Report:Revolution im Königlichen Theater

Wie die Spanier es geschafft haben, den Geldbedarf ihres Opernhauses in Madrid deutlich zu senken. Weder wurde der Spielplan zusammengestrichen, noch gab es eine Entlassungswelle.

Von Thomas Urban, Madrid

Alles fing mit Mozart an. Er brachte das Geld auf die Bühne, in seiner revolutionären Oper "Figaros Hochzeit". Der junge, fesche Titelheld ist hoch verschuldet, er muss binnen kürzester Zeit 2000 Dukaten aufbringen, sonst droht ihm die Zwangsheirat. Er hat nämlich von Marcellina, der Haushälterin seines Dienstherrn, das Geld geliehen und ihr versprochen, sie zu heiraten, falls er es nicht zurückzahlen könne. Doch Marcellina ist wesentlich älter als Figaro und ziemlich unansehnlich, auch ist er anderweitig verliebt.

Vor Mozart spielte Geld in der Oper keine Rolle, denn sie war ein Vergnügen der Könige und der Adligen, und die hatten meist genug davon. Bis der Revolutionär aus Salzburg das einfache Volk auf die Bühne brachte und nicht nur von Liebe und Eifersucht, sondern auch von Geldproblemen singen ließ.

"Mozart war schon damals ein Kassenschlager und er ist es bis heute", sagt Joan Matabosch, der künstlerische Leiter des Teatro Real (Königliches Theater), des größten Opernhauses in Spanien. Mozart-Opern sind fast immer ausverkauft. Auch der nicht minder revolutionäre Verdi ist stets eine sichere Bank. In dessen Hits "Rigoletto" um einen Auftragsmord und "La Traviata" um eine Edelhure spielen Silbermünzen und Geldscheine eine Rolle.

"Nur Stars vorzuführen, wäre kein Konzept, sondern eine Torheit."

Doch Geld ist im Teatro Real längst nicht nur auf der Bühne zentrales Thema.

Der Grund: Das Platzen einer Immobilienkrise vor acht Jahren brachte die spanische Volkswirtschaft ins Rutschen, ein Konjunkturprogramm dagegen verpuffte und riss nur ein riesiges Loch in die Staatskasse. In der Folge wurde überall der Rotstift angesetzt: öffentliches Gesundheitswesen, Sozialhilfe, Schulen, Universitäten, Militär, Bibliotheken, Museen, Theater. In der Chefetage des Teatro Real wusste man, dass man nichts dagegen tun könne.

Report: Blick in den Zuschauerraum des Teatro Real.

Blick in den Zuschauerraum des Teatro Real.

(Foto: Teatro Real)

Denn mit einer Arbeitslosenquote über 25 Prozent und mit der Verarmung eines Teils der Gesellschaft war wieder eine Debatte über die Oper als ein extrem teures und elitäres, überdies nicht zeitgemäßes Spektakel ausgebrochen. So kam es nicht unerwartet, dass die Finanzpolitiker die Axt an die Subventionen für das Madrider Opernhaus anlegten. Innerhalb von fünf Jahren wurden sie mehr als halbiert, von 27,8 auf 12,9 Millionen Euro pro Spielzeit. Doch der Schock hat Energien freigesetzt.

"Es ist eigentlich ein kleines Wunder", sagt Gregorio Marañón, der Präsident des Patronatsrats des Teatro Real, einer Art Aufsichtsrat. Denn weder wurde der Spielplan zusammengestrichen, noch gab es eine Entlassungswelle. Im Gegenteil: Das Musiktheater funktionierte nach außen normal weiter. Doch innen vollzog sich eine Revolution: Betrug der Anteil der öffentlichen Hand am Budget 2009 noch 70 Prozent, so waren es 2015 nur noch 30, die Verhältnisse haben sich also umgekehrt.

Der Gesamthaushalt ist aber nur unwesentlich geschrumpft, auf 42 Millionen Euro. Dieser Kraftakt hat in der gesamten Opernwelt für Aufsehen gesorgt, auch in der Bundesrepublik. In der Bayerischen Staatsoper bestreiten Bund, Land und Stadt 63 Prozent des Etats. Jede Eintrittskarte wird mit 107 Euro bezuschusst.

