Roland Berger:"Aber bitte unter vier Augen"

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Roland Berger, Deutschlands bekanntester Unternehmensberater, über sein Lebenswerk, das Altern, die Liebe - und das größte Unglück.

Marc Beise

An diesem Donnerstag wird Roland Berger 70 Jahre alt. Er ist der bekannteste deutsche Unternehmensberater - und der einzige Große seiner Branche, der das Unternehmen, das seinen Namen trägt, selbst aufgebaut hat. Ein SZ-Gespräch über 50 Jahre Unternehmerdasein in Deutschland.

Auch mit 70 guter Dinge: Unternehmensberater Roland Berger. (Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Berger, an diesem Donnerstag werden Sie 70. Sind Sie nun ein alter Mann?

Berger: Objektiv bin ich möglicherweise alt. Von der Lebenserwartung habe ich noch einiges vor mir, statistisch gesehen. Dass ich mich jung fühle, merkt man aber doch, oder?

SZ: Schon, aber dennoch sind andere in Ihrem Alter im Ruhestand. Was bedeutet für Sie Alter?

Berger: Abschied nehmen vom aktiven Leben - von welchem auch immer, nicht nur vom Beruf. Nicht mehr über seine Kräfte verfügen zu können. Da kann ich nicht klagen. Ich bin fit, arbeite so viel wie immer. Soeben bin ich einmal um die Welt gereist. Ostwärts, was nicht ohne ist. Ich halte einiges aus.

SZ: Es gibt Methoden, das Altern herauszuzögern. Krafttraining, Gehirngymnastik, Mäßigung beim Essen ...

Berger: Also, ich esse gern und trinke auch gerne einen guten Wein. Ich bin kein Supersportler, bewege mich aber regelmäßig, bei anstrengenden Bergwanderungen, beim Langlauf oder auf meinem Rennrad.

SZ: So richtig mit engem Höschen und Helm?

Berger: Mit Helm klar. Was das Höschen betrifft: mal so, mal so. Jedenfalls auf einem Rennrad.

SZ: Ist es ein einfacher, als reicher Mensch alt zu werden?

Berger: Ja. Das muss man fairerweise wohl so sagen.

SZ: Der sportliche Ausgleich ist ja nett, aber ansonsten betreiben Sie Raubbau mit ihrem Körper. Sie reisen unentwegt. Wie oft sind Sie in ihrem Leben in ein Flugzeug gestiegen?

Berger: Keine Ahnung. Aber ich verrate Ihnen mein normales Pensum: 3 bis 4 mal im Jahr nach Japan, 2 mal nach China, 2 mal nach Südamerika, 10 mal nach Kanada und in die USA. Und dann natürlich die vielen Reisen in Deutschland und Europa.

SZ: Wie oft in der Woche fliegen Sie?

Berger: Im Schnitt an vier von sieben Tagen.

SZ: Und das macht Spaß?

Berger: Nein, die vielen Umstände, die Kontrollen, das Warten - das alles ist heute mühsam und zeitaufwändig. Aber das Ankommen macht Spaß.

SZ: Wirklich? Sie haben doch schon alles gesehen auf dieser Welt.

Berger: Ob Sie es glauben oder nicht: Ich bin immer noch neugierig, sehr sogar. Neugierig auf Menschen, und zwar jeder Art: Alte und Junge, Manager und Fließbandarbeiter, Maler und Musiker. Es gibt auch jedes Mal etwas Neues zu entdecken, die Welt, auch die Wirtschaft ändern sich ja immer schneller. Wenn ich das nicht mitbekomme, bin ich ganz schnell weg vom Fenster.

SZ: Umfragen sagen, dass die Deutschen mehr Angst vor der Zukunft und vor dem Alter haben als viele andere Völker. Überrascht Sie das?

Berger: Nein. Die Deutschen haben eigentlich relativ viel Angst vor allem Möglichen. Sie sind ein recht unsicheres Volk, mit eher wenig Selbstvertrauen. Das hat mit der Geschichte zu tun, aber eben auch mit der Mentalität. Seit das Land zu Wohlstand gekommen ist, ist die Angst groß, etwas davon zu verlieren. Die Deutschen sind sehr harmoniesüchtig. Sie möchten möglichst ihre Ruhe haben.

SZ: Haben Sie denn nie Angst?

Berger: Doch, ich hatte Angst, auch Existenzängste. Als ich meine Firma aufgebaut habe, habe ich nachts oft nicht schlafen können: Was ist, wenn ich einen Fehler gemacht habe? Was ist, wenn die Aufträge ausbleiben? Die Angst wird man auch nicht los, wenn das große Geld kommt. Auch mit viel Geld kann man bekanntlich pleite gehen.

