Report:Der perfekte Bankraub

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Kreditinstitute wurden auch anderswo schon gerettet. Doch nur in der Ukraine stehen verarmte Steuerzahler am Ende für die Beute gerade, die Gründer von Banken sich selbst und ihren Günstlingen zuschanzten.

Von Cathrin Kahlweit, Kiew

Am Straßenrand im Stadtzentrum von Kiew hängen strahlend weiße Plakate, darauf das Logo der "Privatbank" und ein Slogan: "Für die, die unsere Ukraine lieben!" Niemand kann sagen, ob die Werbung noch aus der Zeit stammt, als der Löwenanteil der Bank dem mächtigen ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojskij aus Dnipro gehörte. Oder ob sie der neue Eigentümer, der Staat, hat aufhängen lassen - zur Beruhigung der Bevölkerung und um zu zeigen, dass Anleger, die ihre Ukraine lieben, bei der Privatbank noch sicher sind.

Grund zur Sorge gab es genug: Schließlich ist die größte Bank des Landes, die fast ein Drittel der Spareinlagen im ganzen Land verwaltet und bei der ein Viertel der Bevölkerung ein Konto hat, kurz vor Weihnachten verstaatlicht worden. Es war die Ruhe nach dem Sturm.

Die Privatbank in Kiew war und ist das, was man systemrelevant nennt; hätte man sie pleitegehen lassen, hätte das unvorhersehbare Folgen für den maroden Staatshaushalt der Ukraine gehabt. Die Verstaatlichung der Privatbank war ein Coup mit Vorwarnung, in epischen Machtkämpfen ausgehandelt zwischen den Besitzern, der Nationalbank NBU sowie dem Internationalen Währungsfonds (IWF).

Ihor Kolomojskij, einer der einflussreichsten Männer des Landes, sei während der Verhandlungen in der Nationalbank ein und aus gegangen, als ginge er in sein Büro, sagt ein Insider, der wie fast alle Gesprächspartner lieber im Dunkeln bleibt, in der Schattenwelt von Kiew. Man habe alles mit ihm abgesprochen, um sicherzugehen, dass er nicht seine Milizen schickt, nicht die Machtfrage stellt, nicht die Regierung stürzt. Zum Schluss garantierte Staatspräsident Petro Poroschenko persönlich alle Einlagen.

"Wir alle zahlen die nächsten 50 Jahre für diese Diebe."

Im Westen werden kranke Banken vom Staat gerettet, in der Ukraine meist geschlossen. 180 Geldinstitute gab es Anfang 2014 dort, heute sind es nur noch 93, weitere Schließungen wegen Insolvenz drohen. Die Nationalbank greift durch, das ist ein Erfolg. Es gibt einfach zu viele Pseudo-Bankhäuser, die eher Geldwaschmaschinen gleichen als seriösen Instituten.

Aber die Rechnung zahlt hier wie dort der Steuerzahler. In dieser Hinsicht ist die Privatbank keine Ausnahme. Die Ex-Eigentümer haben dem Staat einen Berg von 5,5 Milliarden Dollar an faulen Krediten hinterlassen; so viel Geld hat die Bank zuletzt an sogenannte nahestehende Unternehmen ausgegeben. Das ist nur einer von vielen Schocks für den Staatshaushalt. Einzig Hilfe aus dem Westen verhindert den Bankrott; gerade wird über die vierte Tranche des IWF verhandelt, sie wird dringend benötigt in diesem Land, das im Donbass die Kosten eines Krieges gegen Russland schultern muss und bis heute an den Folgen der sozialistischen Mangelwirtschaft leidet: Kaputte Straßen, verrottete Kliniken, niedrige Löhne, winzige Renten, während die Oligarchen mit ihren Geländewagen durch Kiew, wo man vom Krieg wenig sieht und hört, zu ihren schlossartigen Villen am Stadtrand brausen. Da tut es doppelt weh, dass Kontrolleure des Staates der Bank auf die Finger schauten , während die Privatbank ausgeräumt wurde. Und sie ist nur ein Beispiel von vielen .

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(Foto: Gleb Garanich/Reuters)

Schwieriger Alltag in Kiew: Ein Straßenhändler in der Innenstadt wartet auf Kundschaft.

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(Foto: Brendan Hoffman/Getty Images)

Ohne Heizung und Elektrizität leben die Menschen im Februar in Avdiivka, der Frontstadt im Osten der Ukraine.