Auch das Teatro Real war vor der Krise ein "schwarzes Loch für die Steuerzahler", wie die Presse meinte. Gregorio Marañón, der im Jahr 2007 an die Spitze des Patronatsrats trat, sorgte erst einmal für ein professionelles Management. Die Devise lautet banal: Kosten senken, Einnahmen erhöhen. In jedem Theater machen die Personalkosten den größten Posten aus, vom Orchester über Sänger und Tänzer, Techniker, Maskenbildner und Schneider bis hin zum Kantinen-, Putz- und Wachpersonal. In München schlagen sie mit 78 Prozent aller Ausgaben zu Buche. Doch für einen Intendanten ist der Spielraum gering, denn es gibt Tarifverträge und Gewerkschaften.

Report: Gregorio Marañón steht seit 2007 an der Spitze des Patronatsrats.

Gregorio Marañón steht seit 2007 an der Spitze des Patronatsrats.

(Foto: Teatro Real)

Nicht anders war es in Madrid. Marañón und seiner Mannschaft gelang jedoch ein Coup, den die Wirtschaftspresse als "seltenen Fall von Win-win-Spiel in Krisenzeiten" rühmte: Sie privatisierten das Orchester und den Chor. Anfangs gab es heftige Widerstände dagegen, denn ein Posten beim Teatro Real bedeutete die Sicherheit des öffentlichen Dienstes. Doch dann setzten sich auch bei den Gewerkschaften die Stimmen durch, die angesichts der Sparzwänge darin die besten Chancen sahen, möglichst viele der hoch qualifizierten Arbeitsplätze zu erhalten.

Der Schlüssel zur Lösung: An den spielfreien Tagen können Chor und Orchester Konzerte geben, auch Schallplatten aufnehmen, während der Sommerpause auf Tournee gehen - und somit nicht unerhebliche Summen einnehmen. In der Tat sind die Einkommen der Orchestermusiker und der Chorsänger auf diese Weise ganz gegen den großen Trend in der Krise nicht nur stabil geblieben, sondern sogar gestiegen. Auch sind sie nun Anteilseigner der beiden neuen Firmen. Marañón weist lächelnd auf einen weiteren Effekt hin: Die Oper ist nicht mehr von Streiks bedroht. Streikende Musiker sind bekanntlich der Albtraum der Intendanten in Italien.

Entgegen der landläufigen Meinung machen die Gagen für die Sänger der Hauptrollen nur einen Bruchteil des Budgets aus, weniger als drei Prozent. Noch unter Mataboschs Vorgänger, dem Belgier Gerard Mortier, der als Opernmanager wegen seines Muts zu avantgardistischen Inszenierungen zu großem Ruhm gekommen ist, wurden die Gagen für die Superstars bei 18 000 Euro am Abend gedeckelt. Die Folge war, dass die meisten seitdem um Madrid einen Bogen machen. Doch Mortier hat dies keineswegs bedauert: Er hat auf das Regietheater gesetzt, die Sänger sollten wochenlang an einer Aufführung arbeiten.

Report: Joan Matabosch, der Intendant des Teatro Real.

Joan Matabosch, der Intendant des Teatro Real.

(Foto: Teatro Real)

Ein Superstar hat für Regietheater keine Zeit und meist auch keine Lust darauf.

Auch Matabosch grämt sich darüber nicht: "Nur Stars vorzuführen, wäre kein Konzept, sondern eine Torheit." Sein Start vor zwei Jahren nach Mortiers Tod - dieser erlag einem Krebsleiden - war nicht einfach, viele Opernkritiker haben ihn zunächst angefeindet und ihm unterstellt, er sei für modernes Musiktheater nicht zu haben. Doch sind die Kritiker mittlerweile weitgehend verstummt, denn es ist offensichtlich, dass Matabosch den Weg Mortiers fortsetzen will. Dazu gehört die Förderung junger Sänger, diese lassen sich gern von den Regisseuren anleiten. Überdies sind sie viel billiger, für eine schwierige Hauptrolle bekommen sie höchstens 5000 Euro brutto am Abend.

Als der zweifache Oscar-Gewinner Michael Haneke in Madrid Mozarts "Così fan tutte" inszenierte, waren die vier umjubelten Protagonisten zwischen 25 und 29 Jahre alt. Bei den Nebenrollen wird ebenfalls kräftig gespart: Früher wurden sie mit Sängern aus aller Welt besetzt, die dann wochenlang in teuren Hotels logierten. Heute dagegen übernehmen durchweg Sänger mit Wohnsitz Madrid die kleineren Partien, keineswegs nur Spanier.