SZ: Diese Angst hat Sie nie losgelassen?

Berger: Doch. In dem Moment, als ich meine Mitarbeiter zu Miteigentümern gemacht habe. Heute weiß ich: Die Firma ist bei ihnen in guten Händen.

SZ: Eigentlich überraschend, diese zeitweise Zukunftssorge. Ihnen ist doch im Leben von Anfang an alles geglückt.

Berger: Jedenfalls habe ich früh Geld verdient. Meine Mutter, die Geschäftsführerin eines Möbelunternehmens war, hat mir stets Selbstvertrauen mit auf den Weg gegeben. Und sie hat gesagt: Sorge dafür, dass Du unabhängig bist. Verhalte dich korrekt, so dass du niemanden fürchten musst.

SZ: Sie kommen aus einem bürgerlichen Haushalt; Ihr Vater war Generaldirektor. Sie hatten es also leichter als andere.

Berger: Nun, ich bekam eine gute Ausbildung, aber kein Geld. Mein Vater wurde ja von den Nazis verfolgt. Er saß in Gestapo-Haft, war an der Ostfront, später in russischer Kriegsgefangenschaft und amerikanischer Internierung. Finanziell habe ich bei Null begonnen.

SZ: Aber dann gleich richtig verdient.

Berger: Ja. Ich habe ja in München - neben schönen Fächern wie Geschichte und Theaterwissenschaften - vor allem Betriebswirtschaft studiert. Das war meine Anleitung zum Geldverdienen. Und was ich gelernt habe, habe ich sofort umgesetzt. Ich war ein wohlhabender Student.

SZ: Sie haben noch im Studium eine Wäscherei gegründet ...

Berger: ... die ich am Ende des Studiums 1962 für 600.000 DM verkauft habe. Das war damals viel Geld.

SZ: Heute auch noch, für die meisten Menschen. Ihnen hat es nicht gereicht. Sie haben zwischen dem schriftlichen und mündlichen Examen noch einen Spirituosenhandel aufgezogen und ebenfalls gewinnbringend verkauft.

Berger: Das geschah eher aus Neugierde, um die studierten Theorien zu testen...

SZ: Und dann sind Sie nach Italien gegangen. Warum?

Berger: Ich kannte das Land von einer einwöchigen Reise, 1956 nach dem Abitur, die mir meine Mutter geschenkt hat. Seitdem liebe ich Italien. Zum Sprachstudium war ich einige Monate in Rom, damals die faszinierendste Stadt der Welt. Fellini hatte gerade Dolce Vita gedreht. Es gab dort eine Offenheit zwischen den Menschen, die ich aus Deutschland nicht kannte. Natürlich habe ich mich verliebt - eine wunderschöne Zeit, auch wenn das damals gar nicht so einfach war, mit dem Bruder als ständigem Aufpasser. Jedenfalls konnte ich nach zwei Monaten fließend italienisch, mit meiner humanistischen Schulbildung war das kein Problem.

SZ: Nach dem Studium haben Sie in Italien bei einer internationalen Unternehmensberatung angefangen. Warum wurden Sie ausgerechnet Berater?

Berger: Nun hatte ich ja, auch auf Wunsch meines Vaters, zunächst etwas ganz Bürgerliches versucht: Ich habe mich bei einigen der großen Konzerne beworben. Mit meinem sehr guten Examen wäre ich auch untergekommen. Aber die Vorstellung, mich in einer Hierarchie hochdienen zu müssen, passte nicht zu meinem Naturell.

SZ: Aber es wäre ja auch ein ehrliches Unternehmerdasein denkbar gewesen. Wäschereigroßbesitzer beispielsweise.

Berger (lacht): Das bestimmt nicht, das hätte meine intellektuelle Neugier nicht befriedigt. Und als Berater konnte ich besser ein wichtiges Talent nutzen, das ich in diesem großartigen Italien entdeckt hatte.

SZ: Nämlich?

Berger: Der Umgang mit Menschen. Ich kann Menschen öffnen, sie zueinander bringen, Vertrauen gewinnen. Ich mag Menschen, und sie spüren das.

SZ: Kritiker sagen, Sie erzähltem jedem, was er hören will, und das sei Ihr Erfolg.

Berger: Eins und eins bleibt bei mir zwei, egal mit wem ich spreche. Ich kann sehr direkt sein, aber bitte unter vier Augen. Durch Schönreden gelingt es sicher nicht, die größte europäische Strategieberatung aufzubauen.