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(Foto: Gleb Garanich/Reuters)

Mariupol am Asowschen Meer, hier sind im Januar von Raketen 30 Menschen getötet und 83 verletzt worden.

Related party loans heißt das Instrument in der Bankensprache, das zum Betrug geradezu einlädt: Man verleiht Geld an Kreditnehmer, die der Bank wirtschaftlich verbunden sind, die Firmen zahlen ihre Schulden nie zurück oder verschwinden vom Markt, die Kredite sind längst auf Offshorekonten. Fast 95 Prozent der Kredite der Privatbank waren related party loans. Sie dürften verloren sein, denn für die Privatbank gilt: Too big to fail, too big to jail. Die Bank war zu systemrelevant, um sie in die Insolvenz gehen zu lassen, Kolomojskij und seine Partner sind zu gefährlich, um sie ins Gefängnis zu werfen.

Und doch gilt diese Verstaatlichung als Meilenstein der Bankenreform. Und der Umbau des Bankensystems wiederum gilt als eine der wichtigsten Reformen der Nach-Maidan-Zeit, mit der die Selbstbedienungsautomaten einer notorisch korrupten Elite abgebaut werden sollen.

Nur: Wer aber profitiert von der Bankenreform? Skeptiker sagen, Staatsbedienstete machten ihren Schnitt, Oligarchen führten den Staat vor und bereicherten sich auf Kosten der Bürger. "Wir alle zahlen die nächsten 50 Jahre für diese Diebe", sagt Daria Kalenjuk vom Antikorruptions-Aktionsbüro in Kiew. Nicht einmal die Politiker selbst vertrauten ukrainischen Banken. "Man konnte das im vergangenen Herbst sehen, als die politische Elite ihr Vermögen, für jedermann einsehbar, in Online-deklarationen offenlegen musste: Die Leute, die das Bankwesen reformieren lassen und um Vertrauen in unser Finanzsystem werben, stapeln ihr Bargeld daheim oder legen das Geld, das sie abgezweigt haben, in Uhren und Ikonen an."

Francis Malige hingegen, Leiter des Osteuropa- und Kaukasusprogramms der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), mahnt, dass ein politischer Preis gezahlt werden müsse für den Fortschritt: "Früher waren die Banken Pumpen, mit denen Geld direkt an ihre Eigentümer geleitet wurde. Die Nationalbank hat viele Pumpen stillgelegt. Nur war das Geld der Kunden leider fast immer schon weg - und zwar lange vor der Intervention." Man könne Banken nicht auf den Verdacht hin schließen, dass Kredite nicht zurückgezahlt werden. "Das hält nicht vor Gericht." Eine Gratwanderung.

Auch beim IWF in Washington ist man überzeugt, dass es zur Säuberung des Bankensektors keine Alternative gibt. Die Veruntreuung müsse von Gerichten aufgearbeitet werden, was Sache der ukrainischen Judikative sei. In den aktuellen Verhandlungen dringt der IWF auf die Einrichtung spezieller Antikorruptionsgerichte.

In einem mit Stilmöbeln vollgestellten und mit Portieren verhängten Konferenzraum in der Kiewer Nationalbank empfängt deren kämpferische Gouverneurin, Valerija Gontarewa, ausgerüstet mit einem Stapel Papier voller Zahlen und Fakten, die sie dann aber doch alle im Kopf hat. Gontarewa, eine energische Blondine, ist schwer unter Druck: Mächtige Gegner sagen, sie sei selbst korrupt und stecke mit dem Präsidenten unter einer Decke, für den sie früher als Investmentbankerin arbeitete; ihr werden alte Interessenkonflikte vorgeworfen, die in das neue Amt hineinragen. Ermittlungsverfahren sollen anhängig sein, aber von der zuständigen Behörde kam auf SZ-Nachfrage keine Antwort.

