Reform der Steuerregeln:Wer am Ende zahlt

Die Schweizer stimmen über eine Steuerreform ab. Viele befürchten, dass davon zwar die Unternehmen weiter profitieren, die Bürger aber stärker belastet werden: Die Stimmung in der Bevölkerung kippt.

Von Charlotte Theile, Zürich

Eine Steueroase zu sein, ist meistens angenehm. Nur hin und wieder, wenn es den umliegenden Ländern zu bunt wird und sie mit Sanktionen oder schwarzen Listen drohen, macht es weniger Spaß. Die Schweiz hat vor einigen Tagen einen solchen Mahn-Brief der OECD erhalten, Grund sind die Steuererleichterungen, mit denen das Land seit jeher multinationale Konzerne anlockt.

Ermäßigte Besteuerung von "Holding-, Domizil - und gemischten Gesellschaften" heißt das in der offiziellen Verlautbarung der Schweiz, anderswo sagt man "Briefkastenfirmen" dazu. Diese Firmen stellen nach Angaben der Regierung etwa 150 000 Arbeitsplätze in der Schweiz, indirekt sollen noch deutlich mehr Stellen mit diesen Gesellschaften verbunden sein. Es dürften gut bezahlte Arbeitsplätze sein. Und obwohl die Unternehmenssteuern, die diese Multis zahlen, kaum der Rede wert sind, kommt in der Summe schon etwas zusammen: Knapp fünf Milliarden Franken bekommt allein der Bund. Dazu kommen die Einnahmen in Kantonen und Gemeinden. Die Schweiz ist also bisher mit ihrer Steuerpolitik sehr gut gefahren.

Auf einer schwarzen Steuersünder-Liste möchte man trotzdem nicht stehen. Und so soll die Gesetzgebung des Landes künftig mit internationalen Standards vereinbar, für Unternehmen aber weiter so vorteilhaft sein, dass sie die Anschrift ihrer Briefkästen nicht verändern. Regierung und Parlament haben in den vergangenen Jahren versucht, eine Lösung für dieses Dilemma zu finden. Das Ergebnis, die sogenannte Unternehmenssteuerreform III, steht am Sonntag auf nationaler Ebene zur Abstimmung. Schon der Titel verrät, dass es nicht das erste Mal ist, dass die Schweiz vor einer solchen Aufgabe steht. Ob die Reform in Kraft treten kann, ist alles andere als ausgemacht. Die Meinungsumfragen sehen eine äußerst knappe Abstimmung voraus. Die Gegner der Reform kamen zunächst vor allem aus der politischen Linken. Denn um die Besteuerung der Unternehmen an internationale Standards anzupassen, wurden gleichzeitig zahlreiche neue Steuervermeidungsmöglichkeiten für Holdings und andere Gesellschaften geschaffen. Der normale Schweizer Bürger weiß von diesen Unternehmen vor allem eines: Wenn es ihnen in der Schweiz zu teuer wird, sind sie in Sekundenschnelle weg.

Viele haben das Gefühl, die Vorlage nicht so recht zu verstehen

Damit das nicht passiert, sollen Gesellschaften, die Forschung und Entwicklung betreiben, die Möglichkeit erhalten, 150 Prozent dieser Kosten abzusetzen - de facto eine Förderung. Auf diese Maßnahme konzentriert sich der Bundesrat in seinen Erläuterungen zur Abstimmung. Diese Abzüge sollten "einen Anreiz schaffen, zukunftsträchtige Arbeitsplätze" in der Schweiz anzusiedeln, Forschung und Patente aus der Schweiz, das klingt gut.

Schweiz: Volksabstimmung zur Steuerreform

Die Stimmung wendet sich in der Schweiz gerade gegen die Unternehmenssteuerreform.

(Foto: Anthony Anex/dpa)

Alle weiteren Steuergeschenke, etwa die Möglichkeit, das Eigenkapital ermäßigt in die Berechnung der Steuern einfließen zu lassen, werden kurz und knapp als "weitere steuerliche Maßnahmen" zusammengefasst. Dass diese nötig seien, darüber sind sich Wirtschaftsliberale, Konservative und Arbeitgeber einig - da Großbritannien und die USA nun auch Steuererleichterungen in Aussicht stellen, sei der Wettbewerb sogar noch wichtiger geworden, argumentieren einige.

