Regulierung der Finanzmärkte:Kapitalismus, ein bisschen gezähmt

Finanzmärkte und Geldinstitute stärker kontrollieren - das soll das große Thema der SPD für die Bundestagswahl im kommenden Jahr werden. Dabei hat die Politik aus dem Krisenjahr 2009 durchaus gelernt. Ob bei Bankenregulierung, Managergehältern oder riskanten Zockerpapieren: Zahlreiche Verbesserungsvorschläge wurden bereits durchgesetzt - wenn auch längst nicht alle.

Claus Hulverscheidt, Berlin

Wenn Michael Sommer der heilige Zorn übermannt, wird es Zeit, in Deckung zu gehen. Denn nichts und niemand ist in diesen Momenten vor den Rundumschlägen des obersten deutschen Gewerkschafters mehr sicher. Die Weltfinanzkrise, so giftete Sommer dieser Tage in einem Radio-Interview, sei nur lösbar, wenn die Gruppe der großen Industrie- und Schwellenländer (G 20) ihre 2009 vereinbarten Reformpläne endlich umsetze. "Nur leider ist nichts passiert", bellte er.

Fast wortgleich hatte sich zuvor bereits SPD-Chef Sigmar Gabriel geäußert, der auch gelegentlich übermannt wird - wenn auch seltener von heiligem Zorn als von Übermut.

Am Dienstag nun wollen die Sozialdemokraten ein Konzept zur Bewältigung der Turbulenzen an den Finanzmärkten vorlegen, das Gabriels Mit-Kanzlerkandidatenkandidat Peer Steinbrück erarbeitet hat. Es sieht unter anderem die Abtrennung des klassischen Bankgeschäfts vom Investmentbanking sowie einen Bankenrettungsfonds vor, der von der Branche selbst gespeist werden soll.

Es gehört nicht viel Phantasie zur Vorhersage, dass manch forscher SPDler die Gelegenheit nutzen wird, die Anti-Krisenpolitik der G-20-Staaten nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 einmal mehr mit dem Stempel "Viel versprochen, nichts gehalten" zu versehen.

Das greift ein Gefühl auf, das viele Bürger beim Blick auf ihre Regierenden ohnehin haben. Und doch ist das falsch: Zwar lässt sich endlos darüber streiten, ob das, was getan wurde, ausreicht, und ob es das Richtige war. Dass aber etwas getan wurde, kann niemand, der sich ernsthaft mit dem Thema befasst, in Abrede stellen.

Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung sind in den vergangenen drei Jahren auf europäischer Ebene 36 von 47 Reformvorhaben angegangen worden. In Deutschland, wo noch einige nationale Projekte hinzu kamen, liegen 30 von 56 Initiativen in Gesetzesform vor oder sind sogar schon in Kraft.

Viele weitere Neuerungen, etwa die Verschärfung der Eigenkapitalvorschriften für Banken, werden derzeit vorbereitet und sollen binnen weniger Monate in den Bundestag eingebracht werden. Die USA, wo die Krise ihren Ausgang nahm, sind teilweise sogar noch weiter: Anders als in Europa wurden die Vorhaben hier nicht einzeln, sondern als Paket in Angriff genommen, im sogenannten Dodd-Frank-Act.

Bankenregulierung

Ziel aller Reformbemühungen war und ist es, den großen Banken der Welt ihr Erpressungspotenzial gegenüber den Regierungen zu nehmen. Viele Institute waren in der Vergangenheit aufgrund laxer Regulierung und massiv gestiegener Risikobereitschaft so groß geworden, dass ein einziger Konkurs das globale Finanzsystem ins Taumeln hätte bringen können. Die Regierungen waren daher gezwungen, trudelnde Institute mit Steuergeldern aufzufangen. Damit sich das nicht wiederholt, wurden folgende Änderungen beschlossen:

[] Um Verluste abfedern zu können, müssen Banken künftig sieben statt zwei Prozent hartes Kernkapital vorhalten. Inklusive neuer Kapitalpuffer steigt der Eigenkapital-Mindestsatz sogar von acht auf 13 Prozent der risikogewichteten Aktiva.

[] Die 29 bedeutendsten Banken der Welt benötigen - abhängig von ihrer Größe, Vernetzung und Risikobereitschaft - weitere 3,5 Prozent an Eigenkapital. Viele riskante Geschäfte werden damit unattraktiv.

[] Erstmals wird eine Verschuldungsgrenze, die sogenannte Leverage Ratio, eingeführt. Sie begrenzt die Bilanzsumme auf das 33,3-Fache des Eigenkapitals. Sie ist allerdings zunächst nicht verpflichtend.

[] Um die Arbeit der nationalen Finanzaufseher zu koordinieren, wurden auf EU-Ebene drei Koordinierungsstellen gegründet: die EBA (Banken), die EIOPA (Versicherungen) und die ESMA (Wertpapiermärkte). Hinzu kommt der Europäische Rat für Systemrisiken (ESRB). 2013 soll zudem die Europäische Zentralbank (EZB) die Aufsicht über die Großbanken übernehmen.

[] Um im Notfall auch systemrelevante Banken sanieren oder schließen zu können, wurde in Deutschland das Restrukturierungsgesetz verabschiedet. Auf europäischer Ebene fehlt noch eine Regelung. Allerdings muss jede Großbank ein "Testament" aufsetzen, das aufzeigt, wie sie im Krisenfall abgewickelt werden kann.

