Reservierungen:Here come the Germans

Pool Liege reserviert mit Handtuch sunlounger Pool Schwimmbad

Mein Revier: Die deutsche "Badetuch-Brigade" ist im Ausland legendär.

(Foto: iStockphoto)

Ob im Restaurant oder am Strand: Die Deutschen reservieren gern. Mit ihrem Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit lässt sich gut Geld verdienen.

Von Lea Hampel

Weiße Socken in Sandalen, auf die Minute pünktlich und notorisch unfähig, ein englisches "th" auszusprechen - berüchtigte Klischees über Deutsche gibt es viele. Noch berühmter ist der Bedarf, sich Plätze zu reservieren, am Strand, an Deck des Kreuzfahrtschiffes, am Pool, nahe am Buffet, aber auch auf dem Campingplatz oder an allen anderen Stellen, wo sich viele Menschen mehr oder minder spontan versammeln. 2014 hat das einer Gruppe besonders eifriger Liegensicherer sogar Ruhm auf Youtube eingebracht, als ein Video mit dem Titel "Here come the Germans" zum Klickhit wurde. Zu sehen sind Touristen, die Sekunden nach Öffnung des Pools in nur leidlich unterdrückter Eile ihre Handtücher auf Liegen platzieren. Seitdem gibt es den festen Ausdruck "beach towel brigade" (Badetuch-Brigade oder freier übersetzt: Hektische Handtuchherde).

Wo ein Bedarf ist, ist auch das Geschäft nicht weit, und so meldete zuletzt Fernbusanbieter Flixbus, künftig kostenpflichtig Sitzplatzreservierungen anzubieten. Eine Umfrage von Holidaycheck aus dem Frühjahr 2016 zeigt: Knapp acht Prozent aller Hotelgäste geben dem Personal Trinkgeld, damit es ihnen Plätze reserviert. Und längst gibt es Handtücher zu kaufen, auf denen das Wort "reserviert" steht.

Unsicherheitsvermeidung ist bei den meisten Deutschen sehr ausgeprägt

Die Gründe, warum Erwachsene sich wie revierverteidigende Hunde verhalten, sind vielfältig. Ein eigenes Gebiet abzustecken, ist den meisten Menschen ein Bedürfnis, und das nicht nur um den eigenen Garten, sondern im Restaurant, bei der Bahnfahrt oder am Strand. Wie groß dieser Raum ist, wie vehement er verteidigt wird und mit wie vielen Menschen er zur Not geteilt wird, hängt aber davon ab, in welchem Kulturkreis jemand aufgewachsen ist. Die Deutschen haben beispielsweise im Vergleich zu Südamerikanern eine größere individuelle Wohlfühldistanz.

Entscheidend dürfte aber ein anderer kultureller Faktor sein. Der Durchschnittsdeutsche, das konnte schon der Kulturforscher Geert Hofstede mit seinen Untersuchungen in den 1980er-Jahren bei IBM-Niederlassungen weltweit nachweisen, hat ein besonders hohes Bedürfnis nach einer sogenannten Unsicherheitsvermeidung. Alexander Reeb ist Geschäftsführer des Seminaranbieters IKUD. Er schult Menschen für Auslandsaufenthalte und sagt: "Wer eine hohe Unsicherheitsvermeidung hat, hat Angst vor ungeregelten, unklaren Situationen." In der Praxis bedeutet das: So jemand mag Versicherungen, feste Regeln - und Reservierungen.

Dass dieses Verhaltensmuster besonders auf Deutsche zutrifft, zeigt sich an der Deutschen Bahn. Während etwa in Frankreich und anderen Ländern zu jedem Ticket automatisch ein Sitzplatz gehört, kostet hier die Reservierung 4,50 Euro. Kulturexperte Reeb glaubt, dass mit der Angst Geld gemacht wird. "In anderen Ländern würden die Menschen vermutlich gar nicht extra bezahlen für die Sicherheit, zu wissen, dass und wo sie sitzen werden."

