Reiseindustrie:Malle statt Antalya

Deutlich weniger Urlauber sind in diesem Jahr in die Türkei gereist. Viele zogen Spanien oder Portugal vor oder blieben gleich in Deutschland. Zum ersten Mal seit der Finanzkrise schrumpft der Umsatz der Reiseindustrie.

Von Michael Kuntz, Berlin

Für Reiseveranstalter und Reisebüros gibt es diesmal keinen Grund für die sonst so notorisch gute Stimmung. Wenn sich die Branchenvertreter an diesem Freitag und Samstag zu ihrem Jahrestreffen in Berlin einfinden, werden sie sich auch mit unangenehmen Themen beschäftigen müssen. Denn nach sieben guten Jahren ist das Geschäft im gerade beendeten Touristikjahr 2015/2016 erstmals deutlich zurückgegangen. In den zwölf Monaten bis Ende Oktober sank der Branchenumsatz um drei bis vier Prozent auf etwa 26,3 Milliarden Euro, so die jüngste Schätzung des Deutschen Reiseverbandes DRV. Zuletzt hatte es einen ähnlichen Rückgang als Folge der Finanzmarktkrise 2009 gegeben.

Vor allem weil nur halb so viele Menschen ihren Urlaub in der Türkei verbrachten wie in früheren Jahren ist für die deutsche Reiseindustrie einiges anders gelaufen als früher. Zum ersten Mal ist mit der Türkei eines der beliebtesten Reiseziele weitgehend ausgefallen, in dem bisher jedes Jahr fast sechs Millionen Menschen ihren Urlaub verbracht haben.

Auf Rügen oder Sylt kommen die Menschen häufig ohne Reiseveranstalter klar

Und anders als früher gelang es den Reiseveranstaltern und ihren Verkäufern nicht, ihrer Kundschaft einfach andere Ziele zu verkaufen und so die drohenden Umsatzverluste auszugleichen: Urlaub eben nicht in Antalya, sondern auf Malle - so einfach ist das nicht mehr. Bisher dirigierten die Reiseveranstalter einfach ihre Flugzeuge um und brachten ihre Gäste dorthin, wo sie hin wollten. So behielten sie ihre Kundschaft, auch wenn nach dem Attentat auf ein Strandhotel kaum noch jemand nach Tunesien wollte.

Doch nun ist einiges anders: Denn angesichts der Verunsicherung durch die Reihe terroristischer Anschläge in Istanbul, Paris, Brüssel, Nizza war die klassische Pauschalreise ans Mittelmeer generell in diesem Jahr nicht mehr so gefragt. Mehr Menschen als früher zögerten lange, bevor sie sich für ein Urlaubsziel entschieden. Und etliche fuhren nicht zu einem Flughafen, sondern mit dem Auto, der Bahn oder im Fernbus an die Nord- oder Ostsee. "Auch die sogenannten erdgebundenen Ziele innerhalb und im direkten Umfeld von Deutschland profitierten von der Nachfrageschwäche im östlichen Mittelmeer", stellt DRV-Präsident Norbert Fiebig fest.

Der Nachteil dabei für Reiseveranstalter ist, dass der Urlauber auf Rügen oder Sylt sehr häufig ohne sie klarkommt. Daran sind die Unternehmen teilweise auch selbst schuld: Die auf die Auslastung der ihr teilweise gehörenden Ferienflieger-Flotte erpichte Branche widmete sich erst in jüngerer Zeit intensiver dem Tourismus im Inland. Doch wer ein Ferienquartier in Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern sucht, orientiert sich und bucht im Internet oder ruft ganz klassisch beim Vermieter an.

Weil die Deutschen sich nur 40 Prozent aller Urlaubsreisen überhaupt professionell organisieren und verkaufen lassen, ist dieser Markt für Reiseveranstalter ein interessantes Feld, von ihnen aber bisher ziemlich unbeackert. So ist es kein Zufall, dass in den vergangenen Jahren nach den diversen Internet-Anbietern auch Großunternehmen wie die Tui-Gruppe die Vermittlung von Ferienwohnungen als lukratives Geschäftsfeld entdeckt haben und diese nun in großem Stil online offerieren.

