Report:Großbaustelle in der Idylle

Dänen und Deutsche kämpfen gerade um eines der größten Verkehrsprojekte Europas: die Unterquerung der Ostsee zwischen Rødby und Puttgarden.

Von Silke Bigalke und Thomas Hahn, Kopenhagen/Burg auf Fehmarn

Im dänischen Verkehrsministerium am Frederiksholms Kanal von Kopenhagen ragt ein Schild wie ein kleiner Wegweiser in den Behördenflur: "Femern". So heißt der Konferenzraum, in dem Magnus Heunicke, der Herr des Hauses, zum Gespräch empfängt. Der Raum ist nach einem Projekt benannt, das vorerst nur als Plan existiert:

"Femern" steht für den Fehmarnbelt-Tunnel durch die Ostsee. Er soll Rødby auf der dänischen Insel Lolland mit Puttgarden auf der deutschen Insel Fehmarn verbinden. Es ist ein besonders auf deutscher Seite umstrittenes Vorhaben.

Im Raum stehen Teller voller Muffins für den Besuch aus dem großen Nachbarland. Verkehrsminister Heunicke ist bester Laune. Es sei ihm immer eine Freude, mehr über die deutsche Debatte zu erfahren. Und er hoffe natürlich, dass es eines Tages nicht nur einen Femern-Konferenzraum gibt, sondern einen "echten Tunnel im echten Leben".

"Wenn das Projekt so kommt, wie es angelegt ist, wird Fehmarn Großbaustelle"

Das echte Leben auf Fehmarn sieht noch so aus: Vom Wintergarten der Biohof-Betreiberin Christine Albert geht der Blick hinaus aufs liebliche Inselland. Es ist ein strahlender Frühlingstag, ein tiefer Frieden liegt über den Feldern um den Weiler Ostermarkelsdorf. Aber Christine Albert denkt an die Zukunft und dabei ist ihr nicht wohl, denn der große Plan für die neue Verbindung von Skandinavien nach Mitteleuropa kommt ihr vor wie eine Gefahr, die von Dänemark her auf sie zurollt. Hendrick Kerlen sitzt auch am Tisch, der Vorsitzende des Naturschutzvereins "Aktionsbündnis gegen die Feste Fehmarnbelt-Querung". Er geht zum Fenster und zeigt auf die Baumreihen in der benachbarten Ferne. Dort, wo die Straße die Insel quert, werden wohl eines Tages Bagger und Bauarbeiter die Idylle stören. "Wenn das Projekt so kommt, wie es angelegt ist, wird Fehmarn eine Großbaustelle", sagt Kerlen, "ja, glauben Sie denn, die Touristen werden dann noch mit Begeisterung Urlaub machen hier?" Christine Albert, Kerlens Stellvertreterin im Aktionsbündnis, macht sich keine Illusionen: "Wir können den Laden zumachen, platt gesagt."

Dänen und Deutsche kämpfen gerade um eines der größten Verkehrsprojekte Europas. Gemeinsam oder gegeneinander - das weiß man manchmal nicht so genau.

Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht am kommenden Dienstag die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt in Kopenhagen, dann werden sie sicher auch über die feste Fehmarnbelt-Querung sprechen. In aller Freundschaft natürlich. Die Sozialdemokratin Thorning-Schmidt dürfte schon deshalb nicht die deutsch-dänische Eintracht infrage stellen, weil Parlamentswahlen bevorstehen. Und doch kann man an den Debatten um dieses Milliarden-Vorhaben sehen, wie unterschiedlich die beiden Länder vorgehen beim Versuch, die Zukunft zu gestalten.

Als öffentlich-private Partnerschaft war das Projekt mal angelegt. Aber dann sprangen Investoren ab, und Dänemark erklärte sich bereit, die 18 Kilometer lange Röhre für Straße und Schienen allein zu bauen. Ein Staatsvertrag legte 2008 fest, dass Deutschland den Tunnel nur noch auf seiner Seite anbinden muss. Seither tüfteln beide Länder an dieser Aufgabe herum, jeder im Rahmen seiner Gesetze.

