Rocket Internet:Ein Mann bittet um Geduld

A general view shows members of the board of Rocket Internet during their shareholder meeting in Berlin

Die Vorstände des Investmentunternehmens Rocket Internet haben den Anteilseignern erstmals seit dem Börsengang Bericht erstattet.

(Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Rocket-Chef Oliver Samwer stellt sich den Aktionären. Er sammelt mittels Kapitalerhöhung und Anleihe noch mehr Geld ein.

Von Varinia Bernau, Berlin

Neulich hat Oliver Samwer mal wieder den Test gemacht. Er hat den Friseur, bei dem er war, gebeten, mal auf sein Smartphone blicken zu dürfen. Vier Apps hatte der Friseur: Vertreten waren die beiden Internethändler Amazon und Zalando, ein Taxivermittler und ein Essenslieferanten. "Mehr braucht man nicht zum Leben", sagt Samwer. Die Geschichte vom Friseur ist sein Versuch, das komplexe Geschäft von Rocket Internet so zu erklären, dass es jeder versteht. Doch dann ruft ausgerechnet ein Aktionär, dass das doch ein ziemlich eingeschränktes Leben sei.

Oliver Samwer, immerhin, muss lächeln. Was bleibt ihm auch anderes übrig?

Im Oktober hatte er seine Start-up-Schmiede Rocket Internet an die Börse gebracht. Nun stellt er sich erstmals den Fragen seiner Aktionäre. Er gibt sich alle Mühe. Er spricht ruhig. Er wählt anschauliche Argumente. Gelingen will ihm die Sache trotzdem nicht so richtig. "Wir hören, dass da etwas Neues, etwas Großartiges, etwas Revolutionäres passiert", wird der Aktionärsvertreter Hans-Martin Buhlmann später sagen. "Und im Saal maulen alle, dass die Luft zu stickig ist." Buhlmann ist an diesem Dienstag das Gegenstück zu Samwer. Er trägt keine schmale blaue Krawatte wie die versammelte Vorstandsmannschaft. Er trägt eine gelbe Fliege. Das mag man spießig finden. Oder auch seriös. Buhlmanns Vortrag ist lebendiger als der von Samwer. Man könnte auch sagen: polemischer. Ihm gelingt, was Samwer nicht schafft: Er reißt die Aktionäre mit.

Vielleicht, sagt er, liege die miese Stimmung im Saal ja daran, dass die Zahlen nicht so schön aussehen. Mehr als zwei Milliarden Euro liquide Mittel standen doch zum Jahresende noch in den Büchern. "Aber das ist schon wieder weg." Und die halbe Milliarde aus der Kapitalerhöhung im Februar? "Auch schon wieder weg." Liquide sei es nur draußen, stellt Buhlmann fest, während Regenschlieren an den Fenster herunter rinnen. Ganz stimmt das nicht: Die liquiden Mittel von Rocket Internet liegen bei 1,3 Milliarden Euro. Aber Buhlmann hat den wunden Punkt gefunden: Es ist eine Menge Geld in die Firmen aus dem Rocket-Reich geflossen. Mancher meint: Da wird zu viel Geld verbrannt.

Die Rocket-Internet-Aktien, das sind teuer erkaufte Träume. Die Beteiligungsgesellschaft gibt Gründern Geld und Technik, Erfahrungen und Kontakte, um deren Ideen schnell umzusetzen und in verschiedene Länder zu bringen. Im Gegenzug erhält sie Anteile an den aufstrebenden Firmen und versucht, diese später zu Geld zu machen - etwa bei einem Börsengang der Start-ups. Was dabei wirklich rausspringt? Vielleicht mal 2,8 Milliarden Euro, so viel, wie der aussichtsreichste Börsenkandidat, der Essenslieferant Delivery Hero, derzeit zumindest auf dem Papier wert ist. Vielleicht aber auch weniger. Das ist Samwers Problem. Er kann seinen Aktionären bislang nicht mehr bieten als dieses Versprechen. Er kann sie nicht mit einem steigenden Aktienkurs begeistern: Das Papier liegt an diesem Morgen noch unter dem Preis, zu dem es einst ausgegeben wurde. Und Samwer kann auch keine Dividende springen lassen, wie das die Chefs von Dax-Konzern mit mauem Kurs gerne machen.

Das Unternehmen hat seine Dienste bereits in etwa 110 Länder gebracht

Aber Samwer braucht das Vertrauen seiner Aktionäre. Mehr noch: Er braucht ihr Geld. Er will die Zustimmung für eine weitere Kapitalerhöhung, die nach dem derzeitigen Aktienkurs mehr als 2,5 Milliarden Euro bringen könnte, sowie für eine Wandelanleihe von weiteren zwei Milliarden Euro. Rocket Internet hätte dann in den nächsten Jahren genug Geld, um weitere Start-ups groß zu machen.

Es gehe darum, dass die Gründer all dieser Essenslieferanten, Taxivermittler und Schuhversender nicht mehr in einer Garage gründen, sondern in einer Fabrik, sagt Samwer. Er meint natürlich: In seiner Fabrik. Rocket Internet stellt dazu die Technologie. Das ist das, was in der Fabrik noch das Fließband war. "Früher musste jeder Gründer bei null anfangen", sagt er. Bei Rocket Internet aber setzten sie alle auf die gleiche Technologie, auf die von anderen gemachten Erfahrungen und geknüpften Kontakten. Samwer hat eine Weltkarte an die Wand projiziert: In etwa 110 Länder hat Rocket Internet seine Dienste bereits gebracht. Überall kaufen die Menschen Schuhe, Möbel und Nahrungsmittel. Überall geben sie für diese Grundbedürfnisse Geld aus. Was Samwer meint: Überall wird Rocket Internet eines Tages daran verdienen.

Am Ende hat er die Mehrheit seiner Aktionäre. Es ist egal, dass Buhlmann gegen die vielen Wechsel im Aufsichtsrat gewettert hat, gegen die vielen englischen Begriffe in den Unterlagen. Buhlmann vertritt hier nur eine Minderheit: Gerade einmal 17,3 Prozent der Anteile von Rocket Internet sind in Streubesitz. Die Mehrheit aber halten große Investoren - unter anderem Samwers eigene Beteiligungsgesellschaft Global Founders.

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