Roland Berger im Gespräch:"Die Politik hat einen Tunnelblick"

Unternehmensberater Roland Berger wirft den Regierungen Europas vor, die Krise zu verschärfen. Er fordert ein Wachstumsprogramm - finanziert mit dem Geld privater Investoren. Sie sollen Autobahnen, Datenleitungen und Krankenhäuser betreiben.

Marc Beise

Im Nachhinein wirkt es visionär: Roland Berger sprach sich in den neunziger Jahren dafür aus, die Euro-Einführung zu verschieben. Zunächst müssten sich die Staaten auf eine einheitliche Wirtschaftspolitik einigen, dann erst sei die Zeit reif für die Gemeinschaftswährung. Es kam bekanntlich anders, mit den negativen Folgen haben die Regierungen nun zu kämpfen. Der Gründer der Unternehmensberatung gleichen Namens fordert jetzt ein Wachstumsprogramm für Europa.

Roland Berger im Gespräch: Roland Berger im Jahr 2011 in Berlin: "Die Euro-Zone ist kein optimaler Währungsraum".

Roland Berger im Jahr 2011 in Berlin: "Die Euro-Zone ist kein optimaler Währungsraum".

(Foto: Stephan Rumpf)

SZ: Herr Berger, Sie waren einst gegen die Einführung des Euro, dann wollten Sie ihn retten, und jetzt?

Berger:Den Euro zu retten und möglichst weiter zu machen wie bisher, wäre wahrscheinlich allen das Liebste. Das wird aber nicht funktionieren! Eine Trennung in Nord- und Südeuro brächte ebenfalls nichts, weil sich die Strukturprobleme der Südländer dadurch nicht lösen und die noch stabilen Nordländer durch eine massive Aufwertung nur wirtschaftlich einbrächen. Es gibt keine einfache Lösung. Aber das Teuerste wäre sicher ein unkontrolliertes Zerbrechen des Euro - für Süd- und Nordeuropäer und die Weltwirtschaft.

Für wie groß halten Sie die Chance, dass die Gemeinschaftswährung ungefähr so, wie wir sie heute kennen, überlebt?

Kaum mehr als Sechzig zu Vierzig - und auch nur, weil ich Optimist bin. Leider!

Kann Griechenland im Euro bleiben?

Aus eigener Kraft nicht. Aber die Euro-Zone ist ohnehin kein optimaler Währungsraum. Einen solchen braucht ein nachhaltiger Euro aber. Eine dauerhafte Stabilisierung wird so oder so Korrekturen bei der Zahl der Mitgliedsländer erfordern - oder eine Änderung der Wirtschaftsstrukturen und Wirtschaftspolitik dort. Bis darüber Einigkeit besteht, können wir Griechenland noch durchfüttern, statt unkontrollierbare Ansteckungsgefahren für Spanien oder sogar Italien zu riskieren.

Für weiteres Durchfüttern werden die Deutschen kaum zu haben sein . . .

Das ist ja auch nicht die einzige Option zur Rettung des Euro.

Welche Wunderwaffe nach "Bazooka" und "Dicke Bertha" haben Sie denn?

Privat finanziertes, marktwirtschaftlich getriebenes Wachstum, politisch begleitet! Heute scheint es nur noch zwei Wege zu geben: Einerseits Sparen, Lohnsenkungen und Austerität mit den Folgen von Rezession, Arbeitslosigkeit und Verarmung für die Südländer. Andererseits Zahlungen durch Deutschland und andere Nordländer für die durch exzessive Ausgaben angehäuften Schulden des Südens. Durch den Tunnelblick der Politik auf diese zwei Alternativen leidet Europa mittlerweile unter einer Dreifachkrise.

Staatsschulden-Krise und Euro-Krise reichen doch. .

In der Tat. Sie haben sich aber fundamental verschlimmert. Dazu kommt die Rezession und eine ernsthafte politische Krise mit der Gefahr nationaler Desintegration der EU. Was sollen auch die 53 Prozent arbeitslosen jugendlichen Spanier von einem vereinten Europa halten, das sie als Ursache ihrer Not ausmachen? Sogar der ureuropäische Mario Monti bezeichnet den Euro deshalb als Faktor des europäischen Auseinanderdriftens.

Deshalb rät er den Regierungen, ihre Parlamente zu erziehen. Was halten Sie davon?