Auch beim Stammpersonal in Technik, Schneiderei, Verwaltung konnten die Kosten um ein Fünftel reduziert werden, wobei weder Lohnsenkungen, noch Entlassungen nötig waren. Ganz simpel blieben Stellen unbesetzt, die durch Pensionierungen oder wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit frei wurden. Das funktionierte, weil die Arbeitsabläufe gestrafft wurden, es also seitdem weniger Leerlauf gibt. Die Gewerkschaften waren zwar nicht begeistert, haben aber nicht protestiert.

Energie- und personalsparend ist auch die Gestaltung des Spielplans. Während an deutschen Bühnen während einer Woche mitunter vier verschiedene Stücke gegeben werden, wird im Teatro Real ein Stück nach der Premiere durchgespielt, jeden Abend, mal eine Woche, mal sind es drei; die Bühne muss also nicht täglich aufwendig umgebaut werden. Die Zahl der Aufführungen hängt vom kalkulierten Publikumszuspruch ab. Bei Mozart oder Verdi sind problemlos 15 Abende hintereinander ausverkauft. Bei modernen Opern aber ist meist nach sieben, acht Abenden Schluss. Andernfalls bliebe man unter den 85 Prozent Auslastung, die man auch für das weniger populäre Repertoire anstrebt. Manchmal gibt es auch positive Überraschungen, so wurde Brittens "Tod in Venedig" nicht nur bei den Opernkritikern, sondern auch an der Kasse ein Riesenerfolg.

Report: Szene aus dem "Tod in Venedig" nach Thomas Mann - ein großer Erfolg bei den Kritikern und beim Publikum.

Szene aus dem "Tod in Venedig" nach Thomas Mann - ein großer Erfolg bei den Kritikern und beim Publikum.

(Foto: Teatro Real)

Jedenfalls muss Matabosch beim Spielplan genau zwischen den Vorlieben des Publikums und den Ansprüchen der Kritiker abwägen. In seinem nüchtern eingerichteten Büro hängen Schautafeln mit Besetzungsplänen und Kurven über den Kartenabsatz. In Madrid gibt es zwar ein treues Stammpublikum, doch decken die Abonnements nur die Hälfte der Tickets ab. Also musste ein Konzept entworfen werden, das vor allem auf die junge Generation zielt. Dazu gehören Gratiskarten für Generalproben als Appetitmacher. Um die 40 000 junge Leute haben sich bislang um solche Karten bemüht. An den Preisen der Tickets lässt sich allerdings wenig schrauben. Sie erbringen rund 35 Prozent der Einnahmen. München meldet 30 Prozent.

So blieb den Madrider Managern nur, Kapital aus dem Eigentum des Theaters zu schlagen und überdies Sponsoren zu gewinnen. Das Eigentum des Teatro Real sind sein Opernhaus und seine Produktionen. Der Riesenkomplex in bester Lage gleich gegenüber dem Königsschloss wurde vor der Krise fast nur für Opernaufführungen und Musikproben genutzt. Die meisten der teilweise prachtvoll eingerichteten Säle sahen äußerst selten Besucher.

Doch die Krise änderte auch hier viel: Nun werden einige der repräsentativen Räume tagsüber für Kongresse und Tagungen vermietet. Die Säle in den oberen Etagen bieten einen fantastischen Blick über die Stadt. Auch sind ein Musikgeschäft, ein Gourmet-Restaurant und ein Café eingezogen, wieder eine Win-win-Situation, denn die Pächter machen prächtige Umsätze.

Zudem wurde begonnen, die Aufführungen systematisch zu vermarkten: CD, DVD, Streaming, Fernsehübertragungen und, nicht zuletzt, das Vermieten von Kulissen und Kostümen an andere Häuser. Noch mehr als bisher setzt man in Madrid überdies auf internationale Koproduktionen: die Kosten für Regie und Ausstattung werden mit anderen großen Opernhäusern geteilt. Geld bringt auch die Versteigerung von Kostümen und Requisiten früherer Produktionen ein; nicht nur exzentrische Opernfans, auch die Besitzer von Szenerestaurants oder Hotels geben hierfür immer wieder erkleckliche Beträge aus. In der Summe erbringt die Sparte Kommerz und Merchandising mittlerweile ein Zehntel der Gesamteinnahmen, in deutschen Häusern ist es kaum mehr als ein Prozent.