Ihor Kolomojskij, mächtiger Oligarch aus Dnipro. (Foto: Reuters)

Sie hält sich, aber die Gerüchte, dass sie gehen muss, verdichten sich. Offiziell stehen die westlichen Partner noch hinter ihr. Gontarewa verkündet, ihre "Mission sei fast vollendet", die schlimmsten Fälle von "Zombie-Banken" seien hoffentlich erledigt. Drei Jahre Frist hatten alle Institute, um ihre Eigenkapitalbasis Schritt für Schritt zu stärken, die Liquidität zu erhöhen und die Portfolios zu säubern. Wer das nicht schaffte, muss dran glauben. Banken seien darunter gewesen, die würden als Meilensteine in die Kriminalistik des Geldraubes eingehen, so Gontarewa. Aber "die Privatbank - die war ein Albtraum". Ihre Verstaatlichung ist eines von vielen Beispielen dafür, wie der Staat an der Nase herumgeführt wird und doch letztlich keine Wahl hat als mitzuspielen. 5,5 Milliarden Dollar sind weg. Minimum. Dabei sind die teils überbewerteten, teils fingierten Sicherheiten noch gar nicht eingerechnet.

Auch westliche Firmen spielten offenbar mit. Wirtschaftsprüfer von Pricewaterhouse Coopers (PwC) nahmen Audits für die Privatbank vor. Aus einer Abteilung der Nationalbank selbst ist zu hören, dass die Prüfung anscheinend mit geschlossenen Augen stattgefunden habe. "Bogus appraisals", sagt ein Fachmann, "Scheinbewertungen". Nun sind andere Prüfer losgeschickt worden, um die Bilanzen zu checken - und PwC im Zweifel zu verklagen.

Ein Experte klagt, auch nach der Stunde null sei Liquidität abgeräumt, Konten seien leergeräumt worden. "Warum wurde das zugelassen?" Ein Mitarbeiter der Nationalbank rechnet vor, noch nach der Ankündigung der Verstaatlichung seien etwa 175 Millionen Euro über Zypern abgezogen worden; Kolomojskij soll noch schnell eine Million in bar abgehoben haben, bevor er in sein Domizil in der Schweiz reiste.

Und immer noch gibt es keine Ruhe an der Privatbankfront. Das Management wird weiter von einem Kolomojskij-Mann geleitet. Dem Management gehören, bis heute, die IT und das Verrechnungssystem, mit dem in der Ukraine 50 Prozent aller Transaktionen im Bankenwesen vorgenommen werden. Wird das stillgelegt, stehen alle Räder still. Ein Druckmittel, um den Staat zu erpressen. Die Privatbank - ein Fortsetzungskrimi?

Erpressung hat viele Gesichter. Im vergangenen Herbst reiste der ukrainische Oligarch und Abgeordnete Sergij Taruta extra nach Washington zu einer IWF-Tagung und verteilte dort eine Broschüre mit dem Titel: "Gontarewa: eine Bedrohung für die ökonomische Sicherheit der Ukraine". Sie habe zahlreiche Bankeneigner entrechtet, so Taruta, und makroökonomisch schwere Fehler gemacht. Gontarewa dazu: "Es gibt im Parlament viele Gruppen, die von der Säuberung des Bankensektors Nachteile haben. Wer finanziert die? Ich habe so meine Vermutungen. Ich diene als Sündenbock für jene, die Regierung oder Präsidenten stürzen wollen."

Ukrainische Medien haben mittlerweile Dutzende Skandale aufgedeckt, die beweisen, dass viele Banken nichts anderes zu tun hatten, als Millionen Privateinlagen oder Staatsgelder zu waschen oder zu stehlen, oft während oder nachdem sie wegen ihres schlechten Abschneidens in den Stresstests von der Nationalbank beaufsichtigt wurden. Man kann das bei Bedarf alles nachlesen. Mindestens so interessant sind die vielen Tricks, mit denen alle anderen in diesem System Geld schneiden und die mehrere Insider auflisten: Wer als Geschäftsbank Refinanzierungsdarlehen von der Nationalbank wolle, besteche die Verantwortlichen. Die wüssten zwar, dass das Geld in der Regel meist ins Ausland abfließe. "Aber sie spielen mit. Schließlich können sie ja nicht alle Banken schließen." Wenn schon ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche laufe, werde der Staatsanwalt bestochen. Es gibt praktisch keine Verurteilungen im Bankensektor in der Ukraine, trotz etwa 3000 laufender Verfahren.

