Renault:Pariser Machtstreben

Renault 4, 1961

In den Sechzigern, zu Zeiten des R4, war Renault noch echt französisch. Heute will die Regierung den Einfluss des japanischen Partners Nissan eindämmen.

(Foto: dpa)

Die französische Regierung erzwingt mehr Einfluss bei Renault. Der Chef erleidet eine schwere Niederlage.

Von Leo Klimm, Paris

Kurz vor dem Ende der Hauptversammlung kommt der ganz bittere Moment für Carlos Ghosn. Der Renault-Chef muss den Aktionären seine Niederlage verkünden. "Antrag Nummer zwölf ist abgelehnt, da er zwei Drittel der Stimmen benötigte." Der geschäftsmäßige Ton kann nicht verhehlen, dass Ghosn - zugleich Herrscher über Renault und über den japanischen Partnerkonzern Nissan - gerade ein absehbares, aber dennoch schweres Debakel erlitten hat. Der von ihm unterstützte Antrag, mit dem er den Einfluss des französischen Staates bei Renault eindämmen wollte, hat die nötige Stimmenzahl verfehlt.

Ghosn bringt die Versammlung, zu der sich die Aktionäre des Autokonzerns im Untergeschoss des Louvre versammelt haben, schnell zu Ende. In der ersten Reihe beglückwünschen sich unterdessen die Vertreter des Großaktionärs Staat zur Erfüllung ihrer Mission. Sie haben den Machtkampf mit Ghosn gewonnen.

Das Aktionärstreffen vom Donnerstag ist vorläufiger Höhepunkt einer Konfrontation, auf die es Ghosn bewusst hat ankommen lassen. Über Wochen wurde die Kabale ausgetragen, erst im Verborgenen, dann öffentlich. Es wurde getäuscht, getrickst, geheuchelt. Dann fand der 61-jährige Ghosn, eine Legende in der Branche, in Frankreichs 37-jährigem Wirtschaftsminister Emmanuel Macron seinen Meister.

Ghosn hatte die Staatsmacht herausgefordert. Per Antrag wollten er und die meisten Renault-Verwaltungsräte die Anwendung eines neuen Gesetzes der sozialistischen Regierung verhindern. Das sieht vor, in Firmen künftig jenen Aktionären doppeltes Stimmengewicht einzuräumen, die ihre Anteile mindestens zwei Jahre lang halten, außer, die Hauptversammlung entscheidet sich ausdrücklich dagegen. "Wenn man ein langfristig engagierter Aktionär ist, ist es doch normal, dass man nicht genauso behandelt wird wie ein Spekulant", rechtfertigt Macron die neue Zwei-Klassen-Gesellschaft bei Frankreichs börsennotierten Unternehmen.

Das Gesetz hat nicht nur bei Renault für Ärger gesorgt. Doch bei keinem anderen Unternehmen - erst recht nicht bei solchen mit Staatsbeteiligung - hat das Management so offen dagegen rebelliert. Auch Profi-Investoren wie der Fonds PhiTrust werfen Minister Macron vor, die Anleger über die echten Motive der Regierung zu täuschen. "In Wahrheit bevorzugt das neue Gesetz Investoren, die ein Unternehmen beherrschen wollen, ohne die dafür übliche Prämie zu zahlen", echauffiert sich ein PhiTrust-Manager auf der Renault-Versammlung. Tatsächlich begünstigt sich der Staat vor allem selbst: Macron hat angekündigt, zur Haushaltssanierung Anteile an verschiedenen Firmen zu verkaufen. Dank des doppelten Stimmrechts kann er das nun tun, ohne dabei an Einfluss in den Unternehmen einzubüßen. Im Stillen räumen Vertreter des Staates ein, dass es bei Renault darum geht, sich ausreichend Macht zu sichern, um eine Verschiebung der Gewichte zugunsten des japanischen Partners Nissan zu verhindern.

Nissan habe gewarnt, dass das doppelte Stimmrecht "das Bündnis durcheinanderbringt"

Denn Ghosn - seit 1999 Chef bei Nissan und seit 2005 auch Lenker bei Renault - ist dabei, elementare Funktionen beider Konzerne zu fusionieren. Forschung und Einkauf werden nun von Nissan-Managern gesteuert. So haben sich die Verhältnisse in der Allianz binnen 15 Jahren umgekehrt: Hatten die Franzosen die Japaner 1999 durch ihren Einstieg vor der Pleite gerettet, verdanken sie heute gut die Hälfte ihres Gewinns allein der Beteiligung an Nissan. Die Besitzverhältnisse aber sind unverändert: Renault hält 44 Prozent an Nissan, während die Japaner nur 15 Prozent von Renault haben - und keine Stimmrechte. Das soll verhindern, dass sich Nissan indirekt selbst kontrolliert.

Als Ghosn von einem Aktionär nach der Konfrontation mit Macron gefragt, schickt er lieber einen Verwaltungsrat vor. Auch Daimler, mit drei Prozent an Renault beteiligt, erklärt der Aufseher dann, habe "Besorgnis" über das Pariser Machtstreben geäußert. Auch Nissan habe Renault gewarnt, dass das doppelte Stimmrecht das Bündnis durcheinanderbringe. Aber Nissan, das ist Ghosn. Wer Nissan benachteiligt, der greift Ghosn an.

Der aber beschränkt sich an diesem Tag darauf, geradezu penetrant die Bedeutung zu betonen, die Nissan für Renault hat. Und er beteuert: "Die Debatten sind sehr gesittet abgelaufen." Ghosn weiß, diesen Kampf hat er verloren. Wochenlang, heißt es in Macrons Umfeld, habe der Minister versucht, einen Kompromiss auszuloten, um Ghosn von seinen Attacken auf das Gesetz abzubringen. Doch Carlos Ghosn lehnte ab.

Da besann sich Macron auf seinen früheren Beruf als Investmentbanker und griff kurzerhand zu genau jenen Methoden spekulativer Investoren, die das umstrittene Gesetz angeblich bekämpfen soll: Anfang April beauftragte der Minister die Deutsche Bank, über ein verdecktes Optionsgeschäft den Staatsanteil hochzuschrauben mit dem alleinigen Zweck, Ghosn beim Aktionärstreffen niederzustimmen. Nun, da das Ziel erreicht und das doppelte Stimmengewicht gesichert ist, will Macron den Staatsanteil wieder auf die ursprünglichen 15 Prozent senken.

Carlos Ghosn sitzt auf der Bühne im Louvre-Keller und lässt sich nichts anmerken. Auch nicht, als seine Renault-Jahresbezüge von 7,2 Millionen Euro - zu denen weitere 7,6 Millionen Euro von Nissan kommen - nur mit geringer Zustimmung gebilligt werden. Eigentlich kann Ghosn sich sogar freuen: Die Aktionäre stimmen mit großer Mehrheit für eine Änderung einer Altersregel, dank der er bis zum Jahr 2022 Renault-Chef bleiben könnte. Zeit genug, um Rache zu üben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: