Report:Edelfisch statt Edelstahl

Völklingen wollte die Krise seiner Schwerindustrie mit einer verrückten Idee überwinden und verschuldete sich dabei stark. Nun versucht ein Schweizer Unternehmer, die Zucht der Salzwasserfische zu retten.

Von Susanne Höll

Nein, Völklingen ist keine schöne Stadt. Viele Türme, viele Schlote. Seit Jahrhunderten leben die Menschen hier von der Kohle und vom Eisen, solche Regionen sind selten pittoresk. Es gab Blütezeiten, sicher. Aber die Stahlkrise in den 1970er-Jahren zerzauste den Ort gewaltig. Unzählige Jobs gingen verloren. Und das Elend nimmt kein Ende. Bei der Saarstahl-Tochter Saarschmiede muss alsbald die Hälfte der 850 Mitarbeiter gehen. Immer nur Hiobsbotschaften? Nein. Es ist auch von kleinen Wundern zu berichten.

Sie haben zu tun mit der irrwitzigen Geschichte der örtlichen Meeresfischzucht, die der Stadt Millionenverluste und Hohn bescherte. Ortstermin im Industriegebiet. Auf dem Gelände am August-Clüsserath-Weg, wo einst eine Kokerei war, steht eine große dunkle Halle. Vor der Eingangstür liegt ein gutmütiger Golden Retriever. Hinter der Tür steht Peter Zeller. Jeans, dunkles Jackett, sein Haar wellt sich im Nacken. Ein lockerer Typ, Schweizer, 48 Jahre, mit viel Erfahrung in Marketing und Strategieberatung. Nun ist er Fischfarmer, Herr über Hunderttausende Doraden, Wolfsbarsche und Kingfische. Ein Mann, der sich vorgenommen hat, die unheilvolle Geschichte der Zucht zum Guten zu wenden. Ein Retter aus der Ferne, sozusagen.

Retter? Mit solchen Begriffen kann Zeller nichts anfangen. Er hat sich viel mit Ökonomie und Ökologie beschäftigt, auch mit Nachhaltigkeit in der Produktion, beriet die Umweltorganisation Greenpeace in der Schweiz, Recycling-Unternehmen auch. Ein Weltverbesserer aber sei er nicht, auf diese Feststellung legt er großen Wert: "Ich habe eine Familie zu ernähren, mit drei Kindern in der Ausbildung." Kein Guru also, sondern ein Geschäftsmann.

Vor zwei Jahren hat Zeller die Zucht von der Stadt Völklingen übernommen, gemeinsam mit einer Gruppe weiterer Schweizer Investoren. Die Anlage war pleite, stand zum Verkauf, zum Schnäppchenpreis. Außer ihm und seinen Geschäftsfreunden glaubte damals niemand, dass aus der Anlage je etwas werden würde. Über die Vergangenheit spricht der Schweizer nicht so gern. Verständlich. Er war damals nicht dabei. Und die Historie des Projekts ist zudem äußerst blamabel.

Der richtige Vertrieb fehlte: Mitarbeiter verkauften den Fisch aus ihrem Kofferraum heraus

2007 entschloss sich Völklingen, etwas Neues zu versuchen, etwas, das die Welt noch nicht gesehen hat und das der Stadt Auftrieb geben sollte. Salzwasserfische wollte man züchten, in einer Halle, der ersten großen kommerziellen Anlage dieser Art überhaupt. CDU und SPD in der Stadt und im Land waren begeistert. Zwölf Millionen Euro wurden für den Bau veranschlagt, die Stadtwerke wurden Haupteigentümer, das Kommunalgesetz wurde geändert, um dem Versorger ein solches Geschäft zu ermöglichen. Denn Edelfischzucht gehört nirgendwo zu den Aufgaben eines städtischen Versorgers.

Report: Doraden im Pool: Die Zucht in Völklingen klappt, nur mit dem Vertrieb hat es bisher Probleme gegeben.

Doraden im Pool: Die Zucht in Völklingen klappt, nur mit dem Vertrieb hat es bisher Probleme gegeben.

(Foto: oh)

Und damit nahm das Fiasko seinen Lauf. Es gab Streitereien und Verzögerungen, das Geld wurde knapp. Neue Kredite flossen. Die Verantwortlichen der Stadt sagten, alles werde gut. Nichts wurde gut. Zwar wurden im April 2014 die ersten Fische verkauft, aber nur in der näheren Umgebung. Die Planer hatten schlicht vergessen, neben der Halle auch ein Vertriebssystem aufzubauen.

