C&A:Der Abschied vom Familienunternehmen C&A rückt näher

C&A - Filiale in Düsseldorf

Weltweit hat C&A 200 Filialen.

(Foto: dpa)

Seit über 175 Jahren gehört die Modekette einem Familien-Clan. Nun könnte mit Investoren aus China das Ende der Tradition kommen. Zu Besuch im Dorf, in dem der Weltkonzern entstand.

Von Michael Kläsgen

Egal, wen man spricht in Mettingen, sie sind alle gespannt, wie es weitergeht. Ob C&A tatsächlich nach China verkauft wird? Die Friedhofsgärtnerin, der Kämmerer, der Mann vom Heimatverein und die Gästeführerin, sie alle kennen die Spiegel-Meldung, in der es vor zwei Wochen hieß, der Verkauf der Textilkette stehe unmittelbar bevor. Natürlich würde sie gern mehr wissen, sagt die Frau in der Gärtnerei und zuckt mit den Schultern. Gegenüber ihrem Blumenladen auf der anderen Straßenseite stehen mehrere Villen der C&A-Erben, das "Grünhaus", das "Gelbhaus", der Marienhof und weitere. Chinesen werden da ja wohl nicht gleich einziehen, so viel ist klar. Aber trotzdem: Unter Freunden könnte man so etwas ansprechen. Mit den C&A-Erben läuft das aber anders.

Ihren Humor lassen sich die Mettinger dadurch nicht nehmen. C&A müsse bald in "China und Asien" umgetauft werden, flachst die Frau. Das sei so ein Wortspiel, das im Ort kursiere. Es zeigt auch, wie wenig sie sich in der Kleinstadt sorgen um die etwa 2000 Brenninkmeijers. Deren Vermögen wird auf 22 Milliarden Euro geschätzt. Der Clan ist in der Welt verstreut, kein Mitglied wohnt hier, und doch hat kaum eine Familie Mettingen so stark geprägt. Dabei hat der 12 000-Einwohner-Ort einige bekannte Unternehmer hervorgebracht.

Meist waren es Textilhändler wie sie: die Hettlages, Boeckers oder Stockmanns zum Beispiel. Wer sich umschaut, stößt jedoch vor allem auf den Namen der C&A-Nachfahren. Auf den Friedhöfen, am Ortseingang im Süden, wo das Stammhaus der Familie steht, und im Norden. Da residiert, hinter hohen Gittern, die Draiflessen Collection, ein modernes, von der Familie gestiftetes Museum, das in puncto Architektur jede Großstadt zieren würde. Auf dem Areal nähten früher Schneiderinnen die C&A-Herrenbekleidung. Im Keller des Museums verwahrt der Clan heute das Familienarchiv. Der ältere Herr vom Heimatverein frotzelt, es sei hier so sicher wie in einem Atombunker.

Dabei gründeten die Brüder Clemens und August das Unternehmen mit ihren Initialen C&A 1841 im fast 200 Kilometer entfernten Sneek in den Niederlanden. Dennoch zieht es die Erben wie magisch nach Mettingen. Einige wollen hier auch begraben werden, egal, ob sie in der Schweiz, den Niederlanden oder sonst wo in der Welt leben. Mettingen, 20 Kilometer westlich von Osnabrück, ist das Symbol für ihr Traditionsbewusstsein, ihre Bodenständigkeit und ihren Zusammenhalt. Zerbricht diese Einheit, wenn fremde Investoren demnächst vielleicht Veränderungen einfordern?