Valerija Gontarewa, Gouverneurin der Nationalbank. (Foto: imago)

Kritik gibt es auch am Einlagensicherungsfonds, der von der Nationalbank unabhängig ist. Viele kranke Banken der Ukraine sind nach Stresstests und nachgewiesener Unterkapitalisierung von der Nationalbank in die Insolvenz geschickt worden. Der staatliche Einlagensicherungsfonds, dem laut Finanzministerium auch die deutsche Bundesregierung 2015 im Rahmen eines Kredits der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat, garantiert Privatanlegern aber ihre Einlagen nur bis etwa 7000 Euro. Firmen, Kleinunternehmer, Händler gehen leer aus.

Viele Menschen haben also viel Geld verloren. Die Mächtigen waren es nicht.

Die Sicherheiten, die vom Einlagensicherungsfonds veräußert werden sollen, stehen mit 16 Milliarden Dollar in den Büchern, ihr realer Wert liegt bei maximal drei Milliarden. Für die Verwertung ist der Fonds zuständig. Beim Verkauf, heißt es, würden die Aktiva oft zu niedrigen Preisen an ausgesuchte Parteien verkauft, samt Kick-back an die staatlichen Dealer. Oder mit dem Schuldner werde verabredet, die Sicherheiten gar nicht zu verwerten.

Neuerdings immerhin stellt der Fonds alle Aktiva, die verkauft werden sollen, in das Onlineprogramm für staatliche Ausschreibungen, ProZorro, ein. Zu massiv war die Kritik gewesen, dass die Regierung den Fonds als Ladentheke für Filetstücke nutzte: Von den wertvollen Sicherheiten, die der Fonds aus der Verwertung der gefledderten Banken im Angebot hatte, wählten sich, das bestätigen Insider der Süddeutschen Zeitung, die Lager der Mächtigen (Präsident Petro Poroschenko, Ex-Premier Arsenij Jazenjuk) die besten Angebote aus. Auch wenn das System transparent sein soll: Absprachen funktionieren auch bei ProZorro.

Eine problematische Rolle spielen zudem die Staatsbanken. Sie haben einen Marktanteil von 50 Prozent und werden aus Staatsmitteln regelmäßig rekapitalisiert. Gontarewa räumt ein, NBU und Finanzministerium müssten "eine transparente Strategie entwickeln". Insider sprechen davon, dass auch die Staatsbanken wie Gelddruckmaschinen funktionierten. Jede Bank gehöre zu einer politischen Gruppe. Das Motto: "Napolnit' bassejn", das Becken füllen.

Die Bankenreform in der Ukraine war unumgänglich, das bestreiten selbst Kritiker nicht. Lob bekommt das Team um Gontarewa vor allem dafür, dass die Eigentumsverhältnisse in den Banken offengelegt werden müssen. Und dass es inzwischen die Banken selbst sind, die beweisen müssen, dass sie nicht mit den Empfängern ihrer Kredite wirtschaftlich verbunden sind. Das soll die related party loans einschränken. Zudem ist nach längeren Wirren der freie Fall der Währung gestoppt worden, und das Wachstum hat wieder angezogen, zuletzt auf 4,5 Prozent. Maßgeblichen Druck üben die westlichen Partner aus. IWF, Weltbank, EBRD stellten Ultimaten, schicken Aufseher in Aufsichtsräte, fordern Gesetze, kontrollieren die Kontrolleure. Anderswo ist der IWF verhasst, vielen Ukrainern gilt er als Rettung. Es gebe keine weiteren lebenswichtigen Kredite vom IWF, heißt es aus Washington, wenn der Bankensektor nicht aufgeräumt werde. Aber es heißt auch: Die politische Lage sei sehr instabil. Man dürfe den Druck im Kessel nicht zu sehr erhöhen, sonst explodiere er. Francis Malige von der EBRD beschreibt das Dilemma plastisch: "In einer schweren Wirtschaftskrise stoppt man erst das Blut und kümmert sich dann um das Fieber."

Eine große Hürde steht bevor. Im Wahljahr 2019 muss die Ukraine 7,5 Milliarden Dollar internationale Kredite zurückzahlen. Gontarewa ist bedingt optimistisch. Sie sagt, das Bankensystem sei in einer "Metamorphose". Man wolle ausländische Investoren anziehen, möglichst viele Assets verkaufen, gestohlenes Geld zurückholen. Dazu aber brauche es einen funktionierenden Rechtsstaat. Doch wer in der Ukraine vor Gericht ziehe, so Gontarewa, der kaufe "ein Ticket für den Krieg".

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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