Rohstoffe:Wettlauf am Nordpol

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  • Shell darf vor Alaska nach Öl bohren.
  • Das zeigt, dass auch die USA im Wettlauf um die letzten großen Ölreserven Flagge zeigen wollen.

Von Silke Bigalke, Julian Hans und Silvia Liebrich, München/Moskau

Dem schweren Wintersturm war die Bohrinsel Kulluk nicht gewachsen. Der Schlepper, der sie vom Nordmeer entlang der amerikanischen Küste bis nach Seattle bringen sollte, musste die Taue kappen, um nicht selbst zu kentern. Die Bohrinsel strandete auf einer einsamen Insel im Golf von Alaska. Kurz zuvor war sie noch in arktischen Gewässern eingesetzt, um nach Öl zu suchen. Der Eigentümer der Plattform, der britisch-niederländische Ölkonzern Shell, hatte Glück: Das Öl in der Bohrinsel lief nicht aus. Doch Umweltschützer sahen ihre Bedenken gegen eine Ölförderung in eiskalten Gewässern bestätigt: Der Vorfall sei ein weiteres Beispiel dafür, dass die Risiken nicht beherrschbar seien, argumentierten sie.

SZ-Karte; Quellen: International Boundaries Research Unit/Durham University; Wood Mackenzie Agro Robertson; Eigene Recherche (Foto: Credit: SZ-Karte; Quellen: International Boundaries Research Unit/Durham University; Wood Mackenzie Agro Robertson; Eigene Recherche)

All das liegt gut zweieinhalb Jahre zurück. Doch die US-Behörden, die dem Unternehmen damals eine mangelhafte Risikoeinschätzung bescheinigte, haben offenbar wieder Vertrauen gefasst. Das Innenministerium in Washington erteilte Shell die Genehmigung für ein Vorhaben, um das lange gerungen wurde. Der Konzern darf nun in der ölreichen Tschuktschensee vor der Nordwestküste Alaskas Öl fördern, gut zwei Jahre, nachdem Shell seine Vorhaben in der Region wegen des Vorfalls mit der Kulluk und anderen Pannen aufgeben musste. Bedingung war, dass Shell eine spezielle Sicherheitsausrüstung anschaffte, die Lecks verhindern soll.

Das Projekt gilt als eines des ehrgeizigsten, die es derzeit in der Ölindustrie gibt. Dass Shell nun erneut eine Erlaubnis erhält, ist Zeichen dafür, dass auch die Vereinigten Staaten im Wettlauf um die letzten großen Ölreserven Flagge zeigen wollen. Es geht um ein Milliardengeschäft. Geologen vermuten in den eisigen Regionen um den Nordpol 20 bis 30 Prozent der verbliebenen weltweiten Vorkommen. Zwar gelten die Risiken einer Förderung als kaum kontrollierbar, doch noch größer ist der Druck, den Schatz zu heben. Unter den fünf Anrainerstaaten USA, Russland, Kanada, Norwegen und Dänemark tobt ein erbitterter Streit, wem die Vorkommen gehören. Umstritten ist vor allem, wo die Grenzen in der Tiefsee verlaufen ( Grafik).

Russland baut seine Förderung in der Arktis trotz des Ölpreisverfalls weiter aus

Eine Ölproduktion unter widrigen Bedingungen, wie sie in arktischen Regionen herrschen, ist technisch aufwendig und teuer. Shell investiert viel. Bisher flossen nach Firmenangabe sieben Milliarden Dollar in das Eismeerprojekt, weitere 1,4 Milliarden Dollar sollen in diesem Jahr dazukommen. Eine geregelte Förderung ist frühestens vom Jahr 2030 an vorgesehen. Dabei hat der Konzern gerade erst drastische Sparmaßnahmen angekündigt, noch in diesem Jahr will Shell 6500 seiner knapp 100 000 Stellen streichen. Zudem will der Konzern die Investitionen im Vergleich zum Vorjahr um ein Fünftel kürzen.

Bohrinsel von Shell: Jetzt hat der Konzern die Genehmigung, in der ölreichen Tschuktschensee vor der Nordwestküste Alaskas Öl zu fördern. (Foto: AP)

Durch den anhaltenden Ölpreisverfall werde man sich nicht abschrecken lassen, sagte eine Shell-Sprecherin am Dienstag. Die Arbeiten an dem Ölfeld mit dem Namen "Burger J" seien bereits am 30. Juli angelaufen. Bei Shell geht man davon aus, dass die Ölförderung in der Tschuktschensee pro Fass etwa 55 Dollar kosten soll. Andere Experten in der Branche schätzen die Förderkosten allerdings auf mindestens 100 Dollar je Barrel. Das dürfte auch der Grund sein, warum andere große Ölfirmen wie der US-Konzern Exxon oder die norwegische Statoil Projekte im hohen Norden erst einmal hintenangestellt haben. Denn ein Barrel der amerikanischen Ölsorte WTI kostete am Dienstag weniger als 42 Dollar und war damit so billig wie seit gut sechs Jahren nicht mehr.

Russland stört das nicht. Trotz des Ölpreisverfalls baut das Land seine Förderung in der Arktis aus. Im April 2014 wurde erstmals Öl von der umstrittenen Plattform Priraslomnaja geliefert. Weil es Jahre dauert, bis eine Anlage die volle Kapazität erreicht, werde das Projekt wegen des niedrigen Preises nicht unterbrochen, hieß es. Konflikte zwischen Anrainerstaaten der Arktis sind nichts Neues. Jahrzehntelang stritten sich Russland und Norwegen um die Barentssee. Allein dort vermuten die Norweger 43 Prozent ihrer unentdeckten Erdöl-Ressourcen. 2010 teilten beide das umstrittene Gebiet in der Mitte. Erst seitdem kann Norwegen dort nach Öl bohren.

Doch Russland gibt sich damit nicht zufrieden. Der russische Festlandsockel am Meeresboden reiche so weit, dass Moskau den Nordpol beanspruchen dürfe, hieß es vor Kurzem. Das Land demonstriert derzeit erneut, dass es auch bereit ist, diese Ansprüche militärisch durchzusetzen. Zu Beginn der Woche brach ein Schiffsverband der Marine vom Hafen Seweromorsk in die Barentssee auf. Offiziell hieß es, die Fahrt diene dazu, die Nordflanke Russlands zu kontrollieren, wo durch die Klimaerwärmung das Eis schneller schmelze.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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