Report:Terra del vino

Barolo, Nebbiolo, Barbera: Die Weine aus Piemont gehören zu den besten Italiens. Doch das Geschäft ist schwieriger geworden - für kleine Winzer ebenso wie für Großkellereien. Und dann kam auch noch der heiße Sommer.

Von Thomas Fromm, Alba

Wenn der Weinmanager Pier Paolo Quaranta über sein Produkt spricht, dann steht er meist im Konferenzraum einer großen, herrschaftlichen Villa vor einer Wand mit bunten Post-it-Zetteln. Gemeinsam mit Vertrieblern und Marketingexperten wird hier über Verkaufsstrategien entschieden, also darüber, wie man welche Kundentypen am besten mit welchen Weinen zusammenbringt.

Wenn der Weinbauer Federico Destefanis über sein Produkt spricht, dann sitzt er auf einem Stuhl im Innenhof des alten Familienhofes und rudert mit den Armen. Es war ein ungewöhnlich heißes Erntejahr, monatelang wurde sieben Tage die Woche gearbeitet. Auf dem Tisch stehen Grissini, Pancetta und eine Flasche mit kühlem Favorita, einem Weißwein, und eigentlich hätte Destefanis genug andere Dinge zu erledigen, als jetzt über das Weingeschäft zu sprechen.

Der Weinmanager Quaranta fragt sich ständig: Was gefällt, was brauchen wir am Markt? Man kann einen neuen Wein designen, so wie man die neue Herbstmode designt. Und wenn eine Flasche Wein 1,99 Euro beim Discounter und 19,99 Euro in der Enothek kostet, dann sagt das schon eine Menge aus über dieses Geschäft. Quaranta, ein sportlicher Typ in den Vierzigern, sagt: "Unser Geschäftsmodell ist sehr marktorientiert. Wir sind ein Industriebetrieb und wir wollen wachsen."

Federico Destefanis, 38 Jahre alt, verheiratet und Winzer in vierter Generation in dem piemontesischen Dorf Canale, sagt dagegen, dass er aus seinem Weingut keinen Industriebetrieb machen will. "Solange es mit der Familie geht, will ich das mit der Familie machen." Die Familie, das sind seine Eltern und seine Frau. Vier Menschen, die Barbera anbauen, keltern und abfüllen. Ebenso Dolcetto, Nebbiolo und Arneis, den großen Weißwein der Region.

Report: Piemont, das Land der kleinen Winzer: Die Hitze und Trockenheit in diesem Sommer zwangen viele zu einer frühen Ernte.

Piemont, das Land der kleinen Winzer: Die Hitze und Trockenheit in diesem Sommer zwangen viele zu einer frühen Ernte.

(Foto: Alamy/mauritius)

Was Pier Paolo Quarantas Familie macht, spielt für diese Geschichte keine Rolle. Quaranta ist Geschäftsführer des großen Weinunternehmens Giordano Vini in Valle Talloria bei Alba, und die Firma wiederum ist Teil der Holding "Italian Wine Brands", die in Mailand börsennotiert ist, 150 Millionen Euro Umsatz macht und deren Aktie zuletzt bei 12,30 Euro notierte. Quaranta arbeitete noch bis vor Kurzem für einen Finanzinvestor in Mailand, jetzt verkauft er Barbera und Barolo nach Frankreich, England, Deutschland und Skandinavien und hat dabei den Aktienkurs seiner Holding im Blick.

In absoluten Zahlen sieht der Giordano-Destefanis-Vergleich also so aus: Giordano Vini verkauft 25 Millionen Flaschen Wein im Jahr; Destefanis 100 000. Der eine liefert in ganz Europa aus und peilt den US-Markt an. Der andere bleibt in Piemont.

Von Pier Paolo Quarantas Büro in der Nähe von Alba sind es nur ein paar Kilometer zu den steilen Weinhügeln von Canale. Aber es liegen Welten dazwischen.

Willkommen in Piemont, dem Land des Barolo, Barbera und des Barbaresco. Einem Land großer Tropfen, teurer Trüffel und nebliger Sonnenhügel im Nordwesten des italienischen Stiefels. Willkommen im Land der Gegensätze, auf einem harten, schwer umkämpften Markt. "Wir stehen jeden Morgen mit dem Messer zwischen den Zähnen auf, um den besten Wein zum besten Preis anzubieten", sagt Quaranta. Es ist eine sehr schöne italienische Art, um zu sagen: Leute, das Geschäft ist knallhart, aber wir sind es auch.

