Energiekrise:Der Horizont reicht nur bis zum Winter

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Wirtschaftsminister Robert Habeck will langfristige Lösungen bei der Energiekrise. (Foto: MICHELE TANTUSSI/REUTERS)

Kommt Deutschland gut ins nächste Jahr? Vizekanzler Robert Habeck rechnet bei der Gasversorgung mit dem Schlimmsten. Und er warnt davor, künftige Generationen aus dem Blick zu verlieren.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Robert Habeck ist einmal angetreten für die wahrhaft langen Linien der Politik. Jahrelang quälte er sich durch eine Kommission, die Lösungen für das Jahrtausendeproblem Atommüll finden sollte. Die Energiewende sah er immer als Dienst auch an künftigen Generationen, oder, wie er mal schrieb, als "Rückkehr des Prinzips Verantwortung in die deutsche Energiepolitik". Sein anderes großes Thema, der Klimaschutz, war ohnehin nie eine Sache für die kurze Frist. Und jetzt?

Jetzt muss der Grünen-Politiker am einen Tag aufgebrachte Arbeiter der Raffinerie in Schwedt beschwichtigen, um sich am nächsten mit der Stabilisierung des Gaskonzerns Uniper zu beschäftigen. Zwischendurch lässt sich der Vizekanzler und Wirtschaftsminister noch dem SZ-Nachhaltigkeitsgipfel zuschalten, eine deutsche und eine EU-Fahne im Rücken. Doch der Horizont reicht derzeit nicht über die Generationen hinaus, sondern ziemlich genau bis zum nächsten Winter.

"Wenn wir den Winter mit einer stabilen Energieversorgung überstehen, dann werden wir einen starken, lange schon verzögerten Aufschwung der Wirtschaft sehen", sagt Habeck. "Das ist aber immer ein 'Wenn'." Und dieses Wenn ist dieser Tage verdammt groß.

Widersprüchlich wirke die Lage deshalb, wohin man auch blicke. Die Wirtschaft sitze auf vollen Auftragsbüchern - blicke aber voll Sorge in die Zukunft. An Geld für Investitionen mangele es nicht, im Gegenteil; doch wegen der Unsicherheit in den Märkten werde es zurückgehalten. Und einerseits wolle man möglichst schnell raus aus fossiler Energie, doch gleichzeitig sollen Kohlekraftwerke mehr Strom erzeugen, um die Gasnachfrage zu drosseln. "Der scheinbare Widerspruch löst sich über die Zeit auf", sagt der Vizekanzler. Nötig sei aber eine "stabile politische Linie". Wozu er auch öffentliche Unterstützung für jene Bereiche zählt, die wie etwa eine Wasserstoffwirtschaft nicht mal eben von selbst entstehen.

"Das größte Klimaschutzpaket, das Europa seit 15 Jahren geschmiedet hat"

Zuletzt hatte Habeck darüber vor allem auf europäischer Ebene verhandelt, rund um Europas künftige Klimapolitik. Die Räte der Energie- und Umweltminister hatten diese Woche alle bisherigen Ziele aufgestockt, für erneuerbare Energien, für die Energieeffizienz, für die Reichweite des Emissionshandels. "Das größte Klimaschutzpaket, das Europa seit 15 Jahren geschmiedet hat", sagt Habeck. Diskutiert worden sei hierzulande aber nur die Frage, wie die Koalition zum Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor stehe. "Wir reden über 0,5 Prozent, und die 99,5 Prozent sind eigentlich ganz woanders", sagt Habeck. "Aber gut. Vielleicht ist es sogar ganz gut, wenn die Öffentlichkeit nicht mitkriegt, was wir da gerade gemacht haben", schiebt er nach. "Weil es dann durchgeht."

