Regionalwährung:Stadt, Land, Geld

CHIEMSEE WETTER SCHIFF

Rast in Prien. Die Menschen im Chiemgau können in vielen Geschäften mit einer regionalen Währung zahlen. Dass das funktioniert, liegt an engagierten Ehrenamtlichen, aber auch daran, dass die Bevölkerung hier nicht auf jeden Cent schauen muss.

(Foto: Uwe Lein/AP)

Als der Euro noch jung war, entstanden vielerorts Initiativen, die die Wirtschaft in der Region mit eigenem Bezahlmittel stärken sollten. Ein Jahrzehnt später ist nicht mehr viel davon übrig - außer im Chiemgau.

Von Felicitas Wilke, Traunstein

Christophe Levannier zückt einen gelben, einen roten und ein paar grüne Scheine, um die Spinat-Quiche und den Espresso zu bezahlen. Auf einer Note funkelt das Chiemseeufer, auf der anderen ist die Kirche der Gemeinde Siegsdorf abgebildet. Wäre da nicht der professionelle Silberstreifen am Rand, würde das hier auch als Spielgeld einer regionalen Monopoly-Edition durchgehen. Tatsächlich kann Levannier damit aber nicht nur im Traunsteiner Café Festung seine Rechnung begleichen, sondern auch bei gut 500 weiteren Unternehmen in Traunstein, Prien, Rosenheim und Umgebung. Levannier waltet ehrenamtlich über den Chiemgauer. Dieser gilt als erfolgreichste Regionalwährung Deutschlands - doch so richtig etablieren konnten sich die regionalen Scheine nicht.

Es ist etwa 15 Jahre her, dass viele Regionen hierzulande ihre eigene Währung entwickelten. Mit dem Euro hatte Europa gerade eine gemeinsame Währung erhalten; im Chiemgau, in Karlsruhe oder Pfaffenhofen wollten Bürger ein regionales Gegengewicht zur globalisierten Welt setzen und damit die Wirtschaft vor Ort stärken. So entstanden der Chiemgauer, der Carlo oder der Hallertauer, die man meist eins zu eins für einen Euro erhält und ausschließlich in teilnehmenden Geschäften in der Region ausgeben kann. Weil nur die Bundesbank Geld in Umlauf bringen darf, firmieren Regionalwährungen formell als Gutschein. Ihr Aussehen und ihr Konzept erinnern aber an richtiges Geld. Dabei eint viele der Angebote ein Prinzip: Das Geld entwertet sich mit der Zeit von selbst.

Jedes halbe Jahr verliert das regionale Geld an Wert - man sollte es also schnell ausgeben

Wie das konkret funktioniert, zeigt sich an einem Ein-Chiemgauer-Schein, den Levannier vor sich liegen hat. Drei Sticker kleben darauf; sie zeigen an, dass man bereits dreimal drei Cent bezahlt hat, um das Papiergeld weiterhin verwenden zu können. Pro Halbjahr verliert die Währung drei Prozent ihres Werts. So sollen die Nutzer motiviert werden, ihr Geld möglichst schnell in den teilnehmenden Läden auszugeben und deren Geschäft anzukurbeln. Seine Regionalwährung sieht Levannier "als einen Euro, den wir in der Region einsperren und schneller machen."

Weil man damit nur in der Gegend um den Chiemsee bezahlen kann, bringe die Währung die Verbraucher dazu, regional einzukaufen und "die Strukturen vor Ort zu stärken", wie Levannier sagt. Also sich im kleinen Bioladen statt beim Discounter einzudecken, die heimische Boutique zu unterstützen statt im Einkaufszentrum in der nächsten Großstadt bei den immer gleichen Ketten shoppen zu gehen. Regional einzukaufen, das ist mittlerweile ein Statement geworden. Aber: Braucht es dafür eine eigene Währung?

Mit ihr funktioniere das regionale Prinzip am besten, findet Levannier. "Der Vorteil ist, dass man den Auftrag dadurch an die Unternehmen weitergibt", sagt er. Möchten die Geschäftsleute den Chiemgauer wieder in Euro umtauschen, müssen sie eine Gebühr in Höhe von fünf Prozent bezahlen. Drei Prozent gehen an Vereine in der Gegend, zwei Prozent an den Chiemgauer, dem Levannier vorsteht.

Die Café-Betreiberin Elisabeth Diane, die gerade die Scheine von Levannier in ihrem Portemonnaie verstaut hat, kennt den Anreiz, das regionale Geld auszugeben statt umzutauschen. Die Lebensmittel für ihr Geschäft kaufe sie zum Teil bei einem Biomarkt in der Stadt, der die Regionalwährung annimmt. "Und die Brille, die ich trage, die hab ich auch hier in Traunstein mit Chiemgauern bezahlt", sagt sie.