Zockerpapiere

Fortschritte gibt es auch im Bereich komplexer strukturierter Wertpapiere. Werden Bankkredite künftig gebündelt und zu einem Wertpapier "verbrieft", muss der Verkäufer fünf Prozent dieser Papiere in den eigenen Büchern behalten. Das soll ihn von allzu riskanten, kaum noch nachvollziehbaren Verbriefungen abhalten, die die Finanzkrise in den USA mit ausgelöst hatten.

Nicht ganz so weit gekommen sind die EU-Regierungen bei der Regulierung von Derivaten. Solche Wetten auf die Kursentwicklung sollen zwar standardisiert, über zentrale Clearing-Stellen abgewickelt und in einem Transaktionsregister erfasst werden, es sind aber zahlreiche Ausnahmeregelungen im Gespräch.

Um die Spekulation einzudämmen, hat die Bundesregierung zudem bereits 2010 Leerverkäufe von Wertpapieren verboten, die der Anbieter nicht besitzt. Andere EU-Staaten zogen nach. Im zweiten Schritt hat Berlin nun den Hochfrequenzhandel ins Visier genommen, bei dem in Bruchteilen von Sekunden riesige Wertpapiermengen verschoben werden.

Kritiker halten die Pläne allerdings für unzureichend. Sie bemängeln auch, dass der potenziell schädliche Handel mit Kreditausfallversicherungen weiter möglich ist. Ein weiterer Schwachpunkt ist, dass die Einführung der Finanztransaktionsteuer immer noch stockt. Ruft man sich allerdings in Erinnerung, dass die Steuer noch vor wenigen Jahren beinahe überall als sozialistische Schnapsidee verteufelt wurde, wird deutlich, wie rasch sich Dinge doch ändern können.

Ratingagenturen

Durchwachsen ist die G-20-Bilanz bei der Regulierung von Ratingagenturen, die die Krise durch Bestnoten für riskante Papiere massiv befeuert hatten. Bisher ist es nicht gelungen, den US-Riesen Moody's, Standard & Poor's und Fitch einen europäischen Wettbewerber entgegenzustellen - wobei sich auch die Frage stellt, ob damit viel gewonnen wäre.

Zumindest wurden alle Anbieter unter Aufsicht der ESMA gestellt. Auch dürfen die Agenturen Kunden, die sie benoten sollen, nicht mehr gleichzeitig beraten.

In den USA ging man noch weiter und strich alle Regelungen, in denen auf die Noten von Ratingagenturen Bezug genommen wird, aus sämtlichen Gesetzen. Das Problem ist dort wie in der EU, dass es bisher an Alternativen zu den Bewertungen der Agenturen mangelt.

Mit schuld am Ausbruch der Krise waren nach Ansicht vieler Experten auch die teils obszön hohen Bonuszahlungen, die führende Bankmitarbeiter erhielten, wenn sie besonders gewinnträchtige Geschäfte abschlossen. Dass sich viele dieser Geschäfte Jahre später als Fehlschläge erwiesen, störte die Zocker nicht - schließlich war der Bonus bereits kassiert.

Künftig werden 40 Prozent der Zusatzzahlungen erst dann ausgeschüttet, wenn ein Abschluss auch mittelfristig als Erfolg eingestuft werden kann. Zudem muss die Hälfte des Bonus statt in bar in Aktien oder ähnlichen Wertpapieren ausgezahlt werden.

Schattenbanken

Der Bereich der Schattenbanken, zu dem etwa Hedgefonds, Beteiligungsgesellschaften, Wertpapierhäuser und außerbilanzielle Zweckgesellschaften zählen, ist die Achillesferse der bisherigen G-20-Bemühungen.

Sieht man davon ab, dass sich Hedgefonds-Manager nun registrieren lassen und Mindeststandards einhalten müssen, ist hier kaum etwas passiert. Im Gegenteil: Weil die Regulierungsdichte im normalen Bankensektor stark zugenommen hat, wurden bisher reguläre Geschäfte auf unregulierte Institute verschoben.

Angeblich werden mittlerweile bis zu 30 Prozent aller Finanzgeschäfte von Schattenbanken abgewickelt, Experten nennen Summen von 60 Billionen US-Dollar. Viele Kritiker glauben, dass die nächste große Finanzkrise ihren Ausgang im Schattenbankensektor nehmen wird.

Wirtschaftliche Ungleichgewichte

Um die Frage, welche Rolle die hohen Überschüsse und Defizite im Außenhandel der einzelnen Länder bei der Entstehung der Finanzkrise gespielt haben, tobt immer noch ein politischer Glaubenskrieg. Zwar wurde auf europäischer Ebene das sogenannte Six Pack verabschiedet, das in den Defizitländern zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen soll. Die Staaten mit hohen Außenhandelsüberschüssen, allen voran Deutschland und China, dagegen stehen weiterhin auf dem Standpunkt, dass sie selbst keinerlei Verantwortung für den Abbau der Ungleichgewichte tragen.

Nimmt man alle Punkte zusammen, fällt das Fazit deutlich differenzierter aus, als es die Herren Sommer und Gabriel darstellen. Hätte Sommer gewollt, hätte er das sogar in den eigenen Reihen in Erfahrung bringen können, denn das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung kam schon vor Monaten in einer Studie über "Anspruch und Wirklichkeit der Finanzmarktreform" zu einem überraschenden Schluss: Zwar könne man fragen, ob tatsächlich ein "echtes Umdenken" stattgefunden habe, heißt es in dem Papier. Andererseits müsse man konstatieren, "dass im Gegensatz zu gängigen Vorurteilen die Regierungen in den USA und der EU tatsächlich einiges bei der Regulierung des Finanzsektors auf den Weg gebracht und das Gros der Versprechungen aus dem Jahr 2009 eingelöst haben".

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