Italien, und das ist erst einmal die gute Nachricht, ist Weltmeister im Weinverkauf. Das ist in Zeiten, in denen man nicht weiß, was man von den alten, schwächelnden Ikonen wie dem Autobauer Fiat noch halten soll, gar nicht so übel, sagen sie in Piemonts Hauptstadt Turin.

50,9 Millionen Hektoliter Wein hat Italien im Jahr 2016 produziert, von Piemont über die Toskana bis nach Sizilien, und damit Frankreich und Spanien hinter sich gelassen. "Verglichen mit dem Rest der italienischen Ökonomie ist der Weinsektor das wahre Wirtschaftswunder des Landes", sagt Giancarlo Gariglio. Er kümmert sich bei der Organisation Slow Food um Weine, und wohl auch deshalb sieht es auf seinem Schreibtisch in dem Städtchen Bra aus wie auf einem Degustationstisch für Weine, auf den man, warum auch immer, noch einen Computer gestellt hat.

Giancarlo Gariglio weiß, was auf dem Markt los ist. Winzer müssen ihre Ware unter Wert verkaufen, weil der Discounter-Kunde in Hildesheim der Meinung ist, dass ein Barbera nicht mehr als 3,49 Euro kosten darf. Junge Kunden, gerade noch Generation Apfelsaftschorle und Red Bull, wollen keinen kräftigen Barbera, sondern Leichtes und Spritziges. "Prosecco ist ein sehr lukratives Geschäft", sagt Gariglio. Wer kann, industrialisiert seine Schaumwein-Produktion. Das geht dann auf Kosten anderer Trauben.

Und dann noch das Wetter in diesem Jahr. Erst war es zu warm, dann kam der Frost im Frühling, es folgten: monatelange Hitze und wenig Regen. Folge: bis zu 30 Prozent weniger Ernte. Für schwere Weine wie den Barolo war der Sommer perfekt. Für den Massenbetrieb aber war er ein Desaster. "Das ist eine der großen Fragen der Weinwirtschaft: Verstehen, in welche Richtung das Klima in den nächsten Jahren gehen und welche Folgen dies haben wird", sagt Slow-Wine-Mann Gariglio.

Federico Destefanis erinnert sich gut an den Tag, an dem sein Familienurlaub am Strand zu Ende ging, bevor er überhaupt richtig angefangen hatte. Es war Mitte August, Wochen vor der geplanten Ernte, als der Freund aus Canale anrief und sagte: "Basta, komm zurück, wir müssen ernten, die Trauben schaffen das nicht mehr."

Im Grunde ist es mit diesen Weinreben so, sagt Destefanis: Wenn sie von unten kein Wasser mehr ziehen, dann werden sie erfinderisch. Was liegt da näher, als sich selbst leer zu saugen? Es gibt ja genug Flüssigkeit in so einer Weinrebe. Vor allem in den Trauben - süßes, zuckriges Wasser. Irgendwann aber hängen auch die letzten Trauben trocken und traurig herum, und dann wird es ernst.

Report: Pier Paolo Quaranta managt ein börsennotiertes Weinunternehmen.

Pier Paolo Quaranta managt ein börsennotiertes Weinunternehmen.

(Foto: Thomas Fromm)

Destefanis hat also seine Badehose wieder eingepackt, und dann wurde tagelang geerntet. Immer von 7 bis 11 Uhr morgens, danach kletterte das Thermometer auf über 35 Grad. Die Kisten, mit denen sie die trockenen Trauben nach Hause brachten, wogen 16 Kilo - in den vergangenen Jahren waren es 23 Kilo. "So ein richtiger Hagelschauer wäre vielleicht noch schlimmer gewesen", sagt Destefanis.

Es ist ein riskantes Geschäft geworden. Jahrzehntelang war das Wetter einigermaßen kalkulierbar, und das ist jetzt vorbei. Der Geschmack der Menschen war kalkulierbar, und auch das ist vorbei. Und so kommt es, dass die Weinwelt immer mehr zerfällt - in die, die noch im Weinberg arbeiten. Und die, die nur noch verkaufen.