Ein kostenfixierter Sanierer aus dem Lebensmittelhandel

In den fast 400 Jahren ihrer beurkundeten Familiengeschichte haben die Brenninkmeijers Krisen immer allein bewältigt. Darin unterscheiden sie sich von den allermeisten anderen Unternehmerfamilien. Viele davon sind gescheitert. Vergleichen lässt sich der C&A-Clan noch am ehesten mit den Haniels oder der Siemens-Familie. Auch die blicken auf eine lange Historie zurück. Die Brenninkmeijers zeichnet aber aus, dass sie seit dem Dreißigjährigen Krieg im Prinzip das Gleiche tun: Sie verkaufen Kleidung. Noch immer gehört ihnen die weltumspannende Billigkette mit allen 2000 Filialen - von Brasilien bis China - zu 100 Prozent, auch das ist ungewöhnlich. Zudem kontrolliert die Familie seither das Management oder stellt es selber, das gilt auch für die familieneigene Immobilien- und die Beteiligungsgesellschaft. Wer aus der Familie nach ganz oben will, muss praktizierender Katholik sein, einen holländischen Pass haben und seinen Nachnamen mit "ij" schreiben. So lauten die ungeschriebenen Regeln. Die Verbundenheit mit der Mettinger Scholle kommt noch hinzu. Müsste C&A tatsächlich verkauft werden, es wäre eine Zäsur.

Der erste Einschnitt sei doch schon mit dem Rewe-Mann gekommen, wirft die Gärtnerin zu Recht ein. Seit vergangenem Sommer ist der frühere Chef der Rewe Group, Alain Caparros, Europa-Chef von C&A. Der Deutschfranzose besetzt als erster Nicht-Brenninkmeijer diesen Posten. Manager aus dem Lebensmittelhandel gelten als besonders kostenfixierte Sanierer. Sie räumen derzeit auch bei den Warenhäusern Kaufhof und Karstadt auf. Irgend etwas wird also wohl passieren. Nur was? Verabschiedet sich die Familie bald ganz aus dem Management?

Dementiert hat sie die Meldung nicht, bestätigt allerdings ebenso wenig. Über ihre Schweizer Holding verschickte sie nur eine knappe Mitteilung. Den wenigen Zeilen war zu entnehmen, dass der Clan auf Investorensuche ist, auch in China. Ob die Kette wirklich vor dem Aus steht, darüber lässt sich nur spekulieren. Die Familie gibt keine Geschäftszahlen bekannt. Auf der anderen Seite weiß man, wie schlecht es selbst H&M geht - und wie gut Konkurrenten wie Primark und Zara oder Discountern wie Aldi und Lidl. Sie bieten Klamotten noch günstiger als C&A an.

Ein Familien-Clan schottet sich ab

Mit ihrer Verschwiegenheit scheint sich die Familie derzeit nicht unbedingt einen Gefallen zu tun. Sie wirkt wie Hilflosigkeit, was Spekulationen beflügelt. Solange die Geschäfte liefen, interessierten sich nur wenige für die Familie, das schützte sie auch. Wahrscheinlich ist extreme Diskretion auch ein Grund, warum der Clan alle Krisen und Katastrophen überstand, vom Dreißigjährigen Krieg bis zur Enteignung in Ostdeutschland. Die Abschottung schweißte sie im Inneren zusammen.

Befördert wurde dieses Verhalten auch durch die Unitas-Regeln, die der Clan sich gab und die das Zusammenleben bestimmen. Mark Spoerer, Wirtschaftshistoriker an der Universität Regensburg, hat sie aufgelistet in einem Buch, das die Familie in Auftrag gab und das auch ihre unglückliche Rolle im Dritten Reich beleuchtet. Sie selber sieht sich zwar als Opfer der NS-Zeit, leistete aber Schutzgeldzahlungen an Reichsmarschall Hermann Göring und die NSDAP, bereicherte sich im Zuge der "Arisierung" und beschäftigte Zwangsarbeiter.

C&A: Das Stammhaus der Familie, der Brenninckhof in Mettingen. Inzwischen lebt kein Mitglied der weitverzweigten Familie mehr in dem Ort in Nordrhein-Westfalen – und doch sind die Brenninkmeijers hier noch überall präsent.

Das Stammhaus der Familie, der Brenninckhof in Mettingen. Inzwischen lebt kein Mitglied der weitverzweigten Familie mehr in dem Ort in Nordrhein-Westfalen – und doch sind die Brenninkmeijers hier noch überall präsent.