In dem Vertrag war die Rede von einer Eröffnung 2018. Inzwischen planen die Dänen mit 2021. Und die Deutschen mit 2024. Die Planungsverfahren auf beiden Seiten zu synchronisieren ist offenbar schwieriger, als Schnellzüge am Meeresgrund fahren zu lassen. Während Merkel mit Thorning-Schmidt spricht, wird Verkehrsminister Heunicke im Parlament für das Tunnel-Baugesetz stimmen. Es ist die dritte und letzte Lesung, danach können die Dänen theoretisch losgraben. Sieben von acht Parlamentsfraktionen wollen den Tunnel, nur die rot-grüne Einheitsliste, die einen sozialistischen Hintergrund hat, ist dagegen. Eigentlich gilt: Mit beschlossenem Baugesetz fällt in Dänemark der Startschuss für jedes Großprojekt. Bei der Fehmarnbelt-Querung ist das anders, auch weil man diesmal auf die Deutschen angewiesen ist.

Bürgermeister Jensen träumt von einem Radrennen von Hamburg nach Kopenhagen

"Man stelle sich vor, da kommen elektrische Züge durch den Tunnel und auf der anderen Seite sind keine elektrischen Gleise", sagt Heunicke. Man müsste die Lokomotiven wohl aufwendig umspannen. Die Deutschen wollten daher, "dass wir die Lücke zwischen diesen Zeitplänen schließen". Und eigentlich sei das auch für Dänemark ganz praktisch, räumt der Verkehrsminister ein. Die Dänen verhandeln gerade mit den Baufirmen über deren Preise. Zeit ist dabei ein wichtiger Faktor, denn je schneller es gehen soll, desto teurer wird es.

Seit die Dänen beschlossen haben, den Tunnel allein zu finanzieren, haben sich die veranschlagten Kosten von 5,5 Milliarden auf 7,4 Milliarden Euro erhöht. Die Dänen wollen den Tunnel vor allem über Kredite finanzieren, die eine staatseigene Aktiengesellschaft Femern A/S aufnimmt und für die der Steuerzahler bürgt. Um die Kredite zurückzuzahlen, kassiert die Femern A/S eine Maut. Der geplante Preis liegt bei 65 Euro pro Pkw, je Strecke. Nach 39 Jahren soll der Kredit getilgt sein.

Report: Illustration: Lisa Bucher

Illustration: Lisa Bucher

Das ist eine lange Zeit: 39 Jahre sind nah an der Schmerzgrenze. Die größte Oppositionspartei, die liberale Venstre, steht zwar hinter dem Projekt. Sie hat aber ein Limit gesetzt: 40 Jahre darf die Rückzahlung dauern, nicht länger. Auch deshalb ist der Start für das Projekt auf Herbst verlegt worden.

Bis dahin soll dreierlei geschehen sein: Erstens wollen die Dänen wissen, in welcher Höhe die EU das Projekt fördert. Zweitens möchten sie die Preise der Baufirmen drücken. "Drittens erwarten wir im Herbst einen stabilen und realistischen Zeitplan aus Deutschland", sagt Kristian Pihl Lorentzen, Verkehrs-Fachmann der Venstre.

"Dänische Zeitungen schreiben inzwischen, die Deutschen seien gegen das Projekt." Das mache den Dänen Sorgen. Die Kosten für den Tunnel tun das nicht. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass unsere Infrastrukturprojekte immer innerhalb des Budgets bleiben", sagt er. "Das ist eine ganz andere Situation als in Deutschland."

Bei so viel Tunnel-Optimismus gibt es in Dänemark nicht viele, die das Projekt kritisieren. Einer ist der pensionierte Verkehrsexperte Knud Erik Andersen, früher in leitender Position in der dänischen Verkehrsbehörde. Er hat ein Buch über den Tunnel geschrieben. Seine Hauptsorge:

Es werden viel weniger Menschen durchfahren, als die Betreiber erwarten.

Deren Verkehrsprognosen hält er für unrealistisch, beispielsweise würden sie die Konkurrenz durch den zunehmenden Flugverkehr falsch einschätzen. Und dann will die Fährgesellschaft Scandlines zwischen Rødbyhavn und Puttgarden weiterfahren. "Es gibt keine Chance, dass die Maut so die Kredite abbezahlt", sagt Andersen. Er glaubt auch nicht daran, dass bis September alle offenen Fragen beantwortet sind. "Mein Eindruck: Wir sind jetzt in einer Situation, in der alles wieder offen ist."