SZ: Wozu braucht man überhaupt Berater? Manche sagen, Berater sagen Firmen, was sie sowieso schon wissen und treiben sie in überflüssige Aktivitäten.

Berger: Ich behaupte, dass ein Manager, der sich beraten lässt, weniger Fehler macht, als einer, der meint, alles selber zu wissen. Der Berater kennt den Markt, er kennt Vergleichsfälle und er bietet - wenn er Mut hat - eine gnadenlose Analyse, die hören Manager sonst nicht. Die besten Berater sind auch kreativ, und sie haben Zeit, Probleme gründlich zu lösen. Die Aussicht, Vorschläge zu bekommen, die man nicht schon zehnmal gehört hat, ist ziemlich groß.

SZ: Und die Veränderungen um der Veränderungen will?

Berger: Es mag gelegentlich vorkommen, dass zum Beispiel eine Fusion sich als Flop entpuppt. Berater sind ja keine Götter. Aber fast immer schafft die Beratung nachhaltigen Wert für die Unternehmen.

SZ: Gibt es mehr gute Berater als schlechte?

Berger: Eindeutig. Der Markt ist so hart umkämpft, dass die Schlechten fast alle auf der Strecke bleiben. Aber natürlich gibt es auch hier schwarze Schafe, wie es auch schlechte Manager gibt, womöglich sogar schlechte Journalisten.

SZ: Im Jahr 1967 haben Sie sich in Deutschland, genauer in München, selbständig gemacht. Was war ihr erster Erfolg?

Berger: Die Gründung des Reiseunternehmens TUI aus den Einzelfirmen Touropa, Scharnow, Hummel und Dr. Tigges. Ich habe damals empfohlen, auf Charterflüge zu setzen, das war neu - und sehen Sie sich heute die Welt der Touristik an. Soviel zum Wert von Beratung.

SZ: Ich dachte jetzt, dass Sie den Rosso antico nennen würden.

Berger: Das war mein schönster Erfolg, noch in Italien. Ein Aperitif auf Weinbasis, den ich für einen italienischen Klienten erfunden habe, der auf riesigen Wermut-Beständen saß. Wir haben alles erarbeitet, Rezeptur, Flaschendesign, sogar den Namen - und natürlich Vertrieb und Marketing. Und wir zahlten keine Alkoholsteuer! Das war schon ziemlich kreativ.

SZ: Und Ihr größter Erfolg?

Berger: Wohl die Fusion der Energiekonzerne Veba und Viag zu Eon.

SZ: Ihr größter Misserfolg?

Berger (zögert lange): Da tue ich mich sehr schwer. Bei einem Klientenprojekt haben meine Kollegen und ich letztlich nie versagt. Ich kann nur mein größtes Unglück nennen.

SZ: Nämlich?

Berger: Die Ermordung des Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen durch die RAF. Wir wollten gemeinsam eine europäische Investmentbank gründen, ein fantastisches Projekt.

SZ: Dazu hatten Sie sich und Ihr Unternehmen tatsächlich an die Deutsche Bank verkauft. Eigentlich ein Verstoß gegen Ihren Vorsatz, unabhängig sein zu wollen.

Berger: Ja, aber die Aufgabe war ungeheuer reizvoll. Ich war gerade 50 geworden; übrigens ein ganz anderer Einschnitt als die 70 heute. Ich wollte noch einmal etwas ganz Neues anfangen: meine Berater und die der Bank zusammenbringen und einen europäischen Investmentbank-Champion schaffen. Aber dann wurde Herrhausen ermordet und sein Nachfolger Hilmar Kopper hatte schon einen anderen erfolgreichen Weg eingeschlagen.

SZ: Kopper kaufte sich einfach in Großbritannien eine Investmentbank und sie waren an die Deutsche Bank gefesselt.

Berger: So war es übrigens nicht. Ich kann Ihnen heute noch den Vertrag zeigen. Darin stand: Die Stimmrechte besitze ich, und in die Klientenlisten schaut uns auch niemand.

SZ: Dennoch haben Sie die Firma 1998 zurückgekauft.

Berger: Ja, die Bank verfolgte ja einen sehr erfolgreichen Fokussierungskurs und ich konnte endlich meine Mitarbeiter zu Eigentümern machen. Seitdem geht es mir richtig gut.

SZ: Sie haben 1967 mit einer Sekretärin begonnen und Ihre Firma beschäftigt heute mehr als 1700 Mitarbeiter in 23 Ländern. Wie haben Sie das geschafft? Sagen Sie bitte nicht, mit viel Arbeit.