(Foto: imago)

Unitas-Regel Nummer sechs lautet: "Vertraue nicht zu viel, kontrolliere daher ständig." Offenbar gilt das auch fürs Private. Von mindestens ebenso großer Bedeutung für den Fortbestand des Clans ist das Gebot, erworbenes Kapital in die Firma zu reinvestieren. Teilhaber müssen zudem mit 55 Jahren ihre stimmberechtigten Anteile verkaufen und der nächsten Generation Platz machen. Rekrutiert wird nur, wer sich gemäß der familieninternen Regeln Meriten erworben hat. Bis vor Kurzem galt noch Regel Nummer neun: "Handelssache ist Männersache!". Inzwischen sitzt eine Frau in der Holding.

Viel weiter hat sich der Clan nicht geöffnet. Selbst Geschäftsleute von Modefirmen, die mit ihm in Kontakt stehen, wissen kaum etwas. Den Mettingern geht es nicht anders. Der Kämmerer sagt mehrmals den Satz: "Ach, wissen Sie, was erfunden und was Wahrheit ist, wer weiß das schon?" So kommt es einem vor, als wäre die Familie zwar allgegenwärtig in Mettingen, den Bewohnern aber fremd. Selbst die Gästeführer haben keinen Zugang zum Stammhaus der C&A-Gründer. Keiner kenne die Brenninkmeijers wirklich, meint die Gärtnerin. Ihre Mutter habe noch mit manchen von ihnen gespielt. Freundschaften hätten sich aber nie ergeben. Ihr Vater sei sogar einer ihrer Gärtner gewesen. Aber erzählen durfte er nichts.

Großes Sicherheitsaufgebot im kleinen Ort

Weil kein Brenninkmeijer im Ort wohnt, ist es schwierig, feste Bande zu knüpfen. Einzelne Familienmitglieder kommen immer nur zu Besuch. Die Mettinger sind ihre Hausdamen, Dienstboten oder Handwerker. Als Arbeitgeber kann die Familie einen gewissen Einfluss geltend machen. Keiner lässt daher etwas auf sie kommen. Außerdem gibt es gute Gründe für ihre Zurückgezogenheit. "Die haben Angst vor Entführungen. Von denen würde niemand einen Tisch unter seinem richtigen Namen bestellen oder einen Termin beim Friseur machen", sagt eine Gastwirtin.

Der Mann vom Heimatverein hat einigen jugendlichen Brenninkmeijers im Dezember die Tür zum sogenannten Heuerhaus aufgeschlossen. Wenn Familienmitglieder in der Stadt sind, sei das Sicherheitsaufgebot recht groß, sagt er. Aber Persönliches will oder kann auch er nicht erzählen. Er schließt die Tür zu dem Haus noch einmal auf, an dem vor mehr als 400 Jahren alles anfing. Man muss sich leicht bücken, um in das kleine Fachwerkhaus zu kommen. Es riecht nach Kamin. Der Bau stammt aus dem 17. Jahrhundert und dient dem Heimatverein als Treffpunkt. Drinnen hängen viele historische Skizzen und Fotos von Mettingen an den Wänden. Ein Tisch füllt den Raum, ringsum stehen ein Dutzend Stühle. Gelegentlich sollen sich auch mal Brenninkmeijers hier aufhalten.

Die Familie hat hier aber nie gelebt. In dem Haus kamen die Landarbeiter unter, die bei den Brenninkmeijers anheuerten und deswegen Heuerlinge hießen: zwei Familien mit Kindern, Kühen und Schweinen unter einem Dach. In einen Balken ist das Wort Kuhstall geritzt, und man fragt sich, wie dort auch nur eine Kuh Platz gehabt haben soll.

Die C&A-Gründer wohnten auf der anderen Straßenseite, im Brenninckhof. Ihr Name schrieb sich damals noch mit "y", "ck" oder "g". Der Hof ist heute weitflächig umzäunt und für Fremde unzugänglich. Aus Nostalgie kaufte ihn der Clan vor wenigen Jahren von der RAG zurück. Der Essener Konzern ist für den Bergbau im Land verantwortlich und damit auch für den Nordschacht in der Nähe des Hofes. Mettingen ist nicht nur die Heimat von Textilfabrikanten, sondern auch Steinkohlerevier, mit allem, was dazugehört, darunter Bergschäden. Auch der Brenninckhof soll leicht abgesackt sein, weil unter ihm Kohle abgebaut wurde. Er ist zwar inzwischen renoviert, wird aber nicht bewohnt.