Während die Dänen gegen die Großer-Belt-Brücke noch kräftig protestiert haben, scheinen sie dem Fehmarnbelt-Tunnel eine Art Vertrauensvorschuss zu geben. Mit der Brücke ist schließlich auch alles gut gegangen, die Rückzahlung der Kredite läuft, und die Dänen sind inzwischen stolz auf ihr Bauwerk. Der Tunnel nach Deutschland soll mehr Touristen nach Dänemark bringen, mehr Passagiere für den Kopenhagener Flughafen, mehr Handel. Deutschland ist schließlich Dänemarks wichtigster Abnehmer im Exportgeschäft.

Kopenhagens Bürgermeister Frank Jensen träumt schon von einem Radrennen von Hamburg nach Kopenhagen, durch den Tunnel. Vielleicht könne man sich sogar zusammentun, falls Hamburg Olympia 2024 bekommt. Bis 2024 könnte der Tunnel mit viel Optimismus fertig sein.

An den Dänen soll es nicht liegen.

Aber in Deutschland ticken die Uhren anders, das Baurecht hier spüren nun auch die Skandinavier. Die Dänen konnten wie die Deutschen in verschiedenen Projektphasen Fragen stellen und Einwendungen loswerden. Insgesamt 41 Kommentare hat es laut Femern A/S in Dänemark zum Tunnelbau gegeben. Aber das letzte Stück der Röhre, ein paar hundert Meter, liegt auf deutschem Grund. Und die Deutschen legten gleich eine Probe ihrer Streitkultur ab: 3100 Kommentare. Die Betreiber müssen sie beantworten, bevor sie den Tunnel bis zur deutschen Küste verlegen dürfen.

Und nicht nur der Tunnel selbst ist umstritten. 8300 Einwendungen hatte Schleswig-Holsteins Landesregierung aus SPD, Grünen und SSW beim Raumordnungsverfahren zur Anbindung des Hinterlandes abzuarbeiten. Es folgte ein neuer Plan mit einer neuen Bahntrasse von 55 Kilometern an den Ostseebädern Holsteins vorbei. Das wird nicht nur viel teurer als im ersten Entwurf geplant; von 1,5 Milliarden statt 850 Millionen Euro berichtete das Bundesverkehrsministerium dem Bundestag Ende Januar - die Kosten für eine neue Fehmarnsund-Querung kommen noch dazu. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat einräumen müssen, dass der ursprüngliche Zeitplan nach den deutschen Spielregeln zu ehrgeizig war.

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"Tja", sagt Enak Ferlemann, Staatssekretär bei Dobrindt, "das ist der Unterschied im Planungsrecht zwischen Deutschland und Dänemark." Und er mag nicht leugnen, dass er sich manchmal etwas mehr dänischen Sportsgeist in Deutschland wünschte: "Ich halte unser derzeitiges Vorgehen in der Infrastrukturplanung für deutlich optimierbar." Andererseits stehen die Verzögerungen auch für einen lebhaften demokratischen Prozess.

Ferlemann lobt das Verhältnis zu Dänemark jedenfalls als "vorbildhafte, enge Zusammenarbeit auf sehr freundschaftlicher Basis". Deshalb spielt er auch jene Empfehlung des Bundesrechnungshofs herunter, die der Rechnungsprüfungsauschuss zuletzt einstimmig unterstützt hat. Wichtigster Punkt: Der Staatsvertrag gehöre neu verhandelt. "Natürlich gibt es bei dem Projekt im Fortlauf Beratungsbedarf zwischen den Ländern", sagt Ferlemann. Aber man berate ja ständig. Zuletzt trafen sich Heunicke und Dobrindt Ende Februar. Beim Treffen im September soll ein Betriebskonzept vorliegen. "Ganz normal", findet Ferlemann. "Die mediale Aufmerksamkeit, die die Gegner erzeugen, entspricht nicht dem realen Meinungsbild."