Berger: So war's aber! Ich habe sehr, sehr viel gearbeitet. Wenn mir eine Präsentation nicht gefiel, habe ich sie mit meiner Sekretärin nachts bis 4 Uhr umgeschrieben, um dann um 6 in den Flieger zu steigen und sie um 10 zu präsentieren. In den ersten Jahrzehnten musste ich für alles persönlich gerade stehen. Mein Name, meine Person standen ja für das Projekt. Das war das Erfolgsrezept - neben anderen Dingen.

SZ: Welchen?

Berger: Der ganzheitliche Ansatz! Heute sagen das alle, aber damals haben die anderen nur Prozessberatung angeboten oder sich um Organisation und Kostensenkung gekümmert. Ich habe komplette strategische Planungen offeriert, inklusive Umsetzung. Wir haben die Unternehmen also auch nach der Präsentation der von uns empfohlenen Konzepte begeleitet, wenn sie das wollten.

SZ: Und daneben haben Sie auch die Politik beraten ...

Berger: ... Sie müssen unterscheiden zwischen Firmenaufträgen für Einrichtungen der öffentlichen Hand und meiner persönlichen Beratung von Politikern. Letztere lief immer ad personam und ohne Honorar.

SZ: Na ja, aber Sie haben gute Staatsaufträge bekommen.

Berger: Aber sicher nicht durch den Kontakt mit den Politikern, eher im Gegenteil. Denn kein Politiker will in den Ruf der Vetternwirtschaft gelangen. Die Aufträge werden über öffentliche Ausschreibungen und im Wettbewerb vergeben.

SZ: Warum lassen Sie sich überhaupt mit der Politik ein?

Berger: Weil ich ein Political animal bin. Politik ist faszinierend und entscheidend für uns alle.

SZ: Aber auch frustrierend. Kann man glaubwürdig gleichzeitig Schröder, Stoiber, Merkel beraten?

Berger: Natürlich. Ich sage immer das Gleiche: Ich werbe für Marktwirtschaft und freies Unternehmertum und versuche die Brücke zwischen Wirtschaft und Politik zu bauen.

SZ: Hören denn die Politiker auf sie?

Berger: Viel zu selten.

SZ: Stattdessen tritt die Politik gerade eine neue Managerschelte los.

Berger: Das ist ungerecht und unklug. Deutsche Manager sind heute erstklassig, zumal die Eigentümerunternehmer. Sie sind fachlich versiert und wissen um ihre gesellschaftliche Verantwortung.

SZ: Einige verdienen allerdings unheimlich viel und zeigen das gerne - und nicht immer stimmt die Leistung.

Berger: Meistens stimmt die Leistung. Natürlich gibt es schwarze Schafe, aber trotzdem ist das eine ganz verquere Debatte. Es ist ja nicht so, dass früher alles besser gewesen wäre. Selbstbedienungsmentalität war in der guten alten Deutschland AG weit verbreitet und noch dazu intransparent. Früher waren die Gehälter unbekannt und es gab reichlich Sachleistungen, bis hin zu Villa, Auto und entsprechendem Personal, auch bis zum Lebensende der Witwe.

SZ: Neu ist, dass wir drüber reden.

Berger: Ja, und Transparenz tut gut, solange die Fakten stimmen. Ich werde mein Leben lang für die freie Marktwirtschaft eintreten. Sie hat manche Fehler und ist doch die beste Wirtschaftsform, die wir kennen. Das sollten besonders wir Deutsche nach den Erfahrungen der Wiedervereinigung beherzigen. Aber Marktwirtschaft lebt von Akzeptanz. Darum müssen wir Wirtschaftsleute uns bemühen, auch im persönlichen Verhalten.

Roland Berger Strategy Consultants ist 40 Jahre alt. Sie zählt heute zu den fünf größten Strategieberatungsunternehmen der Welt - und hat als einzige einen europäischen Ursprung: Der damals noch nicht 30-jährige gebürtige Berliner Roland Berger, Sohn bayerischer Eltern, gründete die Firma im Jahr 1967 in München, als Ein-Mann-Unternehmen, unterstützt nur von einer Sekretärin. Drei Jahre nach der Gründung (1970) erwirtschaftete die junge Firma bereits einen Honorarumsatz von 5,6 Millionen Mark, 1980 waren es 35 Millionen DM, 1990 175 Millionen DM, 2000 847 Millionen DM, umgerechnet 433 Millionen Euro. 2002 zog sich Berger in den Aufsichtsrat zurück, heute erwirtschaften über 1700 Mitarbeiter mehr als 600 Millionen Euro im Jahr.

© SZ vom 22.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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