Doch auch bei dem SZ-Gipfel wird klar: Vor alle langen Linien schiebt sich wie ein dunkler, schwerer Schatten der Krieg in der Ukraine. Für die Energieversorgung verdichtet er sich dieser Tage in einer Zahl: dem Füllstand der deutschen Erdgasspeicher. Am Donnerstag meldet die Bundesnetzagentur dafür einen Wert von 61 Prozent. Das ist noch weit entfernt von jenen 90 Prozent, die das Land mit Ach und Krach über den nächsten Winter bringen könnten.

Seit Gazprom die Gasflüsse durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 gedrosselt hat, hegt auch das Wirtschaftsministerium Zweifel, ob sich diese 90 Prozent rechtzeitig bewerkstelligen lassen. "Es kann wirklich problematisch werden", sagt Habeck. Die Begründung aus Moskau, Hintergrund der Drosselung sei eine fehlende Turbine aus Kanada, hält er für vorgeschoben. Und er stellt sich auf neue Manöver ein, wenn die Pipeline demnächst für einige Tage für Wartungsarbeiten vom Netz geht. "Nach dem Muster, das wir gesehen haben, ist es jetzt auch nicht so superüberraschend, wenn irgendein kleines technisches Detail gefunden wird, und dann sagt man: Jetzt können wir eben nicht mehr anmachen."

Es ist auch die Angst um ein Wirtschaftsmodell, das jahrzehntelang gut funktionierte: Russland lieferte günstiges Gas, Teile der deutschen Industrie nutzten oder veredelten es und verkauften es in Form neuer Produkte oder Chemikalien weiter. Womöglich der richtige Augenblick, das ganze Modell zu überdenken?

Club of Rome: Zeichen zur Umkehr

Habeck hat schon lange seine Videokamera ausgemacht (es wartete schon sein Amtskollege aus Singapur) da schaltet sich aus London Sandrine Dixson-Declève zum Münchner Gipfel. Die Belgierin ist Co-Präsidentin des Club of Rome, und sie sieht in Ukraine-Krise und Pandemie vor allem eines: Zeichen zur Umkehr. "Wir müssen das Wachstum, wie wir es kennen, stoppen", sagt sie. "Und darüber nachdenken, was wesentlich ist für unser Überleben."

Vor ziemlich genau fünfzig Jahren hatte der Club of Rome mit dem Bericht "Die Grenzen des Wachstums" weltweit Menschen wachgerüttelt, schon damals mit einer ähnlichen Botschaft: So, wie es ist, darf es nicht bleiben. Erstaunlich viele der Szenarien von damals seien so eingetreten, sagt Dixson-Declève. Der materielle Wohlstand sei zwar vielerorts gewachsen, die Wohlfahrt der Menschen aber sei geschrumpft. Eine Pandemie und der Krieg in der Ukraine reihten sich da nahtlos ein. Es ist ein düsteres Bild, das die Club-of-Rome-Präsidentin da malt, hinter ihr das Bild der Erdhalbkugel - bei Nacht.

Der Club of Rome hatte die Erde immer als System verstanden, mit vielen verschiedenen Einflussgrößen, die einander bedingen, sich mal verstärken und mal gegenseitig aufheben. An diesem System müsse man ansetzen, sagt Dixson-Declève, um die Dinge zu ändern. Etwa mit einem Finanzsystem, das grüne und soziale Ziele höher bewerte als den kurzfristigen Profit. Mit dem Kampf gegen Armut und Ungleichheit aller Art, mit dem weltweiten Einsatz für Frauenrechte. "Wir müssen unser System so optimieren, dass es dem Planeten und den Menschen dient", mahnt sie. Es ist, zum Ende des Nachhaltigkeitsgipfels, noch einmal das ganz große Bild.

Dieses Bild hatte auch Habeck nicht ganz vergessen. Man dürfe nicht nur auf den Tag schauen, hatte er gesagt, man müsse auch die Struktur sehen, die sich jenseits der Krise entwickle. "Die Not des Tages und die Hoffnung, wie es danach weitergeht, die muss man zusammenbringen. Aber am Ende sollte die Hoffnung siegen."

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