Das Geschäftsmodell von Pier Paolo Quarantas Firma Giordano Vini funktioniert so: Hunderte Kleinwinzer und Genossenschaften liefern dem Abfüller die Trauben. Der macht den Wein und lagert ihn in gigantischen Fässern. "Unser Geschäftsmodell besteht nicht darin, in Weinreben zu investieren, sondern in Marken. Wir brauchen Masse und ein großes Vertriebsnetz", sagt Quaranta. Und so werden sie immer größer, die großen italienischen Weinmacher. Firmen wie der Direktverkäufer Giordano oder Fratelli Martini in Piemont oder Zonin im Veneto verzichten immer öfter auf eigenen Boden und überlassen das alte Geschäft mit den Reben den anderen.

Es gibt Taxifahrten-Anbieter, die haben keine eigenen Taxis. Und es gibt Weinproduzenten, die haben keine eigenen Reben, kaufen aber immer mehr Trauben aus unterschiedlichen Regionen, sie machen Barbera, toskanischen Chianti und apulischen Primitivo di Manduria. Acht Önologen reisen für Giordano durch ganz Italien. Es wird getestet, verhandelt, es werden Verträge gemacht, oft nur für ein Jahr.

In der Sprache der Manager würde man diese Strategie so umschreiben: Risikominimierung bei gleichzeitiger Stärkung des Markenportfolios.

Report: Bauer Federico Destefanis vertraut auf die Familie.

Bauer Federico Destefanis vertraut auf die Familie.

(Foto: Thomas Fromm)

Federico Destefanis lebt in einem Dorf mit 500 Einwohnern, in dem 40 Familien Wein anbauen. Er hat keine börsennotierte Holding im Rücken, dafür aber eine wichtige Frage: Wo, bitte schön, soll man all diesen Wein verkaufen, wenn alle in der Gegend Wein produzieren? Schon sein Urgroßvater war damals mit der Pferdekutsche bis nach Turin gereist, um seine Rotweinfässer an die Trattorien in der Großstadt zu verkaufen. Strategien brauchte man also schon damals. Und man braucht sie erst recht in Zeiten, in denen sich nicht nur das Klima ändert, sondern gleich auch noch die gesamte Branche.

Besuch bei einem, der gerade seinen 60. Jahrgang eingefahren hat. Michele Chiarlo, Winzer aus Calamandrana, einem Ort zwischen Asti und Alba, verkauft mehr als eine Million Weinflaschen im Jahr. Die Frage, wie es weitergehen soll, hatte er sich schon Anfang der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts gestellt. Mit ein paar Hektar Familienerbe ging es los, ein paar Hügel Barbera und Moscato waren das damals. Jetzt sitzt der alte Mann im karierten Hemd und in blauer Strickjacke in seinem Weinkeller, hält ein Glas Barolo gegen das Licht und berichtet aus einer anderen Zeit, in der es noch keine Discounter-Regale mit italienischen Weinen gab und in der die einzigen Weine, die man nördlich des Brenners bekam, Lambrusco hießen oder Kalterer See Auslese, Bardolino und Chianti. Der kam aus der Toskana, und zwar von einem traditionsreichen Weingut mit dem schönen Namen Antinori. Aber Barbera und Barolo aus Piemont? Chiarlo? Und: Wo liegt dieses Piemont eigentlich?

"Ich habe schon früh an Export gedacht", sagt Chiarlo. Die Welt des Piemont, sie war zwar fein, aber zu klein mit all ihren Höfen und Weinbergen. Chiarlo hat sie schon oft erzählt, die Geschichte seiner ganz persönlichen Globalisierung, und er erzählt sie gern. Geholfen haben ihm damals ein außergewöhnlich guter Barbera, Jahrgang 1961, und ein Heringsverarbeiter, Dosenfabrikant und Weinimporteur aus Bad Bramstedt. Der probierte den Barbera bei einer Messe in Mailand.

Report: Michele Chiarlo liefert seinen Wein in die ganze Welt.

Michele Chiarlo liefert seinen Wein in die ganze Welt.

(Foto: Thomas Fromm)

Chiarlo weiß noch jeden Satz dieses Gesprächs mit dem Deutschen: "Wie viel haben Sie noch davon, fragte er. Ich antwortete: 15 000 Flaschen. Wo? Na, im Keller. Und er sagte: Ich nehme sie alle, ich werde sie schon verkaufen."

