Report:Wie ein Kolibri

Etliche Menschen halten Drohnen für Spielzeug. Dabei haben sie sich längst durchgesetzt - etwa bei Vermessungen und Inspektionen. Doch was tun, wenn es am Himmel eng oder gefährlich wird?

Von Christoph Dorner, Krailling

Die Feuerwehr war kaum am Brandort angekommen, da stand schon Krešimir Dulić bei den Einsatzleuten und bot seine Luftunterstützung an. An einem Freitagnachmittag im Januar brannte es in der Kraillinger Innovationsmeile, einem Industriegebiet im Südwesten Münchens. In der benachbarten Autowerkstatt für Luxuswagen war ein Feuer ausgebrochen, bei dem sich der Inhaber so schwere Brandverletzungen zuzog, dass er Tage später im Krankenhaus starb. Bei Ascending Technologies hatten sie den Ausbruch des Feuers rasch bemerkt. Direkt hinter der Autowerkstatt, auf einer Freifläche, machen die Mitarbeiter des Drohnen-Herstellers sonst gern ihre Testflüge.

Krešimir Dulić, ein hemdsärmeliger Kroate mit Sieben-Tage-Bart, erzählt Wochen später auf der Wiese hinter der Autowerkstatt, die Drohne wieder surrend in der Luft, wie der Einsatz im Januar ausging. Nachdem er das Feuer bemerkt hatte, schnappte er sich den Asctec Falcon 8, ein insektenhaftes Flugsystem mit acht Rotoren und integrierter Wärmebildkamera, und lief hinüber zur Feuerwehr, die ihn nach kurzer Diskussion aufsteigen ließ. Denn in Krailling sind die Drohnen-Tüftler längst ortsbekannt. In der Schule hatten sie Dulić "MacGyver" gerufen, die draufgängerische US-Serienfigur hätte mit Drohnen mit Sicherheit einige Abenteuer bestanden. Später tüftelte Dulić selbst an Koptern herum, ehe er als Vertriebsmitarbeiter zu Ascending Technologies kam.

Während das Großaufgebot der Feuerwehren versuchte, dem Brand in der Autowerkstatt Herr zu werden, dokumentierte Dulić die Löscharbeiten in Echtzeit aus der Luft. Nur den Akku musste er alle paar Minuten wechseln. Der ist, trotz der massiven Batterieforschung, die auch für den Mobilfunkmarkt nach mehr Langlebigkeit sucht, noch eine der Schwachstellen der Technologie. "Sonst ist das Fliegen fast schon langweilig", sagt Dulić und nimmt wie zum Beweis die Hände von der umgeschnallten Steuerung. Die Drohne steht, trotz Wind, am Himmel wie ein Kolibri.

"Ich bin beim Thema Drohnen irgendwie noch skeptisch", sagt der Feuerwehrmann

Während des Brandeinsatzes erkannte sie aus der Luft schneller als die Einsatzkräfte am Boden, dass das Feuer in der Autowerkstatt auf den Dachstock des angrenzenden Wohnhauses überzugreifen drohte. Richard Fiedler, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr in Krailling, ist noch Wochen nach dem Brandeinsatz beeindruckt. Sehr hilfreich sei die Drohne gewesen. Doch Fiedler sagt auch: "Ich bin beim Thema Drohnen irgendwie noch skeptisch." Da ist er nicht der Einzige. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft hat im Juli eine etwas windige Umfrage veröffentlicht: Demnach sollen Drohnen bei Katastrophen Menschenleben retten dürfen, das auf jeden Fall. Vor allem aber sollen sie keine Leben gefährden.

Drohnen sind in der öffentlichen Wahrnehmung zumeist noch ferngesteuerte Kriegsmaschinen, voyeuristische Hightech-Spielzeuge oder die kommenden Weltherrschaftsinstrumente von Amazon, Facebook und Google. Die Branche spricht lieber von unbemannten Flugsystemen, das klingt neutraler. Einmal in der Luft, können sie schnell gefährlich werden: in Hamburg, Paris, Los Angeles und zuletzt in München sollen Drohnen Passagiermaschinen im Landeanflug in Bedrängnis gebracht haben. In Dubai wurde der Flughafen wegen "unberechtigter Drohnen-Aktivität" im Juni zeitweise geschlossen.

