Reklamationen:Mut zum Mäkeln

Reklamationen: Sagen Sie ihr ruhig, wenn das Essen versalzen war: Clevere Unternehmen haben längst verstanden, dass es ein Geschenk sein kann, wenn Kunden reklamieren.

Sagen Sie ihr ruhig, wenn das Essen versalzen war: Clevere Unternehmen haben längst verstanden, dass es ein Geschenk sein kann, wenn Kunden reklamieren.

(Foto: Interfoto)

Viele Kunden trauen sich nicht, zu reklamieren. Wieso sich Firmen über Beschwerden freuen sollten.

Von Felicitas Wilke

Die Kartoffeln verbrannt, der Service "unterirdisch" und der Bierpreis eine "absolute Frechheit". Auf der Internet-Bewertungsplattform Tripadvisor hat jeder eine Meinung. Oft äußern unzufriedene Kunden diese aber erst später anonym im Netz. Im direkten Kontakt bleiben mehr als die Hälfte der Verbraucher hierzulande still, wenn sie mit einer Ware und Dienstleistung nicht zufrieden sind. Aus unterschiedlichen Gründen: Manche, weil sie keine Erfolgschancen sehen, andere, weil sie nicht wissen, ob sie im Recht sind. Wieder andere fühlen sich schlichtweg nicht wohl dabei, etwas Negatives zu sagen. All diese Sorgen sind oft unbegründet. Wie Verbraucher psychische Hindernisse überwinden, welche Rechte sie haben - und wie sie ihrem Gegenüber damit obendrein noch einen Dienst erweisen:

Die innere Hemmschwelle austricksen

Vielen Menschen ist es unangenehm, das versalzene Essen zu reklamieren. Wieso eigentlich? Anruf bei einem, der sich auskennt mit eher unangenehmen Gesprächen. Matthias Schranner hat früher für die Polizei mit Geiselnehmern oder Bankräubern verhandelt, heute berät er als Geschäftsführer des Schranner Negotiation Institute Unternehmen, denen schwierige Verhandlungen bevorstehen. Er sagt: Jedes Mal, wenn ein Kunde eine Leistung reklamiert, denkt er an den Konflikt, der droht. Daran, dass das Gegenüber die Beschwerde nicht ernst nimmt, beschwichtigt oder sogar gereizt reagieren könnte. Es sei die Angst vor genau solchen Reaktionen, die viele Menschen schließlich zu der Frage kommen lasse, "weshalb man sich das antun sollte", sagt Schranner. Nicht jeder Mensch kennt dieses Gefühl. Es hänge stark von der Persönlichkeit jedes Einzelnen ab, ob er Konflikten eher aus dem Weg geht oder nicht.

Die schlechte Nachricht: Diese Scheu lässt sich nicht komplett ablegen. Doch die Betroffenen können an sich arbeiten, indem sie ein paar Regeln beachten. "Man sollte gut vorbereitet in eine solche Verhandlung gehen und sich schon vorher ein Ziel setzen", sagt Schranner. Das kann ein Gratis-Dessert sein, der Wunsch, sein Geld zurückzubekommen - oder manchmal auch einfach eine aufrichtige Entschuldigung.

Der Experte empfiehlt unzufriedenen Kunden, ihre Forderung im Konjunktiv zu formulieren ("Ich hätte gerne") und dem Gegenüber keine Vorwürfe zu machen. Stattdessen sollten sie lieber erläutern, wie sich die Situation aus ihrer eigenen Perspektive darstellt. Bleibt der Kunde dann noch freundlich und behandelt seinen Gesprächspartner respektvoll, "dann kann nichts passieren", versichert Schranner.

Das eigene Recht kennen

Wenn Kunden mit einer Ware oder Dienstleistung nicht zufrieden sind, haben sie "viel mehr Rechte, als sie oft glauben", sagt der Berliner Rechtsanwalt Thomas Hollweck. Beim Kaufvertrag greift beispielsweise zwei Jahre lang das Gewährleistungsrecht. Quietscht der Schuh, der sich im Laden noch gut anfühlte, auf dem Straßenasphalt, können Kunden darauf bestehen, dass er repariert oder ausgetauscht wird. Gibt er dann immer noch keine Ruhe, haben Verbraucher das Recht, vom Kaufvertrag zurückzutreten und ihr Geld zurückzubekommen. Alternativ können sie die Ware behalten, aber den Kaufpreis mindern lassen.

Wer mit der Frisur nicht zufrieden ist, kann direkt beim Hairstylisten reklamieren: "Beim Friseur gehen beide Seiten einen Werkvertrag ein, bei dem das erbrachte Werk am Ende vom Kunden abgenommen werden muss", sagt Rechtsanwalt Hollweck. Sieht die Frisur nicht so aus, wie sich der Kunde das vorgestellt hat, darf er das sagen - und darauf pochen, dass der Friseur so lange weiter schneidet, bis alles passt. "Erst dann ist der Vertrag abgeschlossen", sagt Hollweck.

Kommt das Schnitzel im Restaurant verbrannt auf den Tisch, dann entspricht es nicht dem, was ein Gast von dem Gericht normalerweise erwarten kann: Die "mittlere Art und Güte", von der Juristen sprechen, ist nicht gegeben. Auch in diesem Fall können Kunden darauf bestehen, dass nachgebessert wird. "Gelingt das nicht, kann man die Speise zurückgeben und muss sie nicht bezahlen", sagt Hollweck.

Sich beschweren, heißt Gutes tun

Auch wenn diese Sichtweise noch nicht bei jedem Unternehmen angekommen ist: Sie müssten ihren Kunden für jede Beschwerde dankbar sein. So jedenfalls sieht das die Münchner Managementberaterin Anne Schüller. "Die Hinweise der Kunden können dabei helfen, dass bestimmte Fehler nur einmal passieren", sagt sie. 90 Prozent der Verbraucher lesen heute regelmäßig Online-Bewertungen über Unternehmen. Wenn diese überwiegend negativ ausfallen, "dann wird es für ein Unternehmen kritisch", sagt Schüller. Sie rät Firmen, ihre Mitarbeiter für Beschwerden zu schulen. So sollten sie immer freundlich auf das Anliegen von Kunden reagieren und sich dafür bedanken. Und ihr Chef sollte ihnen Rahmen vorgeben, welche Wiedergutmachung sie bei welcher Beschwerde anbieten können.

Im besten Fall haben beide Seiten etwas davon: Das Unternehmen erhält von den Kunden "kostenlose Unternehmensberatung", wie Schüller es nennt. Der Kunde wiederum ärgert sich nicht mehr und wird im Internet keinen Dampf ablassen. Und die anfängliche innere Hemmschwelle? Die dürfte mit jeder freundlichen Reaktion zunehmend verschwinden.

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