-plus-Ergebnis hätte erzielen können, aber drei oder vier Prozentpunkte mehr hätte er wohl schon geholt.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie den Wahlabend erlebt?

Berger: Ich war im Bayerischen Landtag. Dort gab es manch deprimierte Miene zu sehen. Man darf ja nicht vergessen, dass so eine Wahl auch ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Politiker darstellt. Deshalb ist es für die Parteien wichtig, dass Kandidaten an der Spitze stehen, die möglichst viele Stimmen und damit gutbezahlte Abgeordnetenmandate holen.

sueddeutsche.de: Glauben Sie denn, dass die Zeit der herausragenden Persönlichkeiten mit Stoiber vorbei ist?

Berger: Nein, besonders in Krisenzeiten entwickeln sich in der Politik immer wieder große Persönlichkeiten. Und für die Parteien sind solche Persönlichkeiten unabdingbar. Das zeigen die Umfragewerte von Angelika Merkel und Frank-Walter Steinmeier, die teils beim Doppelten ihrer jeweiligen Partei liegen. Deshalb ist es auch etwas unglücklich, dass nicht zuletzt Frau Merkels Personalpolitik einige sehr profilierte Politiker in der Union, wie etwa Friedrich Merz, dazu veranlasst hat, außerhalb der Politik ihr Geld zu verdienen.

sueddeutsche.de: Horst Seehofer ist nun der neue starke Mann in der CSU. Was muss er tun?

Berger: Er ist meiner Ansicht nach ein sehr fähiger Politiker und wird die erfolgreiche Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften in Bayern fortsetzen und die Interessen Bayerns und der CSU in Berlin wirksam vertreten. Wesentlich wird aber sein, dass er parteiintern schnell einen Konsens in der Parteiführung herstellt und gleichzeitig fähige Nachwuchsleute in Führungspositionen bringt. Das wurde in der Vergangenheit vernachlässigt.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum Roland Berger eine wachsende Gerechtigkeitslücke in Deutschland befürchtet und warum er sich in der Bildungsförderung engagiert. In Teil drei geht es um hohe Managergehälter und die Vorbildfunktion der US-Wirtschaft. Die Ursachen und Folgen der globalen Finanzkrise sind Thema des vierten Teils.

"Die Krise ist bis 2010 überstanden"

sueddeutsche.de: Mit ihrer Stiftung haben Sie selbst ein Förderprogramm für Nachwuchs aufgelegt. Ihnen geht es dabei um sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche in Deutschland. Warum dieses Engagement?

Berger: Zunächst einmal ist dies persönlich motiviert: Mein Erfolg gründet ja vor allem darauf, dass ich Zugang zu hervorragender Bildung hatte. Und ich hatte schon immer den Wunsch, Schwachen zu helfen. In Deutschland gibt es nun gerade bei Bildung eine massive soziale Schieflage: 83 Prozent der Akademikerkinder studieren, nur sechs Prozent der Arbeiterkinder und gerade mal zwei Prozent der Migrantenkinder. Intelligenz ist aber über alle Schichten gleich verteilt. So entgehen der Gesellschaft wertvolle Ressourcen, Intellekt und Motivation - vom Verlust persönlicher Chancen für diese jungen Menschen ganz zu schweigen.

sueddeutsche.de: Was wollen Sie tun?

Berger: Wir wollen im ersten Jahr, in dem wir aktiv sind, bereits 160 Stipendien vergeben. Und ich möchte diese Aktivitäten durch Zustiftungen von außen noch erheblich ausweiten. Bis zum Ende meines Lebens soll das Stiftungskapital von jetzt 50 Millionen Euro von mir persönlich auf 150 Millionen Euro aufgestockt sein. Damit ist die Stiftung solide finanziert und kann entsprechend viele Menschen fördern.

sueddeutsche.de: Ist das als Elitestipendium zu verstehen?