Von Bauern zu Wanderhändlern

Dieses Jahr schließt die letzte Zeche. Eine schlechte Nachricht für Mettingen, sollte man meinen. Aber der Kämmerer wirkt entspannt. Er spricht viel von der Konditorei Coppenrath und Wiese. Sie beschäftigt fast 2000 Menschen im Ort und trägt damit zu einer der niedrigsten Arbeitslosenquoten in Nordrhein-Westfalen bei. So geht zwar eine 500 Jahre alte Bergbau-Tradition zu Ende, aber kaum einer merkt es - ungewöhnlich für das Bundesland. Für die Brenninkmeijers könnte die Stilllegung sogar eine gute Nachricht sein. Nach dem Ende des Bergbaus wird der Hof vielleicht wieder bewohnbar.

Seit dem Dreißigjährigen Krieg hatten sie ihn als Bauern bewirtschaftet. Sie standen zwar nicht auf der untersten sozialen Stufe wie ihre Landarbeiter, arm waren sie trotzdem. Ihr Leben verdienten sie sich als Torfstecher und Grasschneider in den 60 Kilometer entfernten Niederlanden. Die Stadtführerin erzählt, dass ihre holländischen Arbeitgeber auf ihre Kleidung aufmerksam wurden. Sie bestand aus selbstgewebtem Leinen. Der Stoff erwies sich als strapazierfähig und angenehm zu tragen. Davon wollten die Niederländer gern etwas haben.

Die Brenninkmeijers machten ein Geschäft daraus. Sie wurden zu Wanderhändlern, die Leinen verkauften. Den Flachs bauten sie auf ihren Feldern an. Die Webstühle standen in ihren Häusern. Auch die Hettlages, Boeckers und Lampes stiegen in den Handel ein und gründeten später Kaufhäuser. Man nannte sie "Hollandgänger", weil sie nach Westen zogen. Stockmann schlug den Weg gen Norden ein, nach Helsinki. Das größte Warenhaus Finnlands trägt noch heute seinen Namen.

Mettingen muss sich wohl an die Chinesen gewöhnen

Die umherziehenden Händler redeten Humpisch, eine Geheimsprache, und man erahnt, wie sehr die Brenninkmeijers die Heimlichtuerei seit damals verinnerlicht haben müssen. Die Kaufleute, an ihrem Zylinder erkennbar, nannten sich Tüötten, und niemand weiß bis heute genau, woher das Wort stammt. Auch Draiflessen ist Humpisch und bedeutet "Leinenhandel". Die Tüötten gaben sich untereinander in der Geheimsprache Tipps, welche Route am besten einzuschlagen sei, um Zoll und Wegelagerer zu umgehen. Sie grenzten sich damit zudem von den Kiepenkerlen ab, die ebenfalls hausieren gingen und Lebensmittel verkauften.

Die neue Kaufmannsschicht war eine eingeschworene Gemeinschaft, sie hielt zusammen und heiratete untereinander. Das bezeugen noch heute im Tüötten-Museum die auf Glasfenster gemalten Stammbäume. Das zeigen auch die Inschriften auf den Grabsteinen auf dem Alten und Neuen Friedhof. Brenninkmeijers heirateten Boeckers und Hettlages. Doch während deren Namen fast nur auf dem Alten Friedhof an der Reha-Klinik zu finden sind, ist der Name Brenninkmeijer auch auf dem Neuen Friedhof oben auf dem Berg präsent. Wirtschaftshistoriker Spoerer sagt, die Familie habe es geschafft, nie dem "Buddenbrooks-Syndrom" zu erliegen. Demnach baut die erste Generation auf, die zweite verwaltet, "und die dritte studiert Kunstgeschichte".

Die Regeln des Clans sind zwar streng, haben sich aber bewährt, bis heute. Auch wenn die Familie dadurch in ihrer eigenen Welt lebt, wie die Gärtnerin findet. Soll es damit jetzt zu Ende sein? Keiner in Mettingen kann sich vorstellen, dass demnächst Chinesen am Tisch im Heuerhaus sitzen oder in der Holding in der Schweiz. Aber irgendwas wird wohl passieren. Oder?

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