Mitarbeiter der Stadtwerke fuhren mit ihren Autos zur Anlage, luden die Kofferräume voll und versuchten, die Tiere an Mann und Frau zu bringen. Wie überall im Saarland isst man auch in Völklingen gern und gut. Aber eben nicht ständig Edelfisch. Die Stadtwerke standen inzwischen vor dem Ruin, Oberbürgermeister Klaus Lorig (CDU) musste um sein Amt kämpfen. Die Fischzucht, so das allgemeine Urteil, war eine kostspielige Schnapsidee. Völlig gaga. Würde nie und nimmer funktionieren.

Wird sie doch, widerspricht Zeller: "Diese Anlage kann profitabel sein. Es gibt viele Interessenten in der ganzen Welt, die von dieser Anlage lernen wollen." Er sitzt an seinem Laptop im Konferenzraum. Ein langer Holztisch, an dem 20 Leute Platz finden. In einer Ecke stehen giftgrüne Cocktailsessel, an der Wand hängt ein Fischernetz. Vom Computer sendet der Schweizer Bilder und Grafiken auf den Bildschirm an der Stirnwand. So erklärt er Gästen aus aller Welt, Geschäftsleuten, Fischexperten, Wissenschaftlern und Tierschützern, was im Erdgeschoss seiner Halle in vier Salzwasserbecken vor sich geht.

Zusammengefasst lautet das Konzept ungefähr so: Eine ökologisch verantwortbare Produktion wohlschmeckender Edelfische, die zu vergleichsweise klimaschonenden Bedingungen in halb Europa auf die Teller kommen können. So nüchtern drückt er sich nicht aus. Der Mann ist schließlich Marketing-Experte. Vom "catch of the day" ist die Rede, vom "Fang des Tages", von Megatrends im globalen Konsum, bester Qualität zu bestem Preis. Als Firmenlogo hat Peter Zeller die Küstenseeschwalbe gewählt, einen zwischen Nord- und Südpol ziehenden Vogel, der sich stets von feinem Fisch ernährt. "Wir wollen Bilder bei den Konsumenten abrufen. Der Fisch ist frisch, ich weiß, woher er kommt", sagt er.

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Peter Zeller betreibt die Fischzucht in Völklingen.

(Foto: Imago)

Alles klar. Der Mensch, der einen Völklinger Wolfsbarsch oder eine Dorade auf dem Teller hat, daheim oder im Restaurant, spürt Meeresbrisen, sieht vor dem inneren Auge Wellen, Sonne, weiße Strände, hat ein gutes ökologisches Gewissen und ist deshalb bereit, etwas mehr für sein Mahl auszugeben. Die saarländischen Fische sind teurer als die aus Zuchtbetrieben in Griechenland oder in der Türkei. Dafür sind sie auch frischer, werden zudem nicht mit Flugzeugen transportiert. Die CO₂-Bilanz seiner Tiere sei besser als bei anderen Importen, sagt der Schweizer.

Jenseits aller Produktpoesie kann der Schweizer allerdings mit respektablen Zahlen aufwarten. Von 2015 bis 2017 wurden gerade einmal 120 Tonnen Fisch verkauft. 2017 und 2018 sollen es pro Jahr immerhin schon 180 Tonnen sein, bis 2020 sogar 472 Tonnen. Dann wäre die Kapazität der vier Becken ausgeschöpft, man müsste anbauen. Wenn Zeller seine Ziele erreicht, hätte er an der Saar ein Wunder vollbracht. Noch schreibt das Unternehmen rote Zahlen. Bis sie sich schwärzen, soll es aber nur noch Monate, nicht Jahre dauern. Aber gemach, was hat man nicht schon alles in Sachen Fisch versprochen. Der Chef sagt, er könne schon heute viel mehr Fisch verkaufen, als die Becken derzeit hergäben. Er schiebt eine Brille auf die Nase, sucht nach der nächsten Grafik. Ein großer Kreis rund um Völklingen reicht bis London, Paris und Brüssel, ein riesiger Absatzmarkt. Bislang setzt Zellers Fresh Corporation die Fische hauptsächlich in Deutschland, der Schweiz und Luxemburg ab. Wer seine Doraden, Barsche und Kingfische probiert hat, sagt, sie seien fest und köstlich. Die Zucht hat nun das, was lange fehlte: Einen anständigen Vertrieb über Landesgrenzen hinweg.