Auch wenn die führenden Reiseveranstalter wie die Tui, DER, Thomas Cook und FTI jeweils mehrere Millionen Menschen im Jahr bewegen, so gehen doch die selbstorganisierten Ferien an ihnen weitgehend vorbei. Nicht jeder bucht elf Tage Flugreise ans Mittelmeer nach dem Motto Sonne, Strand und Saufen, alles möglichst inklusive und zu immer niedrigeren Preisen. Wenn nun aber die Individualreise oft zu Zielen abseits der touristischen Ballungsräume in Zeiten einer allgemeinen Verunsicherung an Beliebtheit gewinnt, dann werden sich die Reiseprofis dieser Herausforderung stellen müssen, wenn sie wieder die gewohnten steigenden Umsätze machen wollen.

Angesichts dieser Entwicklung kommen die Reisebüros mit einem Rückgang ihres Umsatzes von zwei bis drei Prozent auf 22,9 Milliarden Euro glimpflicher davon als die Veranstalter. Die Zahl der stationären Reisebüros hat sich nach jahrelangem Sinkflug bei knapp 10 000 stabilisiert. Für DRV-Präsident Fiebig ein Zeichen für zufriedene Kunden: "Professionelle, auf die individuell sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der Kunden eingehende, persönliche Beratung des Kunden zahlt sich also für alle Seiten aus." Auch für jene Reiseveranstalter, die schon an den online per Mausklick buchbaren Urlaub geglaubt hatten - und nun ihren Kunden so viel erklären müssen.

Nicht nur die Reise in die Türkei, auch die nach Ägypten oder Tunesien wurde nicht zuletzt angesichts ausführlicher und differenzierter Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zum erklärungsbedürftigen Produkt, dessen Käufer vor einer Buchung umfassend informiert werden will. In allen drei Ländern gingen die Umsätze mit tourististischen Leistungen zwischen 40 und 60 Prozent zurück.

Immerhin: Noch ein Fünftel der Urlaubsausgaben deutscher Pauschalreisender fließt weiter in die Länder des östlichen Mittelmeeres und nach Nordafrika. Ein Jahr zuvor war es allerdings noch ein Viertel. Die Türkei ist trotz Anschlägen und politischer Krise das Zielgebiet Nummer drei bei Pauschalreisen, knapp hinter den Kanaren und Balearen und rangiert noch vor Griechenland, so die Erkenntnis der GfK-Marktforscher. Es fliegen weiterhin mehr deutsche Urlauber nach Antalya als auf alle griechischen Inseln zusammen.

Kreuzfahrten bleiben auch in Krisenzeiten gefragt. Unsichere Gebiete werden einfach umschifft

Profitiert hat von der Verschiebung der Reiseströme aus Deutschland von Ost nach West vor allem Spanien mit seinen Inselgruppen und der Festlandsküste. Zweistellig wuchs der Umsatz mit deutschen Urlaubern auch in Griechenland, Portugal und Bulgarien, wo es ähnlich günstige Preise gibt wie in Tunesien.

Hoffen kann die Reiseindustrie, dass sich die Erfolgsstory der Kreuzfahrtschiffe fortsetzt, wo ein deutlicher Umsatzzuwachs im oberen einstelligen Bereich vermeldet wird - auch die zusätzlichen Schiffe stoßen auf ausreichend Passagiere. Und: Krisengebiete werden nicht mehr angesteuert, da sind die Reedereien flexibler als die Besitzer von Hotelanlagen.

Bei den Fernreisen stark nachgefragt sind vor allem karibische Ziele wie die Dominikanische Republik und Kuba. Auf der Langstrecke erholen sich aber auch die afrikanischen Ziele Südafrika, Kenia und Namibia, die wegen der Ebola-Seuche vorübergehend weniger stark gefragt waren.

Derzeit läuft das Geschäft gerade wieder wie im Frühjahr mit dem Sommerurlaub. Auch mit den Buchungen für die im November beginnende Wintersaison zögern die meisten Urlauber noch. Mit Ausnahme der Reisen auf die Kanaren und die Balearen, die werden bereits gesucht. Und wo seit 2009 der Krisenmodus herrscht, sieht DRV-Präsident Fiebig vielleicht sogar eine Chance für die Rückkehr der Ferienreisenden: "Da viele Veranstalter das Angebot in Richtung Ägypten wieder ausgebaut haben, könnte auch dieses vorrangig als Winterreiseziel gebuchte Land wieder stärker nachgefragt werden."

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