Manager-Rhetorik:Sorry, Leute!

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EX-VW-Chef Martin Winterkorn . (Foto: AP)
  • Die Entschuldigung wird bei Unternehmen eine immer beliebtere Krisenstrategie.
  • Sie muss glaubwürdig sein, damit sie wirkt, sagen PR-Experten.

Von Caspar Busse, München

Wer im Mittelalter vor Gericht Abbitte leistete, der kämpfte darum, jene Achtung zurückzugewinnen, die er in der Gesellschaft genossen hatte - ehe er sich einen moralischen Fehler erlaubt hatte. Ehe er betrogen, beleidigt oder sich auch nur eine abstoßende Krankheit zugezogen hatte.

In gewisser Weise leistete auch Martin Winterkorn, 68, der am Mittwoch seinen Rücktritt bekannt gab, Abbitte. Noch am Dienstagabend veröffentlichte Volkswagen auf seiner Internetseite ein zuvor angekündigtes Video von ihm. Das Interesse war so groß, dass die Server anfangs nicht standhalten und statt des Films eine Fehlermeldung zu sehen war. Dann erschien ein zerknirschter Winterkorn, grauer Anzug, ernstes Gesicht, die Mundwinkel nach unten gezogen. Er stand vor einer Wand mit vielen kleinen "Volkswagen"-Schriftzügen. Er redete zwei Minuten und 33 Sekunden, verwendete 17 Mal die Wörtchen "ich" und "wir". Das sollte persönlich wirken. Winterkorn wendete sich an "Kunden, Mitarbeiter und die Öffentlichkeit", wie er sagt. Der sonst so redselige Ingenieur sprach stockend: "Es tut mir unendlich leid." Fast flehend fügte er an: "Bitte glauben Sie mir", und versprach vollständige schnelle Aufklärung: "Ich gebe Ihnen mein Wort." Zuvor hatte schon der Amerika-Chef Michael Horn in New York gesagt: "Wir haben richtig Mist gebaut."

Mehr Demut geht nicht, auch wenn Winterkorn seinen Job damit nicht retten konnte.

In Asien ist der öffentliche Gesichtsverlust besonders schlimm

Die große, umfassende Entschuldigung, sie wird in der Öffentlichkeitsarbeit großer Unternehmen immer beliebter. "Wir haben verstanden, wir haben alles unter Kontrolle", soll dabei die Botschaft sein. Es werde alles unternommen, um das Fehlverhalten abzustellen und die Schäden zu beheben. Aber greift diese Strategie? Das Problem: Mit einem öffentlichen Schuldeingeständnis können Fehler in vollem Umfang eingeräumt werden, lange bevor alle Untersuchungen abgeschlossen sind. Das kann juristische Konsequenzen haben, denn es kommt einer Vorverurteilung gleich.

Video von Winterkorn
:"Es tut mir unendlich leid"

VW-Chef Winterkorn wendet sich in einer Videobotschaft an die Öffentlichkeit. Die Aussagen im Wortlaut.

Vor vier Jahren ging ein Bild um die Welt: Die Manager des japanischen Energiekonzerns Tepco, des Betreibers der Reaktoren im verunglückten Atomkraftwerk Fukushima, verneigten sich tief. Es sollte eine Entschuldigung für das Unfassbare sein. Oder Toshiba: Der Elektronikhersteller wurde von einem der größten Bilanzskandale der Geschichte Japans erschüttert. Hisao Tanaka, der Präsident des Unternehmens, trat zurück, nicht ohne öffentliche Abbitte. Er verneigte sich und sagte: "Sorry". Oder Akio Toyoda, der Chef des japanischen Autobauers und VW-Konkurrenten Toyota: Er musste 2010 bei einer Anhörung im amerikanischen Kongress erscheinen, die Japaner hatten Millionen Autos zurückrufen müssen. Toyoda machte vor den Abgeordneten den Kotau, räumte ein, er sei nicht perfekt. Dabei ist gerade in Asien der öffentliche Gesichtsverlust besonders schlimm. Auch GM-Chefin Mary Barra entschuldigte sich erst 2014 in Washington für Versäumnisse und schwere Fehler.

Wann verzeihen Menschen?

PR-Experten verweisen darauf, dass es dabei immer um Glaubwürdigkeit geht. Nach einer öffentlichen Entschuldigung müssten Taten folgen. "Das Krisenmanagement insgesamt muss authentisch sein", sagt ein Beteiligter. Sonst kann sich der anfänglich positive Effekt ins Gegenteil verkehren. Gefährlich ist auch der andere Weg, die Scheibchen-Strategie: Siemens beispielsweise räumte in der großen Korruptionsaffäre 2006 anfangs immer nur so viel an Fehlverhalten ein, wie bereits bekannt war. Diese scheibchenweise Informationspolitik betrieb auch der Versicherer Munich Re bei dem Sex-Skandal der Tochterfirma Ergo, Versicherungsvertreter hatten sich in Budapest auf Firmenkosten vergnügt. Das Problem hierbei: Die PR-Strategen werden so durch immer neue Veröffentlichungen unter Druck gesetzt. Es entsteht schnell ein Bild der Hilflosigkeit.

Oder schlimmer: Die Manager erscheinen arrogant. Berühmt ist das Bild von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann beim Mannesmann-Prozess in Düsseldorf. Er wurde lachend mit Victory-Zeichen abgelichtet. Auch wenn Ackermann später beteuerte, dass diese Geste anders gemeint war: In der Öffentlichkeit blieb das Bild eines hochnäsigen Bankers, der sich keiner Schuld bewusst ist. Von einer öffentlichen Entschuldigung war Ackermann weit entfernt.

VW-Abgasskandal
:Winterkorns Rücktrittserklärung im Wortlaut

"Ich bin bestürzt": VW-Geschäftsführer Martin Winterkorn zieht Konsequenzen aus dem Abgasskandal. In einem kurzen Statement begründet er seinen Rücktritt.

Eine Krise der ganz besonderen Art hatte in diesem Jahr Carsten Spohr zu bestehen. Nur wenige Stunden nach dem Absturz einer Germanwings-Maschine mit 150 Toten in Frankreich ging der Lufthansa-Chef an die Öffentlichkeit, obwohl damals das ganze Ausmaß der Tragödie noch gar nicht bekannt war. Er sprach den Hinterbliebenen das Mitgefühl aus, entschuldigte sich für den Unfall. Spohr ging raus, versteckte sich nicht - und er fand die passenden Worte. Experten bescheinigten dem gelernten Piloten ein gutes Krisenmanagement. Auch wenn das Leid der Hinterbliebenen schwer wiegt, wirtschaftlich gesehen kamen Lufthansa und die Tochter Germanwings einigermaßen glimpflich davon.

Kann das auch VW gelingen? Der Fall liegt anders, der Autobauer hat bewusst manipuliert und so die Politik und die Kunden getäuscht. Der Vertrauensverlust ist gewaltig, der finanzielle Schaden wohl auch.

Und Winterkorn sagte am Mittwoch, er sei sich keines Fehlverhaltens bewusst.

© SZ vom 24.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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