Oder die Dinger stürzen gleich vom Himmel, wie im Dezember, als eine Kameradrohne während eines Rennens um ein Haar auf den österreichischen Skifahrer Marcel Hirscher gestürzt wäre. Er habe den Atem angehalten, als die Bilder gesendet wurden, erzählt ein Berliner Unternehmer, der mit professionellen Kamera-Drohnen sein Geld verdient und für jeden Dreh eine Aufstiegserlaubnis bei der Landesluftfahrtbehörde beantragen muss. Es ist viel Papierkram im Vergleich dazu, dass ein paar Kamikaze-Piloten ihre Spielzeug-Drohnen in den Himmel jagen und die gefilmten Videos bei Youtube hochladen. Ohne irgendjemand um Erlaubnis zu fragen.

Deshalb werden sie gewaltsam vom Himmel geholt: mit der Schrotflinte, mit Lasern, mit dressierten Adlern, mit Drohnen mit Fangnetz - alles schon passiert, alles keine Science-Fiction. Längst entwickeln Firmen wie der Flugzeughersteller Airbus Aufspür- und Abwehrsysteme, um gegen leichtsinnige Drohnen-Piloten und Terrorattacken aus der Luft gewappnet zu sein. Das Image der unbemannten Fluggeräte ist nicht gerade vertrauenserweckend, obwohl sie immer leistungsfähiger werden, billiger und sicherer. Obwohl sie eigentlich nicht über Menschenansammlungen fliegen dürfen und auch nicht über Verkehrswegen. Doch weil die Technik das Fliegen so leicht gemacht hat und die bürgerliche Privatsphäre über Jahrhunderte nur in der Horizontalen verteidigt werden musste, verkörpert die Drohne auch eine Weltangst, die man aus den Asterix-Heften kennt: Dass einem eines Tages der Himmel auf den Kopf fallen könnte.

Geradezu euphorisch ist hingegen die Wirtschaft, und das aus guten Gründen.

Im Vermessungsbereich und bei Industrie- und Infrastruktur-Inspektionen hat sich die Drohne wegen sagenhafter Effizienzsteigerungen bereits als technischer Standard durchgesetzt. Siemens nutzt sie auf der Baustelle, BASF auf dem Werksgelände, VW in der Produktionshalle. Das Fernsehen ist so hemmungslos verliebt, dass kein Tatort und keine Vorabendserie mehr ohne ein paar Sekunden mit aufhübschenden Luftaufnahmen auskommt. Landwirtschaft, Baubranche und Handwerk steuern mit Drohnen ins Zeitalter der Automatisierung und Digitalisierung.

Auch der Logistiker DHL hat das Thema längst strategisch besetzt. Die Post-Tochter will bereit sein, sobald Drohnen über deutsche Innenstädte fliegen dürfen. Noch ist das eine Zukunftsvision. "Same Day Delivery" beflügelt trotzdem die Branche. Drohnen könnten Lieferketten so effizient machen, dass Waren wenige Stunden nach der Online-Bestellung geliefert werden. Amazon prescht voraus und sagt: in weniger als 30 Minuten. Die Gegenwart ist noch nicht ganz so verheißungsvoll.

Zwar flog der DHL-Kopter bereits autonom Medikamente auf die Nordseeinsel Juist. Nach Testflügen zu einer Alm in den Alpen im Frühjahr beschwerte sich sogleich der Verband der Gleitschirm- und Drachenflieger. Das Bundesverkehrsministerium hatte zwar ein Flugbeschränkungsgebiet eingerichtet, nur hatte den Hobbysportlern niemand Bescheid gesagt.

"Jede Woche melden sich Firmen bei uns und fragen nach Einsatzmöglichkeiten."

2016 ist das Jahr, in dem die Technologie langsam in den Massenmarkt eindringt, so wie der Personal Computer vor etwa 30 Jahren. Chinesische Firmen wie der Weltmarktführer DJI drängen mit erschwinglichen Kopter-Systemen für Endverbraucher nach Europa. Bei der Spielwarenmesse in Nürnberg beanspruchten sie, Stand an Stand mit der alteingesessenen Modellflugbranche, bereits fast eine Halle für sich. Auch bei Saturn und Mediamarkt haben sie auf den Boom reagiert, das Angebot in den Online-Shops aufgestockt und in den Elektronikmärkten Verkaufsflächen für Drohnen freigeräumt.