Report: Die Spanier lieben ihr Teatro Real. Und das noch mehr, seit das Opernhaus sehr viel sparsamer wirtschaftet als früher und als andere Bühnen in Europa.

Die Spanier lieben ihr Teatro Real. Und das noch mehr, seit das Opernhaus sehr viel sparsamer wirtschaftet als früher und als andere Bühnen in Europa.

(Foto: Teatro Real)

Der größte Zuwachs aber konnte beim Sponsoring verbucht werden. Im Teatro Real ist es gute Tradition, dass jede Neuproduktion in einer Pressekonferenz vorgestellt wird. Joan Matabosch, der Dirigent, der Regisseur, manchmal auch der Bühnenbildner und ein Sängerstar sitzen vor einer Wand mit den Logos der Sponsorenfirmen, so wie Fußballstars oder Formel-1-Fahrer bei ihren Aufritten. Dass einige Konzerne nun nicht nur mit den Kickern von Real Madrid, sondern auch beim Teatro Real Werbung machen - Reklame auf der Bühne ist allerdings tabu -, es ist vor allem das Verdienst von Gregorio Marañón. Aus einer prominenten Madrider Familie stammend, ist er bestens vernetzt. Sein Großvater Gregorio war ein berühmter Mediziner, Psychologe und Humanist.

Marañón hat mehrere Unterstützerkreise gegründet. Ihnen gehören Konzernchefs und Persönlichkeiten aus dem Kulturleben an, darunter der in Madrid lebende Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa. Mittlerweile machen Sponsoring und Fundraising in Madrid ein Viertel der Einnahmen aus, München hinkt da mit vier Prozent weit hinterher.

Nicht zuletzt aber musste sich die Leitung des Theaters um die politische Akzeptanz bemühen. Marañón spricht von "Öffnung für die Zivilgesellschaft". Musikschulen dürfen nun einige Probenräume und auch Instrumente unentgeltlich nutzen. Befürchtungen wurden laut, als die linksalternative Gruppierung Podemos nach den Wahlen 2015 das Kulturreferat der Stadt übernahm. Im Podemos-Programm war nämlich viel von Förderung der Stadtteiltheater und des Straßentheaters die Rede, nicht aber vom Teatro Real. Marañón berichtet freimütig, dass er die neue Bürgermeisterin Manuela Carmena seit der gemeinsamen Studentenzeit kenne. Sie trat dem Patronatsrat bei und sicherte zu, dass die städtischen Zuschüsse stabil blieben. Diese waren ohnehin bereits in der Krise um fast zwei Drittel zurückgegangen.

Spaniens Könige fanden früher mehr Geschmack an der Zarzuela, einem mitunter derben Singspiel

Früher war Madrid alles andere als eine Opernhochburg, die spanischen Könige fanden viel mehr Geschmack an der Zarzuela, einem mitunter derben Singspiel mit viel Folklore. Das Mitte des 19. Jahrhunderts gebaute Teatro Real wurde eher stiefmütterlich behandelt. In den 1920er-Jahren wurde es wegen Baufälligkeit geschlossen und nahm nach einer Generalsanierung erst 1997 wieder den Opernbetrieb auf. Zu einer Spitzenadresse wurde es erst während der letzten zehn Jahre.

Es war überfällig, so sagen die Madrider Klassikfans, denn die Handlung berühmter Opern spielt in Spanien: Beethovens "Fidelio", Verdis "Troubadour", "Don Carlos" und "Macht des Schicksals", natürlich Bizets "Carmen" und Rossinis "Barbier von Sevilla", der die Vorgeschichte zu "Figaros Hochzeit" erzählt. Letzterem bleibt die drohende Zwangsheirat übrigens erspart.

Nicht weil er doch die 2000 Dukaten auftreiben kann, sondern weil sich in einer opernhaften Wendung des Geschicks herausstellt, dass er der einst von Räubern entführte uneheliche Sohn seiner Gläubigerin Marcellina ist. Diese erlässt dem wiedergefundenen Sohn freudig die Schulden - ein Finanzierungskonzept, das allerdings für das reale Leben eher untauglich wäre.

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