In Italien wurden Handtücher und Schirme beschlagnahmt

Vor allem in den vergangenen Jahren, vermutet Reeb, lässt ein weiterer Aspekt das Reservierungsbedürfnis steigen. Die Menschen sind zunehmend unter Stress. Gleichzeitig geht es darum, das Leben möglichst effizient zu gestalten. Weil vor allem die Deutschen deshalb ihre Zeit durchplanen, werden dazu alle technischen Möglichkeiten genutzt: digitale Kalender im Smartphone, aber auch Planungsapps wie die Terminkoordinierungsfunktion Doodle oder eben Restaurant-Reservierungsplattformen wie "Bookatable" und "Opentable". Letztere werden übrigens zunehmend auf Reisen genutzt. Allein bei Opentable werden 46 Prozent aller deutschen Buchungen unterwegs gebucht - quasi maximale Flexibilität und gleichzeitig Planungssicherheit.

Doch trotz moderner Technik bietet das Thema Reservierungen für Unternehmer und Kunden Konfliktpotenzial, vor allem im Tourismus, wo in amerikanischen Vergnügungsparks und an spanischen Stränden planungs- und reservierungsfreudige Deutsche auf entspannte Menschen aus anderen Ländern treffen. Verschärft wird das dadurch, dass die meisten Menschen sich weder ihrer eigenen Muster bewusst noch im Klaren darüber sind, dass in anderen Ländern ein anderes Verständnis von Raum und Regeln herrscht.

Weil die reservierungsfreudigen Touristen überhand genommen hatten, wurden in einzelnen italienischen Orten zur Reservierung verwandte Handtücher und Schirme zeitweise beschlagnahmt und mussten gegen Zahlungen von bis zu 200 Euro bei der Polizei ausgelöst werden. Auf einigen Kreuzfahrtschiffen ist man dazu übergegangen, Nummern für Liegen zu vergeben und Mitarbeiter achten darauf, dass die nicht stundenlang ungenutzt bleiben.

Beim Nicht-Erscheinen wird ein fixer Betrag abgebucht

Logischer ist es ohnehin, das Ganze umzudrehen - und aus dem Reservierungsbedürfnis Geld zu machen. Bei einigen Disney-Themenrestaurants, aber auch in manchen Luxushotels und Sternerestaurants ist es mittlerweile nur möglich, gegen Angabe der Kreditkartendaten zu reservieren. Entweder wird direkt für die Reservierung Geld verlangt. Oder bei Nicht-Erscheinen wird ein fixer Betrag abgebucht.

Ein gutes Geschäft mit dem Bedürfnis nach Planbarkeit machen auch Reservierungsplattformen. Michelin hat vor einigen Jahren die Plattform "Bookatable" übernommen. In Deutschland erfolgreich ist zudem Opentable. Mit wenigen Klicks kann man Wochen im Voraus einen Tisch reservieren - was viele Deutsche auch machen. Beispielsweise für den Muttertag reserviert der deutsche Durchschnittsnutzer von Opentable elf Tage vorab. Ein deutsches Angebot gibt es seit 2007, der hiesige Markt ist einer der wichtigsten, mehr als 2200 Restaurants sind vertreten. Anfangs war das 1998 gegründete Portal nur dazu gedacht, hungrige Gäste mit Restaurantbesitzern zusammenzubringen.

Vor allem in den vergangenen Jahren hat sich das Angebot von einer Vermittlungsplattform zu einer Informationsquelle entwickelt. Teil des Konzepts sind verifizierte Bewertungen, aber auch Software, mit der Restaurantbesucher gemeinsam abstimmen können, worauf sie am meisten Lust haben und was ihnen zeitlich am besten passt. "Das alles erleichtert die Planung", sagt Adrian Valeriano, Vize-Chef von Opentable für Europa, den Nahen Osten und Afrika. "Und dürfte dem deutschen Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit besonders gut entsprechen."

Für den Klassiker unter den Reservierungen, das Handtuch, ist eine solche Technik noch keine Lösung. Aber immerhin, so sei es genervten Urlaubern gesagt, der Handtuchtrick ist rechtlich nicht bindend.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, dass mehr als 22 000 Restaurants in Deutschland bei Opentable vertreten sind. Tatsächlich sind es aber mehr 2200.

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