Auch wenn man sich manchmal fragt, wo sie denn am Himmel alle geblieben sind: In Deutschland sollen bislang 400 000 zivile Drohnen verkauft worden sein, schätzt die Flugsicherung. Konkretere Zahlen gibt es nicht, eine Registrierungspflicht existiert bislang nur in den USA.

Doch während die ferngesteuerten Flugsysteme für einfache gewerbliche Zwecke, etwa Luftaufnahmen für Dachdecker oder Makler oder Steuerfahnder, wegen des Margendrucks unweigerlich von den marktbeherrschenden Firmen aus China und den USA kommen werden, hat sich Ascending Technologies mit Hightech-Drohnen im Markt behauptet. Sie sind dank intelligenter Algorithmen in der Lage, unter schwierigen Bedingungen Offshore-Anlagen zu inspizieren oder durch Luftaufnahmen exakte 3-D-Modelle von Gebäuden zu erstellen. Und das hat seinen Preis: Vier Tage vor dem Brand in der Kraillinger Autowerkstatt verkündet Intel auf der CES, der weltgrößten Messe für Unterhaltungselektronik in Las Vegas, die Übernahme von Ascending Technologies.

Über den Kaufpreis macht die Firma keine Angaben, in der Branche spricht man hinter vorgehaltener Hand von einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag. Für den amerikanischen Chipriesen Intel ist es wegen des schwächelnden PC- und Notebook-Geschäfts nicht nur eine strategische Akquisition in einen milliardenschweren Markt. Intel-Chef Brian Krzanich gilt als Drohnen-Fan. Er sieht in ihnen auch Potenzial als Entertainment-Produkt.

Für die Gründer aus Bayern wiederum ist die Übernahme durch Intel eine aufsehenerregende Zwischenstation einer Firmengeschichte, die im Grunde 2002 bei "Jugend forscht" beginnt. Mit ihrer fliegenden Robotikplattform gewinnen die Abiturienten Daniel Gurdan und Klaus-Michael Doth damals zwar nicht den Wettbewerb. Dafür erwirbt eine chinesische Spielzeugfirma die Vermarktungsrechte für den simplen Kopter, dessen Basistechnik in den kommenden Jahren von einer wachsenden Szene aus Wissenschaftlern und Bastlern weiterentwickelt wird. Denn eines ist klar: Die Flugobjekte mit mindestens vier Rotoren fliegen sich kinderleicht. 2007 gründen Gurdan und Doth mit zwei weiteren Gesellschaftern in einer Dachgeschosswohnung Ascending Technologies.

Neun Jahre später hat die Firma gerade ein zweites Gebäude in dem Gewerbegebiet angemietet, um die mittlerweile 90 Mitarbeiter unterzubringen. In der Werkstatt werden die Drohnen montiert, von Fließbandarbeit ist man dabei noch weit entfernt. Ein Stückzahl von 300 hat die Firma bislang pro Jahr produziert - sie sind, je nach Ausstattung, so teuer wie ein Mittelklassewagen. "Jede Woche melden sich große Firmen bei uns und fragen nach Einsatzmöglichkeiten", sagt Gründer Daniel Gurdan, der mit 33 Jahren noch die Begeisterungsfähigkeit eines Jungforschers ausstrahlt. Einem Mitarbeiter ist es bei einem Rundgang durch die Firma dagegen etwas peinlich, dass man immer noch keine Bilder an den Wänden aufgehängt hat, so wie jede normale Firma. Doch weil Drohnen für viele Branchen vor allem auch eine große Verheißung auf Zeitersparnis sind, haben sie bei Ascending Technologies gerade wenig Zeit für Nebensächlichkeiten. Die Kraillinger Firma ist nicht das einzige Drohnen-Investment von Intel, sie konkurriert auch intern mit den Chinesen. "Wir aber wollen das Gehirn der internationalen Abteilung bei Intel sein", sagt Gurdan.