Viele Bürger haben bis heute vor allem das Gefühl, die Vorlage nicht zu verstehen - und vielleicht das dumpfe Gefühl, dass sie auch gar nicht allzu genau wissen sollen, worüber sie abstimmen. In der Vorlage heißt es schließlich auch: Die Steuereinnahmen durch internationale Gesellschaften dürften deutlich sinken. Die Folgen für die öffentlichen Kassen werden erst einmal negativ sein, erst auf lange Sicht sollen sie der Schweiz finanziell nutzen.

Selbst Befürworter der Reform gehen von Steuerausfällen zwischen einer und zwei Milliarden Franken aus. Die Sozialdemokraten, die das Referendum gegen die Reform angestoßen haben, gehen von mindestens drei Milliarden aus, was etwa 1000 Franken pro Haushalt entspricht. Sie warnen vor Kürzungen bei der Bildung und höheren Steuern, sprechen von "Unternehmenssteuer-Bschiss". Viele verweisen zudem auf das Jahr 2008, als die Schweiz über die Unternehmenssteuerreform II abstimmte. Damals setzte sich die Vorlage des Bundesrates an der Urne durch, die Kosten für den Steuerzahler waren aber deutlich höher als prognostiziert. Das Bundesgericht in Lausanne rügte diesen Wahlkampf später in deutlichen Worten als "Fehlinformation durch Unterdrückung". Einige Richter fanden sogar, das Volk sei mit geschönten Zahlen bewusst in die Irre geführt worden. Es habe sich um eine "krasse Verletzung der Abstimmungsfreiheit" gehandelt.

Finance Minister Eveline Widmer-Schlumpf  speaks to the press

Auch die Ex-Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hat mit ihrer Kritik dazu beigetragen, dass die Stimmung in der Schweiz kippt.

(Foto: Lukas Lehmann/dpa)

In diese Kritik an der geplanten Reform ist Mitte Januar auch eine Frau eingestiegen, der in der Schweiz vor allem ein Adjektiv anhaftet: kompetent. Die frühere Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf steht als ehemaliges Mitglied der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) und heutige Vertreterin der bürgerlichen BDP auch nicht im Verdacht, eine Linke zu sein. Als Widmer-Schlumpf im Interview mit der nationalen Boulevard-Zeitung Blick verkündete, die Reform sei aus dem Gleichgewicht geraten, kam das einem Erdbeben gleich. Dass sich ein früherer Minister zur aktuellen Politik zu Wort meldet, ist in der Schweiz sehr ungewöhnlich, um es höflich auszudrücken. Umso größer ist der Effekt eines solchen Tabubruchs in dieser Sache, da die im Herbst 2015 abgetretene Finanzministerin genau weiß, wovon sie spricht: Widmer-Schlumpf hatte die Reform noch selbst auf den Weg gebracht.

Die Stimmung wendet sich immer deutlicher gegen die Reform

Die Reaktion ihrer früheren Regierungskollegen fiel entsprechend scharf aus: Die ehemalige Ministerin habe keine Sachkenntnis mehr und solle sich in Zurückhaltung üben, hieß es etwa von ihrem Nachfolger Ueli Maurer (SVP).

Vielen Bürgern hat Widmer-Schlumpf dagegen Eindruck gemacht: Die Stimmung scheint sich in den vergangenen Wochen immer deutlicher gegen die Vorlage zu wenden. Das zeigt Wirkung: Am Wochenende haben die kantonalen Finanzdirektoren versprochen, dass die Steuern für Privatpersonen nicht erhöht werden. Der Chefunterhändler für Europafragen, Jacques de Wattewille, warnte zudem vor einer Ablehnung der Reform: Die Schweiz gerate damit unter großen Druck. Man hätte dann nur sehr wenig Zeit, um eine neue Vorlage zu verabschieden, "um die international geächteten Steuerpraktiken abzuschaffen". In der Zwischenzeit bestehe die Gefahr, dass einzelne Länder eben doch Sanktionen gegen die Schweiz ergreifen.

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