Von dem Geld kaufte sich Chiarlo weitere Weinberge. "Aber immer nur die besten Lagen", sagt er. So wurde aus dem kleinen piemontesischen Winzer Michele Chiarlo ein internationaler Lieferant, der heute nur noch 25 Prozent seiner Flaschen in Italien verkauft. Der Rest wird in die ganze Welt exportiert. 30 Beschäftigte, ein Paket guter Verträge, unter anderem mit Mövenpick - Chiarlo gehört heute zu den ganz Großen unter den Kleinen. Trauben an die Großbetriebe verkaufen? No, grazie. Seinen Wein macht er lieber selbst. Nur das Wetter, das bekommt auch er zu spüren. Neulich wollte er auf einigen Hektar Land neue Pflanzen setzen, aber es ging nicht. "Die Erde ist hart und ausgetrocknet", sagt Chiarlo. "Wir hoffen jetzt, dass es bald kräftig schneit. Denn das ist Piemont im Herbst und Winter: nebbia e neve."

Nebel und Schnee.

Allerdings hat der alte Mann Glück: Seine beiden Söhne sind schon längst mit im Geschäft. Der eine kümmert sich um Land und Keller, der andere um Marketing und Verkauf. Es geht auch anders. Wie bei einem Kollegen, dessen einziger Sohn beschlossen hat, das harte Winzergeschäft auf dem Land an den Nagel zu hängen und stattdessen lieber ein Fitnessstudio in Turin eröffnen wollte. Work-out statt Barolo - die Welt der Winzer kann schon ziemlich verrückt sein.

Im vergangenen Jahr wurde einer der großen Barolo-Winzer der Gegend, das Weingut Vietti aus Castiglione Falletto, an einen US-Investor verkauft. 34 Hektar, ein gut gefüllter Keller und eine lange Historie - auf einmal amerikanisch. Geschätzter Verkaufspreis: an die 60 Millionen Euro. Die Bauern waren sprachlos. Wenn ein Amerikaner, der sein Geld vor allem mit Supermarkt-Immobilien in den USA macht, so viel Geld für ein paar Barolo-Hügel auf den Tisch legt, was bedeutet das dann für diese jahrhundertealte Wein-Branche?

Report: Nicola Argamante (hier mit seiner Frau) geht regelmäßig auf Roadshow.

Nicola Argamante (hier mit seiner Frau) geht regelmäßig auf Roadshow.

(Foto: Thomas Fromm)

Ganz einfach, sagt Nicola Argamante, der auf seinem Weingut Podere Ruggeri Corsini Barolo herstellt. "Wenn Dir einer anderthalb Millionen Euro für einen Hektar Land anbietet, ist es schwer, Nein zu sagen. Vor allem dann, wenn dieser Hektar Land beim Wein-Verkauf nur 40 000 Euro im Jahr abwirft."

Argamante hat für seine elf Hektar und knapp 75 000 Flaschen seine ganz eigene Internationalisierungsstrategie. Weil Piemont zu klein ist für alle und Italien noch dazu ein ziemlich großes Weinland, hat er das "Consorzio Vini del Piemonte" gegründet und zieht mit seinen Kollegen durch ausländische Städte. Die Degustations-Abende haben Namen wie "Barolo and friends event" - Direktmarketing nennt man das. "Man kann nicht allein Werbung machen, das schaffen die Kleinwinzer nicht", sagt er. Wenn die Barolo-Gruppe auf Reise geht, dann nicht in die üblichen Metropolen. "Wenn wir nach New York fahren, dann sind wir da gar nichts", sagt er. "Da sind schon alle anderen. Stattdessen fahren wir nach Oslo, Trondheim oder Göteborg. Wer geht schon nach Göteborg, um dort Barolo zu verkaufen? Wir."

Bald ist es wieder so weit, dann verlässt er den Hof für eine seiner kurzen Barolo-Roadshows. "Schauen Sie, ich fliege nach Helsinki, von da aus geht es am Nachmittag darauf weiter nach Tallinn, dann nach Stockholm. Ich verbringe die Zeit damit, unseren Wein zu präsentieren und dazwischen ein paar Stunden im Flugzeug zu schlafen. Das ist nicht romantisch."

Nicola Argamante packt Koffer und Weinkartons und fliegt nach Helsinki. Pier Paolo Quaranta sondiert Firmenübernahmen, um in den USA zu wachsen. Und Federico Destefanis denkt an seine Pflanzen. "Wenn das Wetter jetzt immer so bleibt, müssen wir vielleicht viel Geld in Bewässerungssysteme investieren", sagt er.

Im Land der großen Weine muss jeder selbst sehen, wie er seine Probleme löst.

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