Ein Anruf bei Greenpeace Deutschland. Die haben strikte Empfehlungen, welche Meerestiere man mit Blick auf Überfischung, Öko-Schweinereien und sonstige Umweltschutzanliegen essen soll. Was ist von einer solchen Anlage wie der in Völklingen zu halten? Einem geschlossenen System, kein Wasser fließt nach außen, keine unliebsamen Dinge dringen in die Becken, kein Eingriff in Ökosysteme, keine Antibiotika, alles gentechnikfrei, zertifiziertes Futter.

Sandra Schöttner, Meeresexpertin der Umweltschutzorganisation, sagt, eine solche Zucht sei im Prinzip besser als die in der offenen See. Aquakulturen in Meeren sieht Greenpeace dagegen ziemlich kritisch. Über die Anlage in Völklingen wollen die Umweltaktivisten kein Urteil fällen, man habe die Halle noch nicht besichtigt. Greenpeace legt Verbrauchern den Kauf von afrikanischem Wels, Karpfen und Hering nahe. Alles andere, also auch Dorade und Wolfsbarsch, seien - mit einigen wenigen Ausnahmen - zu meiden. Ob die saarländischen Exemplare empfehlenswert sind, kann Schöttner nicht sagen. Aber sie hat einen Rat. Wenn im Futter Fischreste und Öle seien, könne das der Natur schaden. Denn auch die Zutaten müssten aus dem Meer gefischt werden.

Also, wie ist es mit dem Futter, Herr Zeller? Er nimmt die Brille ab und sagt, man verzichte, wenn möglich, auf Futter mit Fischanteilen oder behelfe sich ansonsten mit Resten, die etwa bei der Lachsverarbeitung ohnehin anfielen und dann in die Nahrung kämen. Mehr Sorgen als Futterfragen machen ihm die Energieausgaben. Ganz besonders ärgert ihn die EEG-Umlage. Mit dem Geld soll in Deutschland der Ausbau erneuerbarer Stromgewinnung ausgebaut werden. Ausgenommen von der Abgabe sind Unternehmen, die besonders viel Strom verbrauchen. "Das Stahlwerk nebenan ist von der Umlage befreit. Wir müssen zahlen, obwohl wir im CO₂-Schutz sehr viel besser sind", erregt sich Zeller. Er will in dieser Frage in der Berliner Politik vorstellig werden.

Schließlich hat er große Pläne. Wenn er Gewinne macht und der Laden läuft, könnte seine Zucht ein kleiner Exportschlager werden, ein "System-Vorbild", wie Zeller sagt. Solche Anlagen könnten helfen, globale Probleme zu lösen, bei Urbanisierung und Nahrungsmittelversorgung. Die Völklinger Halle ließe sich, so sie profitabel arbeitet, sicher gut verkaufen. Über die fernere Zukunft aber mag Zeller jetzt noch nicht reden, zu viele Wenns, zu viele Abers.

Die Stadtwerke hatten hohe Schulden, allein 20 Millionen Euro aus der Fischzucht

Drei Kilometer weiter, auf der anderen Seite der Saar, sitzt ein anderer Mann, der sich, wenn auch auf ganz andere Weise, mit der schweren Erblast der Fischzucht befassen muss. Und der inzwischen auch Erfolge melden kann. Michael Böddeker ist der mittlerweile nicht mehr ganz so neue Chef der Völklinger Stadtwerke. Er ist ein Zuwanderer wie Zeller, ein zweiter, der von außen kommt, nicht zu den vielen Klüngelkreisen und Freundschaftszirkeln zählt, in denen sich saarländische Politiker und Geschäftsleute mitunter sehr nahe kommen. Der 54-Jährige stammt aus Ostwestfalen, ist Jurist, war Anwalt, ging in die kommunale Energiewirtschaft und sammelte dort Erfahrung mit Betriebssanierungen. Im Herbst 2015 bewarb er sich um den vakanten Geschäftsführerjob bei den in Verruf geratenen Stadtwerken Völklingen. Ihm Wohlgesinnte erkundigten sich seinerzeit, ob er noch bei Sinnen sei.

Report: Der Wolfsbarsch gehört zu den Edelfischen, mit denen Völklingen aus der Krise kommen will.

Der Wolfsbarsch gehört zu den Edelfischen, mit denen Völklingen aus der Krise kommen will.