Berger: Nein, es geht mir nicht um Einserschüler oder um Jungunternehmer. Ich möchte Menschen individuell fördern, die auf allen Gebieten der Gesellschaft - sei es Kunst, Wissenschaft, Medien, Politik, Soziales oder eben Wirtschaft - etwas leisten und Verantwortung übernehmen können und wollen. Ich gehe davon aus, dass Menschen, die etwas aus sich machen, der Gesellschaft auch etwas zurückgeben.

sueddeutsche.de: Sehen Sie eine Gerechtigkeitslücke zwischen bildungsnahen und bildungsfernen Schichten?

Berger: Ja, und das verletzt meinen Gerechtigkeitssinn und bereitet mir Sorgen. Denn die Stabilität unserer Gesellschaft hängt wesentlich davon ab, dass sich alle Mitglieder in ihr aufgehoben fühlen. Diese Ordnung gerät aber in Gefahr, wenn die Realeinkommen der Mehrheit der Bevölkerung stagnieren oder ganz sinken, wie es seit 1990 der Fall ist, und die Verteilungsspielräume aufgrund der Globalisierung immer enger werden. Dann wird es natürlich als zunehmend ungerecht empfunden, wenn Führungskräfte ihre Einkommen weit überproportional steigern können - auch wenn ihre Leistungen dies objektiv rechtfertigen.

Lesen Sie im dritten Teil, wie Roland Berger hohe Managergehälter verteidigt und wie er die Vorbildfunktion der US-Wirtschaft bewertet. In Teil vier geht es um die Ursachen und Folgen der globalen Finanzkrise.

"Die Krise ist bis 2010 überstanden"

sueddeutsche.de: Sind Manager in diesem staatsbürgerlichen Sinne bescheiden genug? Sollten sie nicht einfach auf Teile ihres exorbitanten Einkommens verzichten? Erst recht auf Abfindungen im Falle des Scheiterns?

Berger: Da muss man unterscheiden. Wenn der Markt es erfordert, ist es in Ordnung, wenn für herausragende Leistung hohe Einkommen gezahlt werden. Wenn ein Manager Arbeitsplätze schafft, sein Unternehmen durch Krisen manövriert oder hohe Gewinne erwirtschaftet, dann soll er dafür überdurchschnittlich entlohnt werden. Inakzeptabel wird es, wenn er seine Firma in den Ruin treibt und trotzdem mit Millionensummen abgefunden wird.

sueddeutsche.de: Wie es in den USA ständig geschieht, aber mehr und mehr auch in Deutschland.

Berger: Vor allem in den USA. Andererseits sind die Strafen dort gnadenlos, wie wir es bei Enron, Tyco oder Worldcom beobachten konnten. Ein Manager, der veruntreut, landet dort schnell im Gefängnis, in Armut und sozialer Ächtung.

sueddeutsche.de: Kann die USA für Deutschland als Wirtschaftsmodell überhaupt noch als Vorbild gelten?

Berger: Nicht als Gesamtsystem, dafür sind die Kulturen zu unterschiedlich. Wenn dort ein Warren Buffett oder Bill Gates riesige Vermögen anhäufen, verstehen Amerikaner das als Ansporn, es ihnen nachzutun, und nicht als Grund, neidisch zu sein. Selbst ein einfacher Arbeiter hofft darauf, dass sein Kind der nächste Gates oder Buffett werden könnte. Und das ist keine Utopie. Sollte Barack Obama wirklich Präsident der Vereinigten Staaten werden, wäre das eine neue fabelhafte Erfolgsgeschichte amerikanischer Prägung. Entsprechend tönt in den USA der Ruf nach staatlichen Eingriffen weniger laut als in vielen europäischen Ländern.

Lesen Sie im vierten Teil, warum Roland Berger trotz der Finanzkrise weiterhin optimistisch bleibt und was ihm weitaus größere Sorgen bereitet.