Er mahnt wohl Leadership durch Europas Regierungen an. Denn Aufforderungen des Nordens an den Süden, ihre Wirtschaften totzusparen, und solche des Südens an den Norden, ihre Ersparnisse für die Südländer ohne Sicherheiten aufs Spiel zu setzen, führen zur Spaltung Europas. Nur die Vision eines geeinten Europas, dessen Wirtschaft wieder Wachstum, Arbeit und Wohlstand verspricht, kann das Vertrauen der Bürger zurück gewinnen.

Also ist Wachstum wichtiger als Sparen?

Gegensteuern in Richtung Wachstum müssen wir schon. Die Länder der Euro-Zone nehmen 40 Prozent der deutschen Exporte ab. Schon allein deshalb liegt es im deutschen Interesse, dass die Krisenländer wieder wachsen. Tatsache ist aber auch: Diese Länder stecken in einer strukturellen Krise, nicht in einer konjunkturellen. Deshalb hilft ein mit Staatsschulden finanziertes Wachstumsprogramm nach keynesianischem Muster nicht weiter. Wir brauchen ein privat finanziertes, marktwirtschaftliches Wachstumsprogramm. Weltweit stehen dafür geschätzt 170 000 Milliarden Euro privates Vermögen bereit. Investoren suchen händeringend Anlagemöglichkeiten.

Und wo wollen Sie dieses Kapital sicher und gewinnbringend einsetzen?

In Europa wird der Kapitalbedarf für Ausbau und Modernisierung von Infrastruktur auf mindestens 1000 Milliarden Euro geschätzt. Angesichts ihrer Verschuldung können die Staaten dieses Geld nicht aufbringen. Aber das müssen sie auch nicht - denn europaweite arbeitsintensive Infrastrukturprojekte könnten, etwa durch Public Private Partnerships, ohne weiteres privat finanziert und auch betrieben werden. Dazu müsste die Politik nur ideologischen Ballast abwerfen. So gelänge es, die Wirtschaft anzukurbeln - und mit höheren Steuereinnahmen und geringeren Sozialausgaben Staatsschulden abzubauen.

An welche Bereiche denken Sie?

Als erstes an die Telekommunikation in Europa. Sie steht vor einer technologischen Erneuerung durch breitbandige Daten-Autobahnen. Würde sich die Politik hier zu einer intelligenten Regulierung durchringen, könnte das hohe Wachstumsdynamik auslösen: Zum einen bis zu 300 Milliarden Euro arbeitsintensive Infrastrukturinvestitionen und zum Zweiten hohe Produktivitätssteigerungen in Privatwirtschaft wie in öffentlicher Verwaltung. Und zum Dritten könnte eine europäische Informatik- und Internet-Industrie entstehen.

Die Staaten haben ja angekündigt, in Breitbandverkabelung zu investieren.

Ja, aber gleichzeitig verhindert eine Regulierungspolitik, die noch in die Zeiten des Post- und Fernsprech-Monopols zurückreicht, dass sich die dazu notwendigen Investitionen rechnen. Sie macht es Telekom-Dienstleistern wie etwa Deutsche Telekom unmöglich, privates Kapital für diese Investitionen zu mobilisieren.

"Dem Staat fehlt das Geld. Privat steht Kapital genug bereit."

Die Regulierungen dienen auch dem Schutz der Verbraucher. Was wollen Sie schleifen?

Telekom-Dienstleister dürfen gegenüber heute unregulierten Kabel-Wettbewerbern nicht benachteiligt werden. So ließe sich für eine Breitbandinfrastruktur, die Europa gegenüber dem amerikanischen und asiatischen Wettbewerb mindestens gleichstellt, genügend privates Kapital mobilisieren, bei Pensionskassen, Versicherungen, Staatsfonds. Die sind mit relativ niedriger, aber konstanter Rendite und laufendem Cashflow zufrieden. Bisher müssen viele von ihnen per Gesetz in Staatsanleihen investieren, die heute entweder niedrige bis negative Zinsen bringen oder hoch risikobehaftet sind.

Welche anderen Infrastrukturprojekte sehen Sie?

Im Bereich der Energieversorgung müssen in Europa - speziell nach der deutschen Energiewende - 220 Milliarden Euro über mehrere Jahre für Netze und Speicher investiert werden. Voraussetzungen sind eine europäische Energiepolitik und entsprechende Planungssicherheit. Beides fehlt noch. Bei der Wasserversorgung und Abwasserkanalisation liegt der Investitionsbedarf in Europa bei 150 Milliarden Euro, in Deutschland alleine bei 45 Milliarden Euro. Die deutsche Infrastruktur stammt hier aus den Jahren 1948 bis 1960. Jährlich versickert ein Drittel des geleiteten Trinkwassers. Ist das nicht verrückt?

. . . aber allgemein bekannt.