(Foto: oh)

Schließlich war damals nicht nur die Fischzucht ruiniert, auch die Stadtwerke waren so gut wie insolvent. Der bisherige Chef und Fischzuchtverantwortliche war fristlos gefeuert worden, der Versorger saß auf einem 30-Millionen-Schuldenberg, gut 20 Millionen Euro hatte allein die Zucht verschlungen. Warum, um Himmels willen, tut sich jemand so etwas an? Böddeker lächelt und antwortet: "Ich gebe ungeordneten Dingen gern System. Das macht mir Spaß." So gesehen kann er sich in Völklingen austoben. Denn das Unternehmen lag am Boden, nicht nur finanziell.

"Etwas Besseres kann uns doch allen gar nicht passieren."

Das spürte Böddeker schon beim Vorstellungsgespräch. Er stand vor der Tür an der Hohenzollernstraße und läutete. Die erste Klingel funktionierte nicht, die zweite blieb ungehört. Nur durch Zufall gelangte er ins Haus. Später sagte man ihm, in solchen Fällen ginge man durch die Hintertür. Woher, bitte schön, hätte er, der Fremde, das wissen sollen? Er nahm den Job an. Im neuen Büro stieß er auf Zeichen eigenartigen Geschäftsgebarens. Jahrelang hatte es keine Jahresabschlüsse gegeben, aus der Zeit des Vorgängers tauchten immer neue Kreditschulden auf. Im Haus wussten die einen Beschäftigten nicht, was die anderen taten. Kunden wandten sich ab. Dazu kam die Häme über die Fischzucht, nicht nur im Saarland. Wenn Böddeker irgendwo Kollegen traf, nannten sie ihn "den Fischer von Völklingen".

Ihn kann man mit solchen Spötteleien nicht aus der Ruhe bringen. Die Leute schlossen Wetten ab, wie lange es der Neue aushalten würde. Drei Monate, vielleicht ein Jahr? Zwei Jahre ist Böddeker nun im Amt. Und er würde gern verlängern, vorzeitig, um weitere fünf Jahre. Seine Zwischenbilanz lautet: "Man hat das Unternehmen unabhängig von der Zuchtanlage verkommen lassen. So komisch es klingt: Wäre das Fischdebakel nicht passiert, wären die Stadtwerke nach meiner Sicht spätestens 2019 nicht mehr existent." Siehe da, die Stadt profitierte, wenn auch zu einem hohen Preis, vom Fischdebakel.

Dass er schon Wunder vollbracht hat in den Stadtwerken, würde Böddeker nie behaupten. Aber das Unternehmen kann wieder atmen. Zwar mussten 13 frühere Mitarbeiter gehen, Grundstücke verkauft und Immobilien vermietet werden. Schließlich müssen die Stadtwerke gut drei Millionen Euro pro Jahr einsparen. Der Chef sieht sich und die Mitarbeiter aber auf gutem Weg.

Einen hohen Kredit der Landesbank würde er gern zu niedrigeren Zinsen umschulden. Dann findet sich vielleicht doch wieder eine saarländische Geschäftsbank, die den Werken noch einmal Geld leiht. Sein Vorgänger hatte verbrannte Erde hinterlassen. Mit Lieferanten handelte der Versorger günstigere Bedingungen aus, manche Tarife wurden gesenkt. Der städtische Nahverkehr wurde neu strukturiert, ohne nennenswerte Einbußen beim Service, wie Böddeker sagt. Allein deshalb hat er eine Million Euro mehr pro Jahr in der Kasse.

Die Schulden würden auch bezahlt, verspricht der Chef. Irgendwann will er auch wieder Geld ausschütten an die Stadt. Das habe es jenseits aller Fisch-Experimente nur ein einziges Mal in der Geschichte der Stadtwerke gegeben. Seinen Vorgänger hat der Versorger auf Schadenersatz verklagt, es geht um rund elf Millionen Euro. Darüber müssen Gerichte entscheiden. Das kann Jahre dauern.

Dem Schweizer und dessen Fresh Corporation wünscht Böddeker nur Gutes. Man kennt und schätzt sich: "Herr Zeller ist ein kreativer Kopf, macht seine Arbeit akribisch. Wenn die Zucht den Erfolg hat, den ich ihr wünsche, ist das auch seinem Engagement zu verdanken." Wenn dort wettbewerbsfähig produziert werden könne, wunderbar. "Etwas Besseres kann Völklingen, kann uns allen doch gar nicht passieren", sagt er. Von den Doraden und Wolfsbarschen hat er noch nie gekostet. Und will es auch niemals tun: "Ich ess' gern Fisch. Aber den aus Völklingen kann ich nicht probieren. Das wär' der teuerste Fisch, den ich je in meinem Leben essen würde."

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