Renate Künast im Gespräch:"Beipackzettel für Geldanlagen"

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast über neue Regeln für die Finanzmärkte, das Versagen von Regierungen und den Schutz von Anlegern.

Michael Bauchmüller

Als die Bundesregierung im Eiltempo ihr Rettungspaket durchzog, waren viele Grüne dagegen. Der Bund habe sich zu wenig Einfluss auf die Banken gesichert, sagt Fraktionschefin Renate Künast. Auch kümmere er sich zu wenig um den Schutz der Anleger. Deutlicher als bisher müssten Risiken von Anlagen offengelegt werden.

Renate Künast im Gespräch: Renate Künast, Fraktionschefin der Grünen, hat kein Aktiendepot.

Renate Künast, Fraktionschefin der Grünen, hat kein Aktiendepot.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Frau Künast, haben Sie heute eigentlich schon in Ihr Depot geschaut?

Renate Künast: Ich hab keins, da bin ich ganz konservativ.

SZ: Und wie fühlt sich so eine Finanzkrise an, ganz von außen betrachtet?

Künast: Man schaut fassungslos zu. Es ist ein Irrsinn, wie hier Menschen und die Öffentlichkeit über den Tisch gezogen wurden.

SZ: Die Bundesregierung hat vergangene Woche schnell und drastisch reagiert, die Grünen wollten sich aber nicht dahinterstellen. Warum?

Künast: Gegen eine schnelle Lösung hatten wir nichts, wir haben sie auch nirgends verzögert. Aber dieses Finanzmarktpaket atmet den Geist der Autoren: schnell gestrickt, viele Banker beteiligt, aber keine Finanzfachleute, die Verbraucherinteressen vertreten haben. Dabei müssen wir den Verbraucher viel mehr schützen. Es braucht mehr Transparenz, mehr Informationen über Risiken, eine Art Beipackzettel für Geldanlagen. Da hätte bei Lehman Brothers draufstehen müssen: Risiko 100 Prozent Verlust.

SZ: Der arme Verbraucher war aber manchmal auch ganz schön gierig.

Künast: Unabhängig davon, ob er gierig ist, informiert genug, intelligent genug: Es ist Aufgabe des Staates, den Verbraucher zu schützen und für eine transparente und faire Rahmensetzung zu sorgen. Und sei es, den Verbraucher vor sich selbst zu schützen.

SZ: Wie hätten die Grünen denn das Finanzpaket geschnürt?

Künast: Einmal hätte man sich aktiv an den Banken beteiligen müssen. Steuergelder nur gegen Mitsprache. Man hätte klar definieren müssen, welchen Einfluss man im Unternehmen hat, bei welcher Höhe man die Gehälter deckelt. Und man hätte angesichts des Tempos und der ungeheuren Summe eine Sperre einbauen müssen. Da hätte dann etwa der Haushaltsausschuss nur Teilsummen freigegeben, für den Fall, dass man irgendwann schlauer ist als heute.

SZ: Hätte der Bund sich gleich bei den Banken beteiligen sollen, statt ihnen selbst die Wahl zu lassen?

Künast: Das ist nicht der entscheidende Punkt. Es geht eher um die staatsbürgerliche Pflicht, etwa von Herrn Ackermann. Man kann nicht erst den Finanzminister auf den Plan rufen und dann sagen, wir brauchen die Hilfe nicht, nur um den eigenen Aktienkurs zu verbessern. Eigentum verpflichtet. Das sollten auch Bankvorstände beachten.

SZ: Und der Staat schaut ihnen dabei künftig auf die Finger.

Künast: Wo Geld fließt, muss sich der Staat auch internen Einfluss sichern. Man kann nicht nur per Verordnung darum bitten, dass Banken nachhaltig wirtschaften. Der Staat braucht zudem eine richtige Aufsicht, die Bundesaufsicht für Finanzdienstleistungen muss in Zukunft auch die Interessen der Verbraucher verfolgen. Natürlich muss man überlegen, wie stellt man Hedgefonds unter strengere Aufsicht, wie geht man mit der Managerhaftung um. Und es wird Zeit für eine internationale Börsenumsatzsteuer.

SZ: Im Umkehrschluss: Die Institutionen haben auf ganzer Linie versagt.

Künast: Es wäre falsch, das nur den öffentlichen Institutionen in die Schuhe zu schieben. Es gehören auch Akteure dazu, und es gehört eine Marktwirtschaft dazu, die nicht auf das Wirtschaften des 21. Jahrhunderts eingestellt war.

SZ: Das sind aber nicht nur Probleme der nationalen Ebene.

Künast: Zweifellos. Allerdings sehe ich nicht, dass auf internationaler Ebene genug passiert.

SZ: Wieso? Selten haben sich Finanzminister, Staats- und Regierungschefs so oft getroffen wie in diesen Wochen.

Künast: Meine Sorge ist, dass da nur Potemkinsche Dörfer aufgebaut werden. Die machen einen Gipfel nach dem anderen, nur passiert am Ende nichts. Da werden Aktivitäten vorgeschützt. Man muss jetzt auch mal Beschlüsse fassen. Eine Börsenumsatzsteuer können wir nicht allein einführen. Wir brauchen eine internationalisierte Finanzaufsicht, mindestens auf europäischer Ebene. Die muss personell gut ausgestattet sein und nicht nur die Banken an sich prüfen, sondern auch den Verbraucher schützen. Und wir brauchen eine schwarze Liste für Steuerparadiese, die auch wirkt.

SZ: Es gibt doch schon eine?

Künast: Stimmt. Aber wenn man schon eine schwarze Liste führt, muss man auch über Sanktionen reden. "Du du" rufen reicht nicht. Da werden doch Milliarden an Geldern von den Ländern aufgesaugt und den Bevölkerungen und öffentlichen Haushalten entzogen. Wir müssen auch Konsequenzen ziehen, bis hin zu Handelssanktionen.

SZ: Dazu müsste aber die EU wissen, was sie will.

Künast: Ja, das wird nicht so einfach. Die Iren und die Österreicher haben sich da gut eingerichtet. Aber diesen Kampf muss die EU führen. Nur wenn Europa das hinkriegt, wird es am Ende international gute Regeln geben. Übrigens gilt das für die Regulierung der Finanzmärkte insgesamt.

SZ: Ist das nicht eine Nummer zu groß für die EU?

Künast: Nein, auf keinen Fall. Das ist ein notwendiger Zwischenschritt. Die kleinen Finanzparadiese dieser Welt kriegen wir auf internationalen Finanzgipfeln nur ins Boot, wenn einer den Anfang macht. Und das kann im Augenblick nur Europa sein.

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