Tatsächlich stört wohl die wenigsten der 80 Millionen Deutschen, wenn ein Tourismus-Standort am nördlichen Ende der Republik zur Baustelle wird. Aber in den betroffenen Gebieten Ostholsteins ist der Widerstand lebhaft. Die kleinen Tourismus-Unternehmer befürchten hier, von der großen Wirtschaft aus ihrem Idyll vertrieben zu werden. Bettina Hagedorn (SPD), Bundestagsabgeordnete für Fehmarn, vertritt die Tunnel-Gegner mit Engagement, ebenso der grüne Bundesparlamentarier Konstantin von Notz - gegen ihre Parteien, die in Schleswig-Holstein regieren. Zahlreiche Bürgerinitiativen kämpfen gegen die Verkehrsoffensive. Vor allem das Aktionsbündnis mit Hendrick Kerlen und Christine Albert wird nicht müde.

Kerlen, 76, ein kantiger Mann mit weißen Haaren, trägt einen Anstecker am Pullover, auf dem "Fehmarnbelt-Querung - nein danke!" steht. Manchmal klingt er etwas ungnädig, etwa wenn er das unabhängige Dialogforum "reine Schwatzbude" nennt, obwohl das Forum 2011 auf Initiative der damaligen Landesregierung entstand, um Positionen auszutauschen und Transparenz für die Bürger zu schaffen.

Umweltschützer befürchten Sedimentfahnen und Bodendeponien in Laichgebieten

Aber Kerlen als humorlosen Querulanten abzutun, wäre zu einfach. Er hat als Wirtschafts- und Bauingenieur gearbeitet, war an Projekten wie dem Generalverkehrsplan für Groß-Bangkok beteiligt. Kerlen hat viel erlebt, und er sagt: "Ich weiß, wie man Prognosen gestalten kann. Man muss nur die gewünschten Annahmen treffen, dann kriegen Sie immer das vom Auftraggeber gewünschte Ergebnis." Er schimpft mehr über die dänischen als über die deutschen Projektbetreiber. Er wirft ihnen "wissenschaftliche Augenwischerei" und manipulative Lobby-Arbeit vor. Sein Hauptkritikpunkt: Das Projekt sei unter diversen Gesichtspunkten unverhältnismäßig. "Wir haben eine sozioökonomische Projektevaluierung gefordert", sagt Kerlen, "die hat man hartnäckig abgelehnt."

Es geht auch um Umweltfragen. Die Dänen wollen einen Absenktunnel, keinen Bohrtunnel unter dem Meeresboden. Bagger sollen eine riesige Rinne in den Meeresboden schaufeln, in die gigantische Tunnelteile versenkt werden. Kerlen befürchtet Umweltzerstörungen in weiten Teilen der westlichen Ostsee durch Sedimentfahnen und Bodendeponien in Laichgebieten.

Er sagt: "Wir bereiten eine Klage gegen das dänische Baugesetz vor. Basierend auf unserer Behauptung, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung, die in Dänemark gelaufen ist, gegen die Richtlinie der EU verstößt." Wenn das Bündnis vor dänischen Gerichten verliert, will es vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Dänemark bekommt aus Deutschland mehr Gegenwind als von den eigenen Bürgern. Hendrick Kerlen schimpft: "Die dänische Regierung ist bei dem ganzen Verfahren nach dem Prinzip vorgegangen, wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter."

In Dänemark fanden öffentliche Anhörungen für den Ausbau der Bahnstrecke zum Tunnel im Jahr 2011 statt. Hat sich damals wirklich kein Däne beschwert, dass bald Schnellzüge durch kleine Orte rasen sollen? Ein paar hundert Kommentare habe es gegeben, erinnert sich Bauleiter Klaus Jørgensen von der dänischen Bahn. Die meisten seien positiv gewesen. Die Menschen wollen die schnellere Anbindung an die Hauptstadt und nach Deutschland, denn Lolland ist anders als Fehmarn, dünn besiedelt, wirtschaftlich schlecht entwickelt, touristisch nicht so interessant.

Von Fehmarn aus wirkt der geplante Tunnel unter der Ostsee wie ein Ungeheuer. Auf Lolland dagegen verbinden die Menschen große Hoffnungen mit ihm.

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