"Die Krise ist bis 2010 überstanden"

sueddeutsche.de: In Deutschland wird der Ruf nach dem Staat immer lauter. Die Finanzkrise zeige doch, sagen manche, dass die Marktwirtschaft nicht funktioniere. Weltweit werden Banken verstaatlicht.

Berger: Der Markt funktioniert: Unser gesamter Wohlstand beruht darauf. In einem Teilbereich allerdings, dem Finanzsystem, gibt es derzeit eine Strukturkrise, die gravierende Schäden in der Realwirtschaft nach sich ziehen kann. Hier kann staatliche Intervention helfen, Schlimmeres zu verhindern. Allerdings muss der Staat dann auch konsequent sein und die Banken anteilig oder gar komplett übernehmen. Damit würden die bisherigen Aktionäre ihr Geld und die Manager ihren Job verlieren, was beides in ihrem unternehmerischen Risiko liegt. Ist die Krise vorbei, wird das Unternehmen wieder privatisiert, und der Staat hat als Treuhändler des Steuerzahlers womöglich kein Geld verloren oder jedenfalls weniger als erwartet. Er fungiert in diesem Fall eher als Brückenbauer und verletzt das marktwirtschaftliche Ordnungssystem nicht nachhaltig.

sueddeutsche.de: Wie konnte es zur Finanzkrise kommen?

Berger: Zum einen muss man wohl sagen, dass der frühere Finanz-Guru, Ex-Notenbankchef Alan Greenspan, das Finanzsystem über viele Jahre mit überreichlich Liquidität zu niedrigen Zinsen versorgt hat. So ist ein Überfluss an Gewinnmöglichkeiten entstanden, der Menschen dazu verleitet hat, zu hohe Risiken zu niedrigen Preisen einzugehen. Zum anderen haben laxe Regulierungen ermöglicht, kreative Finanzinnovationen mit hohen Gewinnchancen auf den Markt zu bringen. Das wiederum hat offenbar einen ungesunden Spieltrieb geweckt. Die Krise zeigt zudem einmal mehr, dass die Wirtschaft Zyklen unterliegt. Immer wieder entstehen große Spekulationsblasen, die schließlich platzen: heute in den USA, zuvor in Russland, Asien und Südamerika, heute bei Finanzinvestitionen, gestern bei Immobilien und morgen vielleicht bei Rohstoffen.

sueddeutsche.de: Also sind die zwei Lehren aus der Krise: Wir brauchen weniger Liquidität und mehr Regulierung.

Berger: So einfach ist es nicht. In einer funktionierenden Wirtschaft geschieht Innovation. Das können neue Produkte sein, neue Dienstleistungen, aber eben auch neue Finanzprodukte. Wie reale Produkte auch können sie dem Kunden nützen aber gefährliche Nebenwirkungen haben - wie ein Arzneimittel. Erst erlebt man den Nutzen, dann erfährt man die Nebenwirkungen, was den Staat zur Regulierung veranlasst. Deshalb wird aber niemand Innovationen, die uns nutzen, a priori regulieren oder gar verbieten wollen. Das sieht man etwa bei Private Equity: Meistens steigern die Investoren zunächst Wachstum und Produktivität der Unternehmen. Überschreiten dann aber die Zinsen durch zu hohe Verschuldung der Unternehmen den Margenzuwachs, entsteht wirtschaftlicher Schaden. Der Staat sollte dann in Kenntnis dieser Finanzinnovation regulieren, etwa indem er die Verschuldungshöhen begrenzt und eine Transparenz wie am Kapitalmarkt verordnet.

sueddeutsche.de: Hat die Krise nicht das Vertrauen in das Bankwesen im Allgemeinen zerstört?