Genau dieser Anreiz, dieses Eingesperrtsein der Regionalwährung, das ist es, was der Ökonom Gerhard Rösl problematisch an den Vor-Ort-Zahlungsmitteln findet. Rösl, der als Professor an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg lehrt, hält sie für "bewusst betriebene Abschottung". Protektionismus also, dieses handelspolitische Konzept, das mit dem US-Präsidenten Donald Trump einen prominenten Unterstützer hat. Rösl glaubt nicht daran, dass es funktioniert - auch nicht auf regionaler Ebene. "Das ist Schwundgeld, das durch die eingebaute Inflation teurer als der Euro ist", sagt Rösl. Obendrein sei es aufwendig, ein teilnehmendes Geschäft zu finden. Den Händlern entstünden Kosten durch den Mitgliedsbeitrag, wie es ihn bei einigen Regionalgeldern gibt - und dadurch, dass die Rücktauschgebühr sie dazu bringen soll, nicht beim günstigsten oder besten Lieferanten zu kaufen, sondern beim Nachbarn. "Langfristig können auch Qualität und Fortschritt leiden, wenn kein überregionaler Wettbewerb besteht", sagt Rösl.

Er, ein Anhänger des Protektionismus? Levannier sagt, es mache ihn traurig, so etwas zu hören. Er ist in Frankreich aufgewachsen, der Vater Franzose, die Mutter Traunsteinerin. Vor mehr als 25 Jahren zog er in seine zweite Heimat nach Oberbayern, hier betreibt er einen Großhandel. "Ich bin weder gegen den Euro noch gegen die Globalisierung und ich sehe mich auch nicht als Öko", stellt er klar. Es gehe ihm vielmehr darum, eine regionale Ergänzung auszuprobieren. Als Experiment fing der Chiemgauer auch an: Der Wirtschaftslehrer Christian Gelleri hatte es 2003 gemeinsam mit sechs Schülerinnen der Waldorfschule initiiert. Auch, um ihnen zu zeigen, wie Geld überhaupt funktioniert.

Geht es nach Heidi Flieher, dann ist das Experiment geglückt. In ihrem Lampengeschäft direkt am Stadtplatz tauscht sie Euro gegen Chiemgauer um und nimmt sie als Währung an. Sie sagt: "Man merkt, dass die Leute vermehrt einkaufen, kurz bevor das halbe Jahr vorbei ist und ihr Geld an Wert verliert." Dennoch halten sich die Transaktionen mit der Regionalwährung in Grenzen. Etwa zehnmal pro Woche zahlten Kunden damit, schätzt Flieher.

Vielen geht es wie der Frau an der Kasse der Tankstelle am Stadtrand von Traunstein. Sie habe zwar schon mal vom Regionalgeld gehört, sagt sie, "aber benutzt habe ich es noch nie". Auch wenn derzeit Chiemgauer im Wert von fast einer Million Euro im Umlauf sind, nutzen ihn neben den Händlern nur 3400 Verbraucher. Dass die Regionalwährung aus dem Süden trotzdem als Paradebeispiel gilt, zeigt eher, wie unbedeutend sie andernorts mittlerweile sind. Von den rund 30 Regionalgeldern, die einmal deutschlandweit aktiv waren, ist ein knappes Dutzend geblieben. In Lüneburg oder Gießen, in Hagen oder Potsdam haben die Initiatoren aufgegeben. "Wir wissen, dass wir volkswirtschaftlich nie eine Bedeutung hatten", sagt Frank Jansky, der in Sachsen-Anhalt einst den Urstromtaler ins Leben rief. Von der Idee bleibe aber, "dass wir heute einen größeren öffentlichen Diskurs über Geld haben als vor der Finanzkrise", findet er.

Dass der Chiemgauer in und um Traunstein bis heute existiert, liegt an engagierten Ehrenamtlichen. Es hat aber auch damit zu tun, dass die Menschen in der Region nicht auf jeden Euro, pardon, Chiemgauer, schauen müssen, glaubt Ökonom Rösl. Vollbeschäftigung und gute Kaufkraft - hier kann man es sich leisten, regional einzukaufen. Eine eigene Währung brauche es dafür aber nicht, findet der Ökonom. "Was bleibt, ist nur der Marketingeffekt", sagt Rösl. Im Fotogeschäft Zannantonio braucht man da gar nicht zu widersprechen. Manche Kunden kämen von weiter her, aus Prien oder Rosenheim, weil man nur hier eine Kamera mit Chiemgauern bezahlen kann, sagt ein Mitarbeiter. So lange das so bleibt, lohnt es sich für seinen Chef, die bunten Scheine mit dem Chiemsee vorne drauf anzunehmen.

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