Nur passiert nichts! Warum? Weil die Ideologie vorherrscht, dass Infrastruktur in Europa tunlichst nicht in privaten Händen liegen darf. Allein bei Wasser und Abwasser liegt der Investitionsstau in einer Größenordnung von 100 Milliarden Euro. Dem Staat fehlt das Geld. Privat steht Kapital genug bereit. Es ist doch kurios: In Frankreich ist die Wasserversorgung privat, den Strom muss der Staat bereitstellen. In Deutschland muss Wasserversorgung ausschließlich staatlich erfolgen, während der Großteil der Stromversorgung durch Private bereit gestellt wird.

Allerdings hat das Vertrauen der Bürger in die Privatwirtschaft sehr gelitten. Kommunen kaufen Betriebe zurück, weil sie das Geschäft nicht anderen überlassen wollen, und bei Banken wird debattiert, ob man sie nicht sogar verstaatlichen soll - wegen "Systemrelevanz".

Bei den Banken haben politische Vorgaben, staatliche Regulierung und Aufsicht versagt. Nur deshalb konnte es zu den unmoralischen Exzessen mancher Bankmanager vor allem in der angelsächsischen Welt kommen, die nicht zu entschuldigen sind. Auch bei Banken gilt: Der Staat bestimmt und kontrolliert die Spielregeln, die Privaten machen das Spiel. Gerade in Deutschland haben ja vor allem staatseigene Institute die großen Pleiten verursacht.

Dass in Deutschland inzwischen jedes vierte Krankenhaus privatisiert ist, dürfte Ihnen dann gefallen, oder?

Private Häuser erbringen Qualitätsmedizin zu niedrigeren Kosten bei geringerem Kapitalbedarf als staatliche Wettbewerber. Die öffentlichen Eigentümer hingegen erwirtschaften mit ihren Krankenhäusern oft unvertretbare Verluste - ohne messbaren Vorteil für die Patienten - und bauen erhebliche Investitionsrückstaus auf.

Warum?

Weil öffentliche Krankenhäuser oft politisch geführt werden. Leisten können sie sich dies nur, solange Steuerzahler oder Stadtwerke etwa über den Strompreis die Verluste ausgleichen - obwohl dies beihilferechtlich bedenklich ist. München ist dafür ein gutes Beispiel. Ich sage ja nicht, dass wir nur noch private Krankenversorgung haben sollten, vor allem nicht in der Universitätsmedizin. Aber ein gesunder Wettbewerb zwischen Öffentlichen und Privaten wäre effizienter.

Im Verkehrsbereich gibt es die von Ihnen ersehnten Public Private Partnerships. Sind Sie hier zufrieden?

Der Investitionsbedarf im europäischen Straßenbau wird auf 180 Milliarden Euro geschätzt. Überall auf der Welt und bei unseren europäischen Nachbarn gibt es privat finanzierte Maut-Autobahnen, nur im Transitland Deutschland darf das aus irgendeinem Grund nicht sein. Dafür möchte unser Verkehrsminister die Pkw-Maut einführen - eine weitere Steuer als Wahlkampfschlager!

Was wäre also zu tun?

Ein wenigstens teilweise privat finanziertes Infrastrukturprogramm von 1000 Milliarden Euro als marktwirtschaftlicher Wachstumsplan.

Was sind die Gründe für die Zurückhaltung der Politiker?

Die vorherrschende und nach der Finanzkrise zunächst verständliche Zurückhaltung von Bürgern, Intellektuellen und Zeitgeist gegenüber Kapitalismus, Privatwirtschaft und technologischem Fortschritt. Hinzu kommen Ideologie, Populismus, Gewohnheit und Macht der Bürokratie plus Glaube an die Allmacht des Staates. Dabei haben wir doch gerade in Deutschland nach 1945 und nach 1990 hautnah und glaubwürdig erfahren, was soziale Marktwirtschaft in Verbindung mit Freiheit, Rechtsstaat und Sozialbindung des Eigentums an Wachstum und Wohlstand für den Bürger zu leisten vermag.

Was sagt Ihnen die Berliner Politik, wenn Sie das Thema ansprechen?

Die Bundesregierung ist wie fast alle europäischen Staatslenker auf das tägliche Krisenmanagement fixiert. Rettungsschirme, Sparen, Umschulden: Das beherrscht die Agenda. Die ungehobenen Schätze auf der Aktivseite - also Wissen, Arbeitskräfte, Kapital und Kapitalstock sowie Unternehmergeist - zu mobilisieren, das gehört nun aber auch auf die Tagesordnung.

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