Berger: Das würde ich so nicht stehen lassen. Denken Sie an Goldman Sachs in den USA, die von der Krise relativ unberührt geblieben sind. Oder an Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann. Beider Ruf ist heute ja vorbildlich. Die bisher teuerste deutsche Krise sind die der staatlichen IKB und damit verbunden die der staatlichen KfW und Landesbanken. Sogar die private Hypo Real Estate hat sich erst durch die Übernahme der Depfa-Bank an einer ehemals staatlichen Tochter verhoben. In der momentanen Situation gelten in Deutschland die privaten Großbanken neben Sparkassen und Genossenschaftsbanken eher als Garanten für Stabilität.

sueddeutsche.de: Das klingt, als wäre die Krise für Deutschland gar nicht so schlimm.

Berger: Natürlich müssen wir damit rechnen, dass diese Finanzkrise auf die Realwirtschaft durchschlägt - das war ja bei Krisen in Asien, Südamerika oder Russland nicht anders. Und offenbar macht uns die steigende Nachfrage der Schwellenländer nicht so unabhängig vom Rest der Weltwirtschaft, wie ich das schon gehofft hatte. Klar ist jedenfalls, dass wir im kommenden Jahr mit 0,7 Prozent Wachstum deutlich unter der Schwelle liegen werden, an der neue Beschäftigung entsteht. Wir werden also bezahlen müssen. Dennoch denke ich, wir werden die Krise bis 2010 überstanden haben.

sueddeutsche.de: Und dann einfach weitermachen wie bisher?

Berger: Nein, jede Krise bringt ja Chancen mit sich. Wir können jetzt mehr Ordnung ins internationale Finanzsystem bringen. Wenn der Staat durch Rettungsaktionen wirklich Geld verlieren sollte, dann ist das deutlich zu kommunizieren und muss Folgen haben für die Akteure, das heißt private Aktionäre und Manager. In einer Krise werden die Marktteilnehmer wieder an ihre eigentliche Verantwortung erinnert, zusammen für das Gemeinwohl zu sorgen. In Deutschland können wir uns überdies auf unsere Stärken zurückbesinnen. Wir haben ja gerade außerhalb des Finanzsektors eine starke Wirtschaft mit unseren stärksten Unternehmen. Deshalb sind wir immer noch Exportweltmeister.

sueddeutsche.de: Also eine Rückkehr zur Bodenständigkeit?

Berger: Das habe ich damit gemeint. Aber das wird wieder nur zeitweise beruhigen. Das nächste Rauschmittel, das zur Euphorie hinreißt, kommt bestimmt. Unsere freiheitliche Wirtschaftsordnung wird sich immer auf und ab bewegen und Übertreibungen provozieren. Es kommt nur darauf an, aus den Fehlern schnell zu lernen.

sueddeutsche.de: Sind Sie wirklich so optimistisch?

Berger: Was die Selbstregulierungskräfte in einer sozialen Marktwirtschaft mit einer ordnungspolitisch klaren Arbeitsteilung zwischen Privatwirtschaft und Staat angeht, ja. Mehr Sorgen bereiten mir politische Fragen. Angesichts des stärker werdenden Fundamentalismus - auf beiden Seiten - und immer vehementerer nationaler und internationaler Verteilungskämpfe können wir 60 Jahre Frieden in Europa wohl nicht einfach so fortschreiben: Bewährte Mittel gegen den Terrorismus haben wir nicht. Der Westen weiß mit dem erstarkten Russland nicht richtig umzugehen und umgekehrt. Die meisten stark wachsenden Schwellenländer - mit Ausnahme von Indien und Brasilien - werden nicht demokratisch regiert. Was hindert sie daran, irgendwann zu versuchen, ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen? Diese Gefahren rücken näher, und in einer globalisierten Welt werden wir uns in Europa davon nicht dauerhaft abkoppeln können.

Roland Berger, gründete 1967 sein Beratungsunternehmen, das heute unter dem Namen Roland Berger Strategy Consultants firmiert. Im März 2008 gründete er außerdem die Roland Berger Stiftung, die järhlich einen Preis für Menschenwürde vergibt und ein Stipendienprogramm für sozial benachteiligte Jugendliche anbietet.

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