An einem Freitag im Frühjahr trifft sich die zivile Drohnen-Branche am Sonderflughafen in Oberpfaffenhofen bei München. Vertreter von 60 Firmen und Forschungseinrichtungen sitzen in einem kargen Tagungsraum, auch Bundeswehr, Bundespolizei und Bergwacht haben Abgesandte geschickt. Google, Amazon und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) haben sich kurzfristig entschuldigen lassen. Dafür hält ein Pilot einen vagen Vortrag, wie die Lufthansa künftig mit DJI Drohnen-Dienstleistungen entwickeln will. Allzu sehr will man sich nicht in die Karten schauen lassen. Ein Vermessungsingenieur von RWE berichtet über den Einsatz von Drohnen zur Kartografierung im Braunkohletagebau. "Die technischen Herausforderungen sind mittelfristig alle lösbar", sagt er, "was noch fehlt, sind die Genehmigungen." Danach gibt es Schnitzel mit Kartoffelsalat.

"Man kann mit der Technologie viele sinnvolle Dinge tun", sagt der Gründer Daniel Gurdan

Auch Florian Seibel vom bayerischen Hersteller Quantum Systems ist unter den Teilnehmern: "Momentan erleben wir noch eine Phase der Ruhe. Doch der Sturm wird kommen." Seibel sieht aus wie einer dieser jungen Macher aus dem Silicon Valley: T-Shirt, Designer-Brille, Kurzhaarfrisur. Als Kind war er Modellflieger, später studierte er Luft- und Raumfahrttechnik bei der Bundeswehr, flog dort Hubschrauber. Seine Firma hat eine Drohne entwickelt, die völlig anders ist als der Kolibri von Ascending Technologies.

Sie ähnelt einem Propellerflugzeug, kann aber senkrecht aufsteigen und große Flächen abfliegen. Im Frühjahr waren Quantum Systems mit ihrem Tron für eine Testflugkampagne in Dubai, im Juli hat man für die Deutsche Bahn in Niedersachsen Luftaufnahmen von deren Streckennetz gemacht. Der Besitzer einer Diamantenmine hat schon nachgefragt, ob man mit der Drohne nicht Rohdiamanten transportieren könnte. Für das kommende Jahr plant Quantum Systems eine erste Investorenrunde, drei Millionen Euro will die mittelständische Firma einsammeln, um weiter wachsen zu können. Es ist überhaupt der Tenor auf dem Branchen-Treffen: Man will höher und weiter hinaus, um das Marktpotenzial der Technologie besser ausschöpfen zu können. Und zwar schnell.

Denn die derzeit zulässige Flughöhe von hundert Metern und die schwammige Auflage, nur in Sichtweite zu fliegen, verhindern noch etliche Anwendungsfelder, etwa in der Landwirtschaft. Im Verkehrsministerium wird deshalb an einer Novellierung der Luftverkehrsordnung gearbeitet, sie soll Rechtssicherheit bringen. Der gewerbliche Einsatz von Drohnen soll demnach ausgeweitet werden, wenn bei den Landesluftfahrtbehörden ein sicherer Betrieb nachgewiesen werden kann.

Auch einen Drohnen-Führerschein und Nummernschilder soll es geben.

Dabei dürfte das Ministerium auch auf die vereinfachten Vorgaben schielen, die die amerikanische Flugsicherung im Juni beschlossen hat. Demnach sollen bis zu 25 Kilogramm schwere Drohnen nicht höher als 150 Meter fliegen dürfen. Den Vorschlag von Amazon, zwischen 60 und 120 Metern einen globalen Luftraum für Paket-Drohnen einzurichten, erteilte die amerikanische Behörde eine Absage. Dennoch glaubt Daniel Gurdan von Ascending Technologies, dass sich der Markt für Drohnen gerade erst öffnet. "Man kann mit der Technologie viele sinnvolle Dinge tun. Ein Teil der Gesellschaft ist nur noch nicht so weit, das auch zu erkennen."

Angela Merkel hat sich schon entschieden. Im Bundestagswahlkampf 2013 war in Dresden eine Spielzeug-Drohne vor der Bundeskanzlerin auf der Bühne gelandet, das Ding wurde von einem Leibwächter beiseitegeschafft. Auf der Internationalen Handwerksmesse in München ließ sich die Kanzlerin drei Jahre später, für die Branche eine halbe Ewigkeit, bereits mit einer Drohne in der Hand fotografieren: dem Falcon von Ascending Technologies. Welche Botschaft ein Foto mit der Kanzlerin haben kann, weiß das Land seit den Selfies mit Flüchtlingen aus dem vergangenen Sommer. Merkel ahnt wohl, wie die Zukunft aussehen wird: Drohnen werden vom Himmel